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Der Blutritt von Weingarten - die größte Reiterprozession Europas

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Die Geschichte

Mehr als 2000 Reiter, 900 Jahre Historie, ein Tropfen Blut - der Blutritt in Weingarten gilt als die größte Reiterprozession Europas. Erfahren Sie hier alles über die Hintergründe des Ereignisses zu Ehren des Heiligen Blutes Jesu Christi, die Basilika Weingartens und welche Rolle geschmierte Brote dabei spielen.
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Seit mehr als 900 Jahren verehren Menschen im oberschwäbischen Weingarten eine ganz besondere Reliquie. Der Legende nach birgt sie einen Blutstropfen von Jesus Christus. Doch woher rührt dieser Kult?
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Die Heilig-Blut-Reliquie wird in den Wirren der Geschichte mehrmals versteckt und gerät in Vergessenheit.

Der Legende nach enthält sie Blut von Jesus von Nazaret, der auf dem Hügel Golgatha gekreuzigt wird. Später gelangt die mit dem Blut vermischte Erde nach Mantua. Als die Langobarden die Stadt 580 belagern, wird sie an einem geheimen Ort versteckt und erst 804, also 224 Jahre später, wiedergefunden.

Papst Leo III. und Karl der Große lassen die Reliquie daraufhin prüfen und im Anschluss teilen. Während der erneuten Belagerung Mantuas 923 durch die Ungarn werden die Teile abermals versteckt. Es dauert wiederum 125 Jahr, bis der größere Teil der Blutreliquie 1048 in Mantua wiedergefunden wird.

Wegen der großen Bedeutung der Reliquie will Papst Leo IX. sie später mit nach Rom nehmen. Weil sich die Mantuaner aber weigern, wird die Reliquie erneut geteilt: Ein Teil bleibt in Mantua, der andere gelangt nach Rom. Im Jahr 1055 kommt Kaiser Heinrich III. nach Mantua und erhält einen weiteren Teil der Blutreliquie.

Als der Kaiser 1056 stirbt, wird sie Graf Balduin V. von Flandern vermacht. Er schenkt sie seiner Verwandten Judith. Sie ist in zweiter Ehe mit Welf IV. von Altdorf, Herzog von Bayern, verheiratet. Als er in den Kreuzzug zieht, übergibt Judith die Blutreliquie Walicho, den Abt des Klosters Weingarten, der Lieblingsstiftung und Grablege der Welfen.

Angeblich geschieht dies am Freitag nach Christi Himmelfahrt. Der Tag ist damit Ursprung des Blutfreitags und des Heilig-Blut-Ritts.

Die Übergabe ist auch als Relief auf der Hosannaglocke in der Basilika Weingartens dargestellt.
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Die Basilika

Sie ist der ganze Stolz Weingartens: die Basilika. Besonders in ihrem Innern schlummern wahre Schätze.
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Ein Engel trägt die von Fidel Sporer gestaltete Kanzel. (Foto: Roland Rasemann)
Ein Engel trägt die von Fidel Sporer gestaltete Kanzel. (Foto: Roland Rasemann)
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Der Grundstein der Barockkirche wird am 22. August 1715 gelegt. Mit einer Höhe von 67 Metern und einer Länge von 102 Metern gilt sie als das größte barocke Kirchenbauwerk nördlich der Alpen.

Die Kirche besitzt nahezu die gleichen Ausmaße des Petersdoms in Rom, allerdings im halben Maßstab.

Seit der Auflösung der Benediktinerreichsabtei 1803 dient die Kirche als Pfarrkirche der katholischen Pfarrei St. Martin. Ab 1922 ist sie zugleich Klosterkirche des neu besiedelten Benediktinerklosters, das 2010 aufgelöst wird.

1956 erhebt Papst Pius XII. die Kirche zur Basilica minor. Den Ehrentitel erhält sie wegen ihrer herausragenden Bedeutung als Wallfahrtskirche, Kunst- und Kulturdenkmal.

In der Basilika befinden sich zudem die Welfengräber.
Ein Engel trägt die von Fidel Sporer gestaltete Kanzel. (Foto: Roland Rasemann)
Ein Engel trägt die von Fidel Sporer gestaltete Kanzel. (Foto: Roland Rasemann)
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Die Reliquie

Sie steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: die Blutreliquie in ihrem einzigartigen Gefäß. Laut der Legende befindet sich im Reliquiar Blut aus der Seitenwunde Christi, das mit Erde von Golgatha vermischt ist.
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35 Zentimeter lang und zwei Millimeter breit ist das Stäbchen, in dem sich das Blut Christi vermischt mit Erde von Golgatha befinden soll. Ursprünglich wurde es in einem Leintuch aufbewahrt.

Dass das Weingartener Reliquiar über 800 Jahre lang ihre Grundform bewahrt hat, macht es gegenüber anderen Heilig-Blut-Reliquien einzigartig. Es verweist auf die Kaiserkrone des „Heiligen Römischen Reiches“ - eine weltliche Reliquie nach den damaligen Vorstellungen - und eignet sich daher besonders, um die höchste aller christlichen Reliquien zu ummanteln.

Das Gefäß besteht aus zwei Teilen: Im Zentrum befindet sich die Reliquie, die in einen hufeisenförmigen Bergkristall eingefasst ist. Dieser wird von einem goldenen, mit Edelsteinen besetzten Doppelkreuz umrahmt. Das obere Kreuz zeigt in farbigem Emaille Christus am Kreuz.

Am unteren Ende des Kristalls finden sich zwei Rechtecke mit den Worten Sanguis Jesu Christi“ - Blut Jesu Christi. Zudem ist mit dem unteren Längsbalken ein Hufeisen aus Gold mit Weintrauben, das Wappen Weingartens, verbunden.

Das allererste Reliquiar von Abt Berthold wie auch das einst mit Diamanten bestückte von Abt Sebastian Hyller gibt es nicht mehr. Das heutige, 1956 angefertigte, ist ein Stiftungsgeschenk und trägt auf der Vorderseite des goldenen Reliquiars Edelsteine in weiß, rot und blau, die Rückseite bestimmen die Farben grün, weiß und gold.

Eine Kette mit drei Ringen dient der Sicherheit: Sollte sich das Pferd aufbäumen und den Reiter abwerfen, entgleitet ihm die Reliquie nicht.
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Die Protagonisten

Ein Blutritt ist undenkbar ohne die Reiter- und Musikgruppen. Sie begleiten den Heilig-Blut-Reiter mit dem Reliquiar durch Weingarten und das Umland.
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Die mehr als 2000 Reiter in Frack und Zylinder sind in mehr als 100 Blutreiter-Gruppen organisiert: Sie alle verbindet die Gläubigkeit und Frömmigkeit, oft verbunden mit der Liebe zum Pferd und die Pflege der Kameradschaft. Die meisten kommen bereits seit Jahren, einige seit Jahrzehnten zum Bluttritt.

Der Blutritt selbst entsteht wohl im 15. Jahrhundert - doch bereits die früheste Erwähnung im Jahr 1529 spricht von einem Brauch „von alther“. Davor gibt es nur die Fußwallfahrt.

Während der Kriegszeiten fällt der Blutritt aus - verboten wird er sogar ein Mal, und zwar Anfang des 19. Jahrhunderts. Von der katholischen Kirche selbst. Sie hält zu dieser Zeit Reliquien und Prozessionen für Aberglauben. Doch die Weingartener halten an ihrem Blutritt fest. Seit 1849 dürfen auch Privatleute zu Pferd am Blutritt teilnehmen. Sie kommen damals in ihrem bürgerlichen Festanzug - mit Frack und Zylinder: die bis heute gültige Kleiderordnung.

Eine Blutreiter-Gruppe besteht aus drei Teilen: In der ersten findet sich die Musikkapelle mit den Standartenreitern. Es folgt der Pfarrer im Kirchengewand mit den Ministranten und - die einzigen weiblichen Teilnehmer des Blutritts - Ministrantinnen. In der letzten Gruppe befinden sich die Blutreiter.

Am Ortsausgang verlassen die Musikkapellen die Prozession. Die Reiter ziehen, den Rosenkranz betend, rund um Weingarten.
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Heimatkundler Jürgen Hohl beschäftigt sich intensiv mit oberschwäbischen Traditionen. Im Podcast "Sag's Pauly" mit Andrea Pauly spricht er über die Historie des Blutritts von Weingarten.

Den kompletten Podcast hören Sie hier.

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Beinahe 1000 Jahre lang ist der Benediktiner-Orden in Oberschwaben präsent: Das Kloster mit der prächtigen Barock-Kirche auf dem Martinsberg prägt das Stadtbild bis heute.

Solange das Kloster Weingarten besteht, ist der Heilig-Blut-Reiter immer ein Mönch. Doch 2010 verlassen die letzten Mönche Weingarten. Der Pfarrer der Gemeinde St. Martin übernimmt daraufhin das Amt.

Am Blutfreitag trägt der Heilig-Blut-Reiter das Reliquiar durch Weingarten und spendet während des Rittes den Segen mit der Reliquie, die er ununterbrochen in der Hand hält.

An den vier Stationsaltären sitzt der Pater vom Pferd ab, erteilt den Segen mit der Heilig-Blut-Reliquie und bittet um Bewahrung vor Unheil für Mensch, Tier und Feldfrucht vor Blitz, Hagel und Ungewitter.
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Mehr als 2000 Reiter, etwa 80 Musikkapellen und zahlreiche Ministranten - sie alle sind Teil des Blutritts. Und sie alle machen jedes Jahr Halt am Schmidhof. Nicht um zu beten. Nicht um sich neu zu formieren. Einzig und allein, weil eine Frau am Rand des Öschwegs auf die Fahnenträger wartet, um sie mit liebevoll geschmierten Broten zu versorgen. Das ist Franziska Schüle.

Seit vielen Jahren macht Schüle das Jahr für Jahr. Als geborene Schmid wuchs sie auf dem Hof ihrer Eltern auf, den mittlerweile ihr Neffe übernommen hat. An jedem Blutfreitag ist der Schmidhof Quartier für die „Gelben Husaren“, die Bürgergarde zu Pferd aus Altshausen. „Wir sind wie eine Familie. Es wird zusammen gegessen und gelacht. Ich freue mich jedes Jahr darauf, die bekannten Gesichter wiederzusehen“, sagte Schüle.

Besonders eines lasse sie sich nicht nehmen: die Versorgung der 14 Ministranten, die an der Spitze der Prozession die Fahnen tragen, um sie für den langen Weg zu stärken. „Die Fahnen sind sehr schwer und die Ministranten bringen ein großes Opfer für das Heilige Blut. Das weiß ich zu schätzen.“

Die Blutreiter kennen Franziska Schüle und sie kennt ihre Schützlinge. „Manche von den Buben, die ich damals mit einem Vesper versorgt habe, sind heute gestandene Männer“, sagte sie und schmunzelte. „Ich lebe für den Blutritt“, fügte sie hinzu. „Seit Generationen verehrt meine Familie das Heilige Blut. Diese Tradition ist ein Stück Weingarten. Sie ist unglaublich wichtig für mich und ich führe sie aus voller innerer Überzeugung weiter.“
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Der Tag

Wer den Blutritt erleben möchte, muss vor allem eines: früh aufstehen. Dabei bietet das Spektakel auch am Abend noch Programm.

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Das Programm des Blutrittes ändert sich von Jahr zu Jahr kaum. 2018 sieht der Zeitplan so aus:

Christi Himmelfahrt
19.15 Uhr Abendmesse in der Basilika
20.30 Uhr Festpredigt namhafter Geistlicher, anschließend Lichterprozession zum Kreuzberg
22.15 Uhr Orgelmusik

Blutfreitag
23.30 bis 3.00 Uhr Betstunden in der Basilika
5 bis 6 Uhr Eucharistiefeier  mit dem Heilig-Blut-Reiter
7 Uhr Beginn des Blutritts mit Übergabe der Heilig-Blut-Reliquie an Blutreiter
9 Uhr Pilgermesse
11 Uhr Empfang des Heilig-Blut-Reiters im äußeren Klosterhof
11.30 Uhr Pontifikalamt zur Segnung mit der Reliquie
15 Uhr  Kreuzwegandacht, Segnung mit der Heilig-Blut-Reliquie


Sehen Sie auf der nächsten Seite ein Video vom Blutritt 2014.
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Im Frühjahr 2018 hat die Stadt Weingarten den Antrag gestellt, den Blutritt auf die Welterbe-Liste zu nehmen. Bis eine endgültige Entscheidung fällt, wird es aber wohl noch einige Zeit dauern. 

Denn das Prozedere ist langwierig und kompliziert. Zunächst muss eine Bewerbung beim Land Baden-Württemberg eingehen. Vier Bewerbungen kommen in ein bundesweites Auswahlverfahren und zum Sekretariat der Kultusministerkonferenz. Diese Hürde hat der Blutritt bereits genommen.

Allerdings: Bei 16 Bundesländern sind 64 Vorschläge denkbar. Ein Expertenkomitee – die Deutsche Unesco-Kommission – filtert dann weiter aus. 

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Autoren
Ingrid Augustin, Mara-Lina Langbehn, Robert Michalla

Fotos
dpa, Felix Kästle, Tobias Kleinschmidt, Mara-Lina Langbehn, Roland Rasemann

Videos
Fabian Denkert, Heide Joos

Kontakt
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