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Unser Handwerk

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Unser Handwerk

Das Handwerk ist in Baden-Württemberg eine der wichtigsten Säulen der Wirtschaft. Doch die Betriebe stehen vor großen Herausforderungen – durch die Digitalisierung, die zunehmende Konkurrenz aus Nachbarländern, die Energiewende oder die Suche nach Fachkräften. Wie Bäcker, Maurer, Dachdecker, Metzger und Schreiner mit diesen Veränderungen umgehen, zeigt diese kontinuierlich wachsende Multimedia-Reportage mit Beiträgen aus der großen Serie "Unser Handwerk" der Schwäbischen Zeitung und Schwäbische.de.
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Das Handwerk boomt

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Sommer 2016. Dachsanierung eines Reihenhauses in der Ravensburger Weststadt. Die Isolierung ist fertig, die neuen Ziegel glitzern in der Sonne. Ein Flaschner aus einer Gemeinde im Westen des Kreises Ravensburg klettert auf das Gerüst, das der Dachdecker für ihn stehen gelassen hat, um die Dachrinnen anzubringen. „Eigentlich ist mir so ein Auftrag zu klein.

Ich mache das nur, weil ich mit dem Zimmerer auch bei großen Sachen zusammenarbeite“, gibt der Handwerker zu. „Da verdiene ich dann wesentlich mehr. Ich kann mir gerade die Projekte aussuchen – und so ein Reihenhaus fällt da bestimmt nicht drunter.“

Unmissverständliche Worte, die eine Entwicklung eindrucksvoll demonstrieren: Es läuft im Handwerk – in Deutschland, aber vor allem auch in Baden-Württemberg und Bayern. „Das erste Quartal 2017 war das erfolgreichste seit der deutschen Einheit“, erklärt Hans Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks (ZDH), im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Vor allem das Baugewerbe ist mehr als zufrieden mit der Konjunktur. Laut einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Konjunkturbericht des ZDH bezeichnen 92 Prozent der Betriebe ihre Geschäftslage als gut oder zumindest befriedigend.

Auch insgesamt, über alle Zweige des Handwerks hinweg, erreicht der Geschäftsklimaindex im ersten Quartal ein neues Allzeithoch. Knapp drei Viertel der Betriebe melden steigende Umsätze, 77 Prozent ausgelastete Kapazitäten.

Das deutsche Handwerk stabilisert mit diesen Zahlen die deutsche Wirtschaft: Schließlich sind fast 20 Prozent aller Unternehmen der Bundesrepublik Handwerksbetriebe, fast 15 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer sind bei Zimmerern und Elektrikern, Schreinern, Frisören oder Bäckern beschäftigt. Auch wenn die volkswirtschaftliche Bedeutung des Handwerks in den vergangenen zehn Jahren etwas gesunken ist: Zwischen 2008 und 2013 wuchs die gesamte Wirtschaft um 14,6 Prozent, während das Handwerk im selben Zeitraum nur um 7,6 Prozent zugelegt hat.
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Was das Handwerk aber vor allem im Süden Deutschlands so wichtig macht, ist die Präsenz der Betriebe in der Fläche: Allein in Bayern und Baden-Württemberg arbeiten rund 1,7 Millionen Menschen bei Handwerkern – viele von ihnen jenseits der großen Metropolen. Aus dem Grund bezeichnet sich das Handwerk völlig zurecht als „Wirtschaftsmacht von nebenan“, sagt jedenfalls die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Ihr imponiert vor allem die Innovationskraft der Betriebe. „Oft ist das Handwerk Erstanwender neuer Technologien, sorgt für deren Verbreitung und regt bei den Herstellern Verbesserungen an“, sagt die CDU-Politikern.

Dass das Handwerk vor allem im Südwesten Deutschlands eine außergewöhnlich wichtige Rolle spielt, liegt nicht zuletzt an der hohen Zahl der Freien Reichsstädte im 15. und 16. Jahrhundert. Die Städte nutzten die Privilegien und unterstützten die Zünfte in ihrer Entwicklung. Hinzu kam, dass das Handwerk und Gewerbe wegen der Rohstoffknappheit sehr früh gezwungen war, sich die jeweils neuen Technologien anzueignen. „Heute ist in Baden-Württemberg jeder sechste Arbeitsplatz und fast jeder dritte Auszubildende im Handwerk zu finden“, sagt Joachim Krimmer, Präsident der Handwerkskammer Ulm. „Die Betriebe gewährleisten die Infrastruktur der Regionen und sichern deren Zukunft.“

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Doch die Versorgung und die Sicherstellung der Infrastruktur könnte in Zukunft gefährdet sein. Schließlich erledigen immer weniger Handwerker die in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegene Anzahl von Aufträgen: Dem Handwerk fehlt quer durch alle Gewerke der Nachwuchs. „Die Versorgung ist gewährleistet. Wegen der prall gefüllten Auftragsbücher kann es allerdings zu Wartezeiten kommen, und mitunter ist schon ein bisschen Geduld gefragt“, sagt ZDH-Präsident Wollseifer. Dramatisch sei es im Lebensmittelhandwerk. „Bei den Fleischern bleibt ein Drittel der Ausbildungsplätze unbesetzt, bei den Bäckern ist es ein Viertel. Das wächst sich zu einem echten Problem aus.“

Das Handwerk versucht gegenzusteuern – mit Imagekampagnen, mit Ausbildungsberatern, mit speziellen Programmen für Studienabbrecher und mit sehr hohem Engagement bei der Integration von Flüchtlingen. Im Jahr 2016 lernten fast 4600 Menschen aus den acht häufigsten Asylzugangsländern im Handwerk, ein Zuwachs von mehr als 2900 Personen in drei Jahren.

Heftig kritisiert das Handwerk die ihrer Ansicht nach so einseitige Bildungspolitik in Deutschland, die das Nachwuchsproblem im Handwerk maßgeblich mit verursacht habe. Seit Jahren werde die berufliche Bildung im Vergleich zur akademischen Bildung vernachlässigt. „Der Staat darf nicht nur einseitig auf Universiäten und Hochschulen setzen, sondern er muss die duale Ausbildung fördern, weil die Betriebe die ausgebildeten Facharbeiter benötigen, die letztlich unser aller Wohlstand sichern“, sagt Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm.


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Doch nicht nur bei der Bildung hadert das Handwerk mit der Politik, auch das Thema Meisterpflicht erzürnt die Verantwortlichen seit Jahren – auch wenn sich ihr Ärger da nicht gegen Berlin, sondern gegen Brüssel richtet. Im Zuge der Handwerksreform 2004 fiel in vielen Gewerken die Meisterpflicht. Seitdem können Handwerker ohne Meisterbrief ein Gewerbe anmelden und einen Betrieb eröffnen. Bewährt habe sich das nicht. „Es sind in dieser Zeit Tausende von Solo-Selbstständigen entstanden, die keinerlei Qualifikation vorweisen mussten“, erklärt Wollseifer. Die Folge aus Sicht des ZDH: sinkende Qualität und Solo-Selbstständige, die so wenig verdienen, dass sie es kaum schaffen, fürs Alter vorzusorgen. Die deutsche Politik hat sich von den Argumenten des Handwerks überzeugen lassen, im Dezember beschloss die CDU sogar, die Meisterpflicht für 53 Gewerke wieder einzuführen. Nun hängt es an der EU-Kommission.

„Das Handwerk ist systemrelevant für das Gelingen unserer Gesellschaft und unseren Wohlstand“, sagt Mehlich. Selbstbewusste Worte, die davon zeugen, dass das Handwerk davon ausgeht, in Brüssel und Berlin gehört zu werden. Es ist ein Selbstbewusstsein, das sich nicht nur auf wirtschaftliche Stärke gründet. Viele Handwerker sind in ihrer Heimat stark verwurzelt, sie engagieren sich für das Gemeinwesen, fast zehn Prozent aller ehrenamtlichen Gemeinderäte in Baden-Württemberg sind Handwerker. "Hier hat das Handwerk für mich absoluten Vorbildcharakter“, erklärt Hoffmeister-Kraut. Auch solche Einschätzungen erklären die Selbstsicherheit des deutschen Handwerks.

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Der Schreiner

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Um sechs Uhr morgens geht der Tag für Jürgen Benk los. Am Stadtrand von Tuttlingen liegt seine Werkstatt, gleich gegenüber seines Wohnhauses. Morgens geht er über den Innenhof hinüber, um Büroarbeiten zu erledigen. Auf dem Anrufbeantworter ist eine Nachricht. Ein Kunde möchte wissen, wann er sein Regal abholen kann, ein anderer fragt per E-Mail, wann Benk Zeit hat, ein individuell gestaltetes Holzschild zu bearbeiten. Rasch versucht der Schreiner einen Überblick über die Aufgaben des Tages zu gewinnen, ruft die Kunden zurück, organisiert wann er auf welche Baustelle geht: mal zu einem Privatkunden, mal zu einem Auftrag des Landkreises. Von der Büroarbeit bis zum Einbau eines Möbelstücks liegt alles in seiner Hand. Denn Benk gehört eine Zwei-Mann-Schreinerei.

Jahrelang hat der Handwerker alle Aufträge alleine abgearbeitet, seit Oktober vergangenen Jahres arbeitet ein Geselle für ihn. „Jetzt ist es doch eine Erleichterung. Zum Beispiel beim Einbau einer Haustür. Alleine ging das schon auch, ich musste mir eben immer kreativ etwas ausdenken und Hilfsmittel benutzen“, sagt Benk. Den Vorteil in einem ganz kleinen Betrieb sieht der Schreiner in der Flexibilität, seinen Alltag selbst zu gestalten und darin, sein eigener Chef zu sein. „Das Unternehmen ist ganz individuell von mir geformt worden.“ Natürlich würde seine Arbeit aber auch durch die Aufträge der Kunden und zeitliche Beschränkungen gestaltet werden. Wenn er zum Beispiel in einer Schule etwas reparieren soll, geht das nur in den Ferien. Urlaub macht er dann später oder gar nicht: „Wer selbstständig ist, muss dazu bereit sein 14 bis 16 Stunden am Tag zu arbeiten.“

Doch Jürgen Benk ist ein sehr untypischer Soloselbstständiger im Handwerk. Denn als Schreiner hat er einen Meisterbrief. Viele seiner Kollegen in anderen Gewerken sind dagegen nach der Handwerksreform im Jahr 2004 in die Selbstständigkeit eingestiegen. Damals wurde die Meisterpflicht für viele Berufe aufgehoben. Das Ziel sei gewesen, mehr Betriebsgründungen und damit mehr Arbeitsplätze zu schaffen, erklärt Georg Hiltner, Geschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz: „Letztlich hat sich herausgestellt, dass es in vielen zulassungsfreien Gