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Der Bodensee friert zu - die Seegfrörne 1963

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Im Winter 1963 ereignet sich ein ganz besonderes Naturschauspiel auf dem Bodensee. Der gesamte See ist mit einer zentimeterdicken Eisschicht überzogen - ein Jahrhundertereignis, das sich bislang nicht mehr wiederholte. Doch der See fordert auch seine Opfer.
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Zeitgenössische Aufnahmen des Schweizer Fernsehens SRF zeigen die Begeisterung der Bevölkerung auf beiden Seiten des Sees. Zu hunderten tummeln sich Schlittschuhfahrer auf der Eisdecke, manch einer macht mit Bratwurst- oder Glühweinständen auf dem Eis ein Geschäft.

Der zugefrorene See erleichtert auch den Einkauf - kommen doch in Scharen Besucher von der deutschen Seeseite, um sich in der damals noch günstigen Schweiz einzudecken.
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Nachdem bereits Mitte Januar 1963 der Untersee und der Überlinger See zugefroren waren, bedeckt ab Anfang Februar auch den Obersee eine dicke Eisschicht. Der See ist von Lindau bis nach Bregenz begehbar, bald auch an seiner breitesten Stelle, über 14 Kilometer von Friedrichshafen nach Romanshorn (Schweiz).

Mehr als einen Monat lang, vom  7. Februar bis 10. März überqueren Tausende den See zu Fuß, mit dem Fahrrad und sogar dem Auto.
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Der Bodensee wird zur Landebahn für Kleinflugzeuge
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Vor Nonnenhorn richten die Lindauer Eisflieger um Franz Thorbecke einen richtigen Flugplatz ein. Dieser gilt auch offiziell als Flugplatz, so dass dort jeder Flieger starten und landen darf.
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Franz Daiber kann sich noch gut an den zugefrorenen See erinnern. Er sei damals mit seinem Vater mit dem Bus von Bad Waldsee nach Lindau gefahren, um das Spektakel aus nächster Nähe zu verfolgen, erzählt er.

"Abfahrt 10.15 Uhr, Ankunft Lindau 11.20 Uhr. Sogleich gingen wir zum "Hafen" Wo sonst immer Wellen peitschten, ja die große Wasserfläche ist erstarrt!'" So dokumentierte Daibers Vater die historischen Eindrücke vom 17. Februar 1963 mit seiner Schreibmaschine.

Besonders in Erinnerung geblieben ist Daiber der 15-minütige Rundflug, der vom Eis startete. Oben sehen Sie das Flugticket.




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6. März 1963: Eigentlich hätte er eine "reine Männertour" werden sollen, der Ausflug, zu dem Günter Glatthaar, dessen Vater und ein Bekannter von Nonnenhorn aus mit dem Rad aufbrachen.

Doch kurzfristig entschied sich Glatthaars Schwester dazu, doch mitzuradeln ans andere Ufer in der Schweiz - auf dem Gepäckträger, wie sich der gebürtige Lindauer erinnert.

Auf dem Rückweg begegnete die Gruppe einem Hamburger Zimmermann in voller Kluft, der in der Dämmerung noch in Richtung Schweiz unterwegs war. "Leider gibt’s da keine Fotos über das Treffen mit Plausch, denn das Blitzgerät lag zu Hause!", blickt Glatthaar auf diesen besonderen Tag zurück. 

Bei den Glatthaars hing allerdings an diesem Tag der Haussegen schief: "Am Abend musste sich mein Vater noch reichlich Vorwürfe von meiner Mutter anhören, denn sie wusste ja nichts von dem Ausflug ihrer Tochter".
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Als Erinnerungsstück an diesen denkwürdigen Tag hat Günter Glatthaar in Rorschach, am Schweizer Seeufer, eine Urkunde erhalten. 
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Den Propellerschlitten hatte Joachim Sievers mit seinem Kumpel Gerhard Blum zusammengeschweißt.
Den Propellerschlitten hatte Joachim Sievers mit seinem Kumpel Gerhard Blum zusammengeschweißt.
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Das Basteln war keine große Sache. Als Joachim Sievers und sein Kumpel Gerhard Blum Anfang März 1963 die Idee hatten, man könne sich mit einem propellergetriebenen Schlitten über das Eis des Bodensees bewegen, war der Weg zur Konstruktion nicht mehr weit. Schließlich hatten Blums Eltern eine Schlosserei in Konstanz. Metall, Schweißgeräte, ein Motor – alles war da.

