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Drüben ist KriegFluchtgeschichten aus dem Irak
der "Schwäbischen Zeitung"
beschäftigt sich 2016
mit dem Thema Fluchtursachen.
Diese Multimedia-Geschichte wurde
vor Ort im Nordirak recherchiert.
Sie lässt Flüchtlinge ebenso
zu Wort kommen
wie ihre Helfer.
Bilder, Videos und Texte:
Jasmin Off, Christoph Plate
Impressum
schwaebische.de/weihnachtsspendenaktion
Texte und Bilder:
Christoph Plate
Jasmin Off
Videos, Produktion Storytelling:
Jasmin Off
Agenturen:
dpa, epa; Islamic State Video; Handout
Verantwortlich:
Yannick Dillinger
Kontakt:
schwäbische.de
Karlstraße 16
88212 Ravensburg
online@schwaebische.de
Copyright:
Schwäbische Zeitung 2016 - alle Rechte vorbehalten
Resala"Mein Herz ist aus Stein"
2. August 2014: IS-Terroristen überfallen die Region Shingal in den irakischen Bergen - das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden.
Sie brandschatzen, vergewaltigen, morden. Tausende werden auf ihrer Flucht in den Bergen eingeschlossen.
Die 28-jährige Resala al-Sharkani kann fliehen.
Ihre Mutter ist bis heute verschollen.
"Das werde ich nie vergessen"
Resala erzählt von ihrer dramatischen Flucht aus den Bergen
Dies ist eines der wenigen Bilder, die es vom selbst ernannten Chef des "Islamischen Staates", Abu Bakr al-Baghdadi, gibt.
Die junge Jesidin Amina war monatelang in seiner Gewalt, bevor sie entkommen konnte.
Nach ihrer Flucht erzählte sie ihre Geschichte.
In den Händen des Terrorchefs
....
In dieser Zelle befanden sich noch etwa 60 bis 70 Mädchen, alle zwischen 10 und 16 Jahre alt. Sie stammten aus verschiedenen Dörfern im Shingal-Gebiet. Untereinander haben wir kaum gesprochen, weil meine Kehle wie zugeschnürt war und ich nur noch meine Schwester festhalten wollte. Von draußen hörten wir Schüsse und Schreie. Solche Schreie hatte ich vorher noch nie gehört. Wir machten uns noch kleiner, und ich zog den Kopf meiner Schwester Leyla noch fester an meine Brust.
...
Jeden Tag schlurften irgendwelche Männer vorbei und haben sich Mädchen ausgesucht. Wer von uns sich gewehrt hat, wurde geschlagen. Am 18. Tag verlangten zwei IS-Milizen nach meiner kleinen Schwester. An meinem Bauch spürte ich den Herzschlag meiner Schwester, so stark hielten wir uns umschlungen und gemeinsam flehten wir: „Bitte, nehmt uns wenigstens zusammen mit!“
....
Seitdem ich in ihrer Gefangenschaft war, fühle ich mich hässlich. Ich bin Jesidin. Mein Haar ist lang und schwarz gelockt. Ich bin dünn. Meine Augen sind groß und schwarz wie Kohle. Die Schatten darunter sind tief. Meine Haut ist weiß wie mein T-Shirt. Ich bin in einer aufgeschlossenen und modernen Familie aufgewachsen. Bis zum 3.August 2014, dem Tag des Überfalls, lebte unsere Familie gut.
(Auszug aus "Die Psychologie des IS - Die Logik der Massenmörder" von Jan Ilhan Kizilhan und Alexandra Cavelius) Berlin 2016
Heilung für versehrte Seelen
Professor Jan Ilhan Kizilhan aus dem Schwarzwald kümmert sich um ihre Therapie.
Er erforscht seit Jahren, was Krieg und Terror im Innern eines Menschen anrichten.
Professor Jan Ilhan Kizilhan über die Logik der Massenmörder
"Bei den IS-Terroristen findet eine Entmenschlichung statt"
Der Terror hält an
Die, die fliehen konnten, leben in den Flüchtlingscamps rund um die nordirakischen Städte Erbil und Dohuk.
In Shingal lebten einst 40 000 Menschen. Ob ihre alte Heimat wieder aufgebaut werden kann, ist unklar.