„Das Ding hatten wir ruckzuck zusammengeschweißt“, sagt Joachim Sievers. Der 72-Jährige erinnert sich gerne an die Zeit vor 50 Jahren, als der Bodensee zugefroren war. „Das war für mich mit die schönste Zeit in meinem Leben“, sagt Sievers. Der spätere Bauamtsmitarbeiter in Ehingen studierte damals in Konstanz und hatte auch sonst in der Stadt am Bodensee seinen Spaß.

Er war mit dem damaligen Adelsspross Jan Bernadotte befreundet und genoss das Leben. „Das war meine Sturm-und-Drang-Zeit“, sagt er lachend. Dazu gehörte auch das Abenteuer, auf dem Eis mit einem dreirädrigen Propellerschlitten zu fahren.Nachdem erste Tests des Gefährts erfolgreich verlaufen waren, sollte es von der Insel Reichenau losgehen. Doch Schnee auf dem Eis machte die erste Fahrt problematisch. Erst nach Schneeschippen ging es – aber so gut, dass Sievers und Blum mehr wollten.

„Wir sind nach Staad runter und haben auf einer längeren Strecke Vollgas gegeben“, erzählt Sievers. Staad ist der Konstanzer Stadtteil direkt an der Fähranlegestelle. 40 bis 45 Sachen schnell ging das Gefährt und auch Zeitungsreporter wurden damals aufmerksam und machten über die beiden Tüftler eine Geschichte. „Wenn man da in Staad losfuhr, hörte man den auf der anderen Seite in Meersburg schon“, sagt Sievers. Da war allerdings schon der 9. März und das Eis begann in diesen Tagen zu schmelzen.

Sievers und Blum bastelten da gerade an einem neuen Motor, denn der alte hatte sich nach einer Tuning-Aktion mit einem lauten Knall verabschiedet. Zu einer weiteren Fahrt kam es dann nicht mehr: „Bis wir fertig waren, war das Eis schon weg“, sagt Sievers lachend.
Den Propellerschlitten hatte Joachim Sievers mit seinem Kumpel Gerhard Blum zusammengeschweißt.
Den Propellerschlitten hatte Joachim Sievers mit seinem Kumpel Gerhard Blum zusammengeschweißt.
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Ausgerüstet mit Rheumadecken, Perlonschlafsäcken und Luftmatratzen schlagen Heinrich Böhringer (links) und Dieter Kraus auf halber Strecke zwischen Nonnenhorn und Rohrschach ein wetterfestes Zelt auf. Drei Nächte dauert das Abenteuer.  Und obwohl eines Morgens unter dem Zelt ein halber Zentimeter breiter Riss verläuft, machen sich die beiden jungen Burschen keine Sorgen.
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13-mal überquert der damals 18-jährige Julius Pietruske aus Langenargen den zugefrorenen See mit seinem Fahrrad und zu Fuß. 25 Minuten braucht er auf der „Eisautobahn“ ins schweizerische Arbon.
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Tausende Pilger und Besucher zieht die Eisprozession von Hagnau nach Münsterlingen im Kanton Thurgau an. Dahinter steckt eine lange Tradition. Den Brauch der Eisprozession über den zugefrorenen See gibt es bereits seit 1573.
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Auf seinen Schultern lastet große Verantwortung. Guido Hess trägt die Büste des Heiligen Johannes bei der Eisprozession von Hagnau nach Münsterlingen über den zugefrorenen See in die Schweiz.

Seine Erinnerungen hat die Erzdiözese Freiburg in einem Video mit zeitgenössischen Filmaufnahmen festgehalten.

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Christine und Roland Stärr mit Urkunden und Bildern, die den Ritt über den Bodensee belegen.
Christine und Roland Stärr mit Urkunden und Bildern, die den Ritt über den Bodensee belegen.
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Für viele Schulkinder hat die Sage „Der Reiter und der Bodensee“ von Gustav Schwab zur Pflichtlektüre gehört. Georg Stärr aus Fischbach bei Friedrichshafen war als Schulbub von der Geschichte fasziniert. „Wenn das passiert, dass der See zufriert, dann reite ich über den Bodensee“, hat er damals zu seinem Lehrer gesagt.

Das war Anfang der 1920er-Jahre. Bei der Seegfrörne 1963 war es dann so weit und „Schorsch“, wie er von allen genannt wurde, konnte sein Versprechen wahrmachen. Sein Sohn Roland Stärr war damals elf Jahre alt und erinnert sich noch gut an die Seegfrörne und die „Experimente“ seines Vaters.

„Bevor er über den See geritten ist, ist er ein paar Mal zu Fuß und mit dem Fahrrad drüben gewesen“, erzählt Roland Stärr. Anfangs hat er eine Leiter dabeigehabt, um sich retten zu können, wenn das Eis bricht.

Seiner Frau Else hat er nichts von seinen Ausflügen erzählt. „Die hätte einen Herzkasper gekriegt“, wird der „Schorsch“ zitiert. Nur seine Kinder waren eingeweiht. „Wenn ich nicht mehr heimkomme, dann bin ich versoffen“, hat er gesagt, bevor er auf den See gegangen ist.

Am 12. Februar 1963 sollte die Prozession von Münsterlingen nach Hagnau stattfinden, um die Büste des Heiligen Johannes zurück in die Schweiz zu holen. Georg Stärrs Plan: Die Schweizer Gläubigen in Münsterlingen mit „Monika“ abzuholen. Monika war das Pferd, das er sich von Landwirt Marschall aus Raderach ausgeliehen hatte. Um auf Nummer sicher zu gehen, wollte er den Haflinger eigentlich versichern lassen. Daraus wurde jedoch nichts. 
„Das ist Leichtsinn, den kann man nicht versichern“, bekam er zur Antwort.

Eine weitere Hürde bauten die Schweizer Behörden auf, die für „Monika“ die Einreise verweigerten. „Wäre er an Land gegangen, hätten sie ihn vielleicht geschnappt und verhaftet“, erzählt Roland Stärr.

Nachdem Metzger Hermann Schwaderer den Haflinger in seinem Anhänger aus Raderach geholt hatte, sind Georg Stärr und Monika in aller Frühe Richtung Münsterlingen gestartet. Im Dunkeln, bei Schneesturm und ohne Kompass war das kein ungefährliches Unterfangen. Aber Schorsch wusste sich zu helfen und achtete darauf, dass der Schnee immer von derselben Seite kam. Auch für „Monika“ war der Ritt stressig, weil das Eis immer wieder gekracht hat. „Mein Vater hat ein Kilo Würfelzucker verfüttert, damit das Pferd ruhig bleibt“, erzählt Roland Stärr.

Die Gläubigen schauten nicht schlecht, als sie sich morgens um 9 Uhr nach dem Gottesdienst auf den Weg über das Eis nach Hagnau machen wollten, denn am Ufer warteten Hunderte von Menschen, um sich der Prozession anzuschließen und – hoch zu Ross – der Fischbacher Georg Stärr. Er führte den Zug ans deutsche Ufer an, wo man ebenso erstaunt war. „Da kommt ein Schweizer Reiter“, riefen die Hagnauer, die nichts von der Aktion des Fischbachers ahnten. Entgegen anderslautenden Berichten hat Georg Stärr „Monika“ anschließend eine weitere Überquerung des Bodensees erspart und den Heiligen Johannes nicht in die Schweiz begleitet.

In die Geschichte ist Georg Stärr mit seinem Ritt über den Bodensee allemal eingegangen. An das aufsehenerregende Ereignis erinnern zwei Gemälde: eins am Wohnhaus des Reiters in der Zeppelinstraße in Fischbach und eins am Kiosk beim „Zum Schorsch“, den Georg Stärr gegründet hat und der mittlerweile von seinem Sohn Roland Stärr geführt wird. Georg Stärr ist 1999 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Seine Geschichte lebt weiter.
Christine und Roland Stärr mit Urkunden und Bildern, die den Ritt über den Bodensee belegen.
Christine und Roland Stärr mit Urkunden und Bildern, die den Ritt über den Bodensee belegen.
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Zu Pferd überqueren auch Anton und Pius Meßmer den Bodensee - an seiner breitesten Stelle. Nach rund 45 Minuten im Trab erreichen sie auf ihren Rössern Lori und Pfeil das Schweizer Ufer bei Rorschach. 
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Aus dem Album von Wilfried Joos stammt dieses Bild, das Franz Thorbecke vor 50 Jahren aus der Luft vom Tanz der Nonnenhorner Schäffler auf dem Eis gemacht hat.
Aus dem Album von Wilfried Joos stammt dieses Bild, das Franz Thorbecke vor 50 Jahren aus der Luft vom Tanz der Nonnenhorner Schäffler auf dem Eis gemacht hat.
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„Schäfflertanz erstmals auf dem Eis des Bodensees!“, versprachen die Papierstreifen, die am Nachmitttag des 7. Januar 1963 in Nonnenhorn und den umliegenden Gemeinden aufgetaucht waren. Sie kündigten für den kommenden Sonntag etwas an, was es bis dahin nie gegeben und wohl auch - wie die Schwaben sagen - „in hundert kalte Winter ´net“ wieder geben wird. Den traditionellen Schäfflertanz auf dem dicken Eis des Bodensees.

Der eiskalte Winter hatte den schneidigen Schäfflern schon während der regulären Aufführungen am 27. Januar zu schaffen gemacht. Es war das erste Jahr in dem keine Tänzer, die älter als 40 Jahre waren, mehr mittanzen durften. „Damals wurde noch an mehreren Stellen im Dorf getanzt“, erinnert sich Wilhelm Gierer, damals Vortänzer und Schriftführer.
Das Thermometer sank am Aufführungsmorgen auf minus acht Grad und der Mut der Schäffler noch tiefer. „Doch alles ging gut und der Beifall war stark“, heißt es in der Chronik. An diesem Abend, der im „Gasthof zum Engel“ ausklang, ahnten die Tänzer noch nicht, dass ihnen dieser Winter noch ein größeres Erlebnis bescheren sollte.

Es war am Donnerstag, dem 7. Februar, als der damalige Vorsitzende Ferdl Schorer morgens um 9 Uhr zu einer Sitzung rief. Die Idee: Die Schäffler sollten auf dem zugefrorenen See tanzen. Aber würde das Eis auch eine so große Menschenmenge tragen? Würden die synchronen Schritte der Schäffler nicht das Eis zum Schwingen bringen, so dass es brach? Zehn Zentimeter dick war die Eisschicht am Landungssteg. Landratsamt und Wasserschutzpolizei hatten vorher jegliche Verantwortung abgelehnt.
Am Aufführungstag selbst taten die Schäffler alles, damit ihr Wagnis gut gehen konnte. Sie übten den Tanz ein weiteres Mal zur Auffrischung.

Doch wie immer, wenn man etwas besonders gut machen will, tut man zu viel des Guten. Weil sie dachten, dass es Probleme mit der Glätte des Eises geben könnte, streuten sie auf ihren Tanzplatz Sand.
Doch nach dem Mittagessen inspizierte Josef Hornstein Senior den Tanzplatz und musste feststellen, dass sich dort, wo der Sand lag, Wasserlachen gebildet hatten. Noch heute ist der Fleck auf Luftaufnahmen vom damaligen Schäfflertanz gut zu sehen. Sollte der Tanz im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen?

Der Nonnenhorner Gemeinsinn war damals schon recht ausgeprägt. Die Schäffler baten die Feuerwehr um Hilfe. Diese hielt ihnen eine entsprechend große Fläche auf dem Eis frei. Und das war nötig. 2500 Zuschauer fanden sich ein, um bei diesem einmaligen Erlebnis dabei zu sein. Sie bevölkerten das stabile Eis im strahlenden Sonnenschein.
Bald strahlten die Gesichter der Tänzer mit der Sonne um die Wette. Reifenschwinger und Clowns, Küfer und Tänzer begeisterten das Publikum so, dass sie eine halbe Stunde später ein weiteres Mal aufs Eis mussten. Es war wohl ein beeindruckendes Bild. Die Chronik fragt aber, „was die Fische wohl zum seltsamen Treiben der Menschlein sagen?“ Sie werden sich wohl gewundert haben.
Aus dem Album von Wilfried Joos stammt dieses Bild, das Franz Thorbecke vor 50 Jahren aus der Luft vom Tanz der Nonnenhorner Schäffler auf dem Eis gemacht hat.
Aus dem Album von Wilfried Joos stammt dieses Bild, das Franz Thorbecke vor 50 Jahren aus der Luft vom Tanz der Nonnenhorner Schäffler auf dem Eis gemacht hat.
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Bei fahlem Mondschein bricht Hansjoerg Traut in der Nacht auf den 4. März mit seinem Eissegler auf.

„Immer wieder schob ich den Eisschlitten von Hand über eisige Stufen, um danach wieder den Nervenkitzel der rasenden Fahrt und das Pfeifen des Windes in den Wanten und an den Spieren mit allen Sinnen zu genießen,” erinnerte sich Traut im Jahr 2013 anlässlich einer großen Serie der Schwäbischen Zeitung zur Seegfrörne.
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Immer wieder brechen Menschen ins Eis ein. Nicht alle können gerettet werden.
Immer wieder brechen Menschen ins Eis ein. Nicht alle können gerettet werden.
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So eindrucksvoll das Jahrhundertereignis Seegfrörne 1963 auch gewesen sein mag, es hat einige Menschen das Leben gekostet. Ein Mann ist zwischen der Halbinsel Höri und der Schweiz mit dem Fahrrad eingebrochen und ertrunken, Menschen wurden vermisst und nicht wieder gefunden, anderen gelang die Rettung, weil sich Eisgänger in unmittelbarer Nähe befanden, die ihnen helfen konnten.
Ganz besonders tragisch hingegen ist auch heute noch der Erfrierungstod zweier Jugendlicher auf einer Eisscholle nahe Friedrichshafen. Am 22. Februar 1963 wurden die beiden Jungen tot auf dem Eis entdeckt. Ein Unglück, an das sich die Schwester einer der beiden Freunde mit Wehmut und Zorn erinnert.

Die beiden Jungen spielten am Ufer am Seemooser Horn. Vieles weiß Monika W. aus den Erzählungen ihres Vaters, ihre eigenen Erinnerungen sind nur bruchstückhaft. Unvergessen aber sind die Sorge der Eltern, die Not in der Nacht und das schreckliche Ende der Geschichte am folgenden Sonntagmorgen.

Die beiden Jungen hatten gegen 16 Uhr noch für eine Stunde Schlittschuhlaufen wollen. Sie betraten den See am alten Zollhaus am Seemooser Horn. Die folgenden Ereignisse sind nur durch Augenzeugen belegt, die ihre Aussagen in einer Vorverhandlun gvor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Ravensburg zu Protokoll gaben. Ein Hauptverfahren gegen zwei Polizeibeamte der Wasserschutzpolizei wegen unterlassener Hilfeleistung wurde vom Gericht nicht zugelassen.

Um 17 Uhr etwa haben Mitarbeiter des damaligen Porsche-Diesel-Werkes – dort, wo heute das MTU-Werk 2 am See steht – zwei Jungen auf einer Eisscholle beobachtet, die gewunken und gerufen hätten. Der Zeuge L., der im Verwaltungsgebäude der Firma Porsche einen langen Riss im Eis bemerkt und zwei Kollegen darauf aufmerksam gemacht hatte, sagte später vor Gericht aus, dass er zwei Personen jenseits des Eisrisses beobachtet habe.

Es handelte sich um die beiden Freunde Kurt H. und Peter S., wie sich später herausstellte. Die drei Mitarbeiter verständigten gegen 17.30 Uhr umgehend die Wasserschutzpolizei, da sie die Gefahr erkannt hatten, in denen sich die beiden Personen auf dem Eisbefanden. Die Meldung bei der Wasserschutzpolizei beinhaltete schon zu diesem Zeitpunkt detaillierte Angaben über den Ort des Geschehens und mögliche Hilfsmaßnahmen.

L. und seine Kollegen hatten von Hubschraubern gesprochen, die aber schnell kommen müssten, weil es dunkel werde. Einer der Beschuldigten, der PolizeimeisterK., nahm den Anruf entgegen. „Obwohl er die Mitteilung des Zeugen L. wichtig ansah, ergriff er bis zur Rückkehr des beschuldigten Polizeimeister S. (…) keine Maßnahme, insbesondere erbat er nicht bei der Heeresfliegerstaffel Friedrichshafen den Einsatz von Hubschraubern, die sich um diese Zeit im Raum Friedrichshafen zu Übungs- und Versorgungsflügen noch in der Luft befanden und über Funk leicht zur Suchaktion bis gegen 18.20 Uhr hätten herangezogen werden können.“

Die Situation sollte sich noch verschlimmern. Gegen 17.40 Uhr kam der Kollege zurück in die Wache, K. informierte ihn über die Beobachtungen des Zeugen L., ohne jedoch den sich ständig verbreiternden Eisriss zu erwähnen. Weitere zehn Minuten später rief S. laut Verhandlungsprotokoll ins Porschewerk zurück und teilte mit, dass kein Hubschrauber zur Verfügung stehe – ohne dass er sich darüber bei der Heeresfliegerstaffel erkundigt hätte.

Gegen 18 Uhr organisierten sich die Wapo-Beamten ein Fahrzeug bei der Verkehrspolizei, da sie selbst über keinen Wagen verfügten und ihr Boot eingefroren war. Sie fuhren zum Werksgelände und schauten sich vor Ort um, kamen dort gegen 18.20 Uhr an. Es war dunkel, laut Wetterdaten ging an diesem Tag die Sonne um17.52 Uhr unter.

Erst gegen 18.32 Uhr bat der Beschuldigte S. die Heeresflieger um Hilfe. Dies war zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr möglich, da sich die Sichtverhältnisse verschlechtert hatten und die Piloten nicht mehr starten konnten. Die Wapo-Beamten beließen es dabei, sie forderten weder beim Zollkommissariat Friedrichshafen noch beim Württembergischen Yachtclub Boote an.

Auch gab der Beschuldigte S. zu Protokoll, dass er keine Ahnung gehabt habe, wie das Eis ausgesehen habe. Er ging von einer geschlossenen Eisfläche aus und folgerte daraus, dass die beiden Personen sich selbst hätten helfen können. S. hatte die Eisberichte nicht beachtet, in denen die tatsächliche Lage vermerkt war.

Erst um 20.16 Uhr wurden die Wapo-Kollegen in Konstanz unterrichtet, zwischen 21.10 und 22.15 Uhr gingen dann die Vermisstenanzeigen der Familien ein. Für einen Hubschraubereinsatz war es jetzt zu spät. Am folgenden Tag fand einer der drei eingesetzten Hubschrauber gegen 9.15 Uhr die beiden Jungen „auf einer vier mal vier Meter großen Eisscholle in einem Packeisgürtel etwa 600 bis 800 Meter vom Schweizer Ufer bei Güttingen entfernt“. Sie waren erfroren.

Das Gericht kommt zu der Erkenntnis, dass die Beschuldigten sich zwar eingesetzt, aber nicht die nötigen Maßnahmen ergriffen hätten. Eine vorsätzliche Handlung scheidet damit aus und eine Verurteilung werde somit nicht möglich sein. Ferner ging das Gericht davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, die Jungen auch mit einem Hubschrauber zu retten, wegen der schlechten Sicht sehr gering gewesen sei.

Für Monika W. ist das kein Trost. Die Hilfe hätte besser funktionieren müssen, die Wapo habe ein Trauerspiel abgegeben und die Nacht sei sternenklar gewesen, habe ihr Vater stets erzählt. Stattdessen seien ihre Eltern auf der Beerdigung der beiden von den Eltern des anderen Jungen heftig angegangen worden. „Meinem Vater ist vorgeworfen worden, er habe nichts getan, um die Kinder zu retten“, erinnerte sich Monika W. mit Tränen in den Augen. Und: „Mein Vater hat immer wieder erzählt, dass der Beamte, den er angerufen hatte, seine Meldung zunächst für einen Fasnets-Scherz gehalten hat.“Der 22. Februar 1963 war der Fasnets-Samstag.
Immer wieder brechen Menschen ins Eis ein. Nicht alle können gerettet werden.
Immer wieder brechen Menschen ins Eis ein. Nicht alle können gerettet werden.
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Schnee und Kälte wird es auch künftig am Bodensee geben - ob es aber so frostig wird, dass der ganze See mit einer dicken Eisschicht bedeckt wird, ist fraglich.
Schnee und Kälte wird es auch künftig am Bodensee geben - ob es aber so frostig wird, dass der ganze See mit einer dicken Eisschicht bedeckt wird, ist fraglich.
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Tausende Menschen auf dem Bodensee. Es gibt Stände mit Glühwein und Würstchenverkäufer. Und Zollbeamte, die auf Schlittschuhen unterwegs sind, um Schmuggler zu erwischen. Es ist Seegfrörne. Doch von der nächsten werden die kommenden Generationen wohl eher in Büchern lesen als dass sie selbst eine erleben.

Der Grund: Die Wassertemperatur des Bodensees steigt kontinuierlich. Und auch die Lufttemperatur insgesamt ist gestiegen. „In der Tradition unseres pensionierten Kollegen Gustav Wagner messen wir seit Anfang der 60er-Jahre durchgehend die Wasser- und die Lufttemperatur“, erklärt Herbert Löffler, Pressesprecher des Instituts für Seenforschung in Langenargen.

„Dahinter steckt die Internationale Gewässerschutzkommission. Durch sie kamen die Monitoringarbeiten ins Rollen.“ Ein Parameter für diese Arbeiten: Mindestens einmal im Monat wird am zentralen Messpunkt im Bodensee zwischen Fischbach und dem Schweizer Uttwil von der Oberfläche bis zu einer Tiefe von 254 Metern die Wassertemperatur gemessen. Früher haben die Forscher dafür ein hochpräzises Kippthermometer verwendet. In der vorgegebenen Tiefe riss durch einen Auslösemechanismus der Quecksilberfaden – schon vor Jahren war damit eine hochgenaue Messung möglich. Heute nehmen sie für die Temperaturmessung elektronische Sonden.

Der Trend seit den 60erJahren: In einer Wassertiefe von 50 Zentimetern nimmt die Temperatur pro Jahr um 0,03 Grad Celsius zu. Das hört sich zunächst nach wenig an. Rechnet man diese Zahl aber hoch, ergibt sich in 40 Jahren ein Anstieg von 1,2 Grad Celsius. Hinzu kommt: Einer Seegfrörne müssen lang dauernder Frost und sehr geringe Luftbewegungen vorausgehen. Auch diese Bedingungen werden wohl aufgrund der Klimaerwärmung zunehmend unwahrscheinlich.

Konkret gibt es derzeit zwei Programme, in denen Wissenschaftler Prognosen für die Zukunft erarbeiten: „Kliwa“, ein Projekt des Deutschen Wetterdienstes und der Länder Baden-Württemberg und Bayern, beschäftigt sich seit 1998 mit dem Thema „Klimaveränderung in der Wasserwirtschaft“. Ein erstes Fazit: Vor allem im Winter wird es insgesamt gesehen wärmer.

So wird es 2050 in der Bodenseeregion nur noch halb so viele sogenannte Eistage – das sind Tage, an denen die Temperatur unter 0 Grad Celsius bleibt - geben. „Kalte Temperaturen sind dabei kein Widerspruch, denn die Kurve geht nicht geradlinig nach oben“, sagt Herbert Löffler.


Schnee und Kälte wird es auch künftig am Bodensee geben - ob es aber so frostig wird, dass der ganze See mit einer dicken Eisschicht bedeckt wird, ist fraglich.
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Die in diesem Storytelling abgebildeten Fotos stammen von unseren Lesern Georg Kurz, Franz Daiber, Günter Glatthaar, Franz Thorbecke, Eugen Metzger, Hansjoerg Traut, Julius Pietruske sowie dem Stadtarchiv Konstanz. Weitere Bilder: dpa, Gunthild Schulte-Höppe  

Die meisten Texte, hier leicht gekürzt veröffentlicht, sind im Rahmen einer Serie zu 50 Jahren Seegfrörne im Frühjahr 2013 in der Schwäbischen Zeitung erschienen.
Die Autoren: Ralf Schäfer, Markus Riedl, Hildegard Nagler, Jürgen T. Widmer, Gunthild Schulte-Hoppe

Produktion: Christian Schellenberger





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