Eine Fahrt ins Shingalgebirge
Zwei Jahre nach dem Einfall der Terroristen sorgen kurdische Peshmerga-Kämpfer für Sicherheit. Noch heute kommt es hier zu Angriffen von IS-Kämpfern.
"Operations to liberate areas surrounding Mosul launched today. First stage of our offensive has been swift and decisive. Daesh is in retreat"
Am 16.10.2016 verkündet Iraks Premierminister al-Abadi auf Twitter den Start der Offensive auf Mossul - die letzte große Bastion des IS. Der Kampf dauert an.
Marius"Im Camp geht es uns gut"
Die meisten von ihnen sind Christen, als der IS kam, flohen sie aus den Dörfern rund um Mossul in die Stadt Erbil.
Einige konnten Teile ihres Hab und Guts retten oder mit dem Auto fliehen, andere mussten nachts Hals über Kopf ihre Häuser verlassen.
Im christlichen Flüchtlingscamp in Erbil
Weihnachten in der Fremde
Darum biegt sich der Tisch unter zehn, fünfzehn Tellern mit gefüllten Teigtaschen, Radieschen, Roter Beete, Kebabspießen und Salat, Baklava-Süßspeisen.
Vor eineinhalb Jahren kamen sie hierher, nachdem sie Monate im Rohbau eines Einkaufszentrums in Erbil gewohnt hatten.Dass sie Weihnachten bald wieder in ihrer Heimat feiern können, das ist ihre große Hoffnung.
Sie stehen im Nordirak unter dem Schutz der Kurden. Die stellen im Gesamtirak aber ebenfalls eine Minderheit und müssen sich ihre Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Bagdad täglich mühsam erstreiten.
"Bürger sechster Klasse"
Salim Kako über die Lage der Christen im Irak.
Die Zerstörung in ihrer Heimat können Sie nur erahnen.
Ihr Glaube aber gibt ihnen Halt. "Wenn wir was nicht schaffen, warten wir auf unseren Gott".
Ihre Zahl wird weltweit auf bis zu 800.000 geschätzt, die meisten davon leben im Irak. In Deutschland gibt es etwa 100.000 Jesiden.
Im Norden des Irak liegt Lalisch - ihr zentrales Heiligtum, ihr Pilgerort.
Das Shingalgebirge - der Berg - ist ihr "Bruder". Viele der Flüchtlinge arbeiteten in ihrer alten Heimat als Bauern.
Jesiden suchen stets die Verbindung zur Erde, zum Mond, zu den Elementen.
Auch deshalb ist es entscheidend, den Flüchtlingen zu helfen, vor Ort bleiben zu können.
Das Land Baden-Württemberg unterstützt ab 2017 etwa den Aufbau eines Trauma-Therapiezentrums in Dohuk.
Manal"Ich bin froh, eine Aufgabe zu haben"
Manal lebt zusammen mit mehr als 5000 Menschen im Flüchtlingsdorf Mam Rashan im Nordirak.
In ihrer Heimat war sie Bäuerin, heute arbeitet
die 28-Jährige im Camp als Bäckerin.
Es gibt schönere Orte zum Leben. Aber wer hier lebt, lebt.
Bis dorthin sind es 60 Kilometer, Mossul - die letzte große Bastion des IS - ist nur 50 Kilometer entfernt.
Hier leben die Ärmsten der Armen, die meisten von ihnen sind Jesiden - jene Menschen, die 2014 aus ihrer Heimat im Shingalgebirge vertrieben wurden.
Nach und nach wurden von der Regierung der autonomen Region Kurdistans zahlreiche Camps errichtet.
In den meisten wohnen die Flüchtlinge in Zelten. Mam Rashan ist eine Ausnahme: Hier leben die Familien in Containern.
Im Winter wird es hier klirrend kalt, der Container bietet dann eine geschützte Unterkunft.
In den Containern gibt es fließend Strom und Wasser, der Container ist an das Abwassernetz des Camps angeschlossen.
Der Container kann dafür leicht auf einen Tieflader geschoben werden und zurück in das Shingalgebirge transportiert werden.
Warum der Container ein Segen ist
Die Unterbringung mag vielen unwürdig erscheinen, auch in Deutschland wurde immer wieder kontrovers über Container diskutiert. Im Irak sind sie für die Geflüchteten ein Segen.
Im Winter wird es hier klirrend kalt, der Container bietet dann eine geschützte Unterkunft.
Wasser und Strom
Die Container in Mam Rashan sind 30 Quadratmeter groß, sie haben zwei Zimmer - ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer, dazu eine Küchenzeile und ein kleines Bad.
In den Containern gibt es fließend Strom und Wasser, der Container ist an das Abwassernetz des Camps angeschlossen.
Mobiles Zuhause
Sobald der Krieg vorüber ist und für Sicherheit gesorgt werden kann, wollen die meisten der Flüchtlinge von hier zurück in ihre alte Heimat in den Bergen.
Der Container kann dafür leicht auf einen Tieflader geschoben werden und zurück in das Shingalgebirge transportiert werden.
Leben in Mam Rashan
Jelal Jardo kam vor zwei Jahren mit seiner Familie ins Camp.
Jelals Tochter Maram ist 6 Jahre alt und seit ihrer Geburt querschnttsgelähmt. Seit die Familie vor zwei Jahren vor dem IS fliehen musste, trug ihr Vater sie täglich durchs Camp.
"Schwäbischen Zeitung" konnte ihr bereits ein Rollstuhl finanziert werden.
Weitere Spenden gehen in den Aufbau von neuen Containern.Damit noch mehr Menschen in Mam Rashan ein Dach über dem Kopf bekommen.
Und damit die Geflüchteten nahe ihrer Heimat eine Bleibeperspektive bekommen.
2014 und 2016
zwei Jahre später 1300.
Platz ist für 2000 Container.
Hagi Farid "Die Flüchtlinge sind kein Problem"
Wer hier ankommt, wird in einer Erstaufnahmeeinrichtung zunächst medizinisch versorgt, dann werden die Personalien überprüft.
De Flüchtlinge werden dann, nach Ethnien getrennt, auf die Camps verteilt.
Im Nordirak kommen mittlerweile auf fünf Millionen Einwohner 3,5 Millionen Geflüchtete.
In der vom IS kontrollierten Stadt Mossul leben 1,5 Millionen Zivilisten, von denen sich viele in den vergangenen Wochen ebenfalls auf die Flucht gemacht haben.
Erbil, Dohuk, Lalisch - Eindrücke aus dem Irak
Leben im Rohbau
Alle, die hier leben, hoffen, dass sie so schnell wie möglich umziehen können - doch die Wartelisten für die Camps sind lang. Bevorzugt wird, wer kranke Angehörige pflegt oder kleine Kinder hat.
Die Fenster und Türen der Rohbauten sind nur notdürftig mit Platstikplanen verschlossen, das Leben hier ist karg und kalt.
"Wir bereiten uns auf die Ankunft von mehr Flüchtlingen vor" Farhad Ameen Atrushi ist Gouverneur der nordirakischen Provinz Dohuk. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage.
"Wir bereiten uns auf die Ankunft von mehr Flüchtlingen vor" Farhad Ameen Atrushi ist Gouverneur der nordirakischen Provinz Dohuk. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage.
In den Krankenhäusern sind 60 bis 70 Prozent der Patienten Vertriebene, sodass viele Einheimische in Privatkliniken gehen müssen.
Um die wenigen Arbeitsplätze wird auch konkurriert, wenn die Vertriebenen bereit sind für geringere Löhne zu arbeiten. Es gibt eine Bedrohung durch Krankheiten und Seuchen. Und es gibt die erwähnte Sicherheitslage, es gibt Probleme mit Kriminalität und Räubereien. Aber das sind Einzelfälle."Farhad Ameen Atrushi ist Gouverneur der nordirakischen Provinz Dohuk. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage.Farhad Ameen Atrushi ist Gouverneur der nordirakischen Provinz Dohuk. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage.
Ihre Wünsche, ihre Hoffnungen
Ich sage dir eins: Jene Kriege, die von klugen Männern geführt werden, sind tausendmal dreckiger als jene Kriege, in denen wilde, ahnungslose Männer, wie wir es waren, aufeinander losgehen."
Der kurdische Autor Bachtyar Ali in seinem neuesten Buch "„Der letzte Granatapfel“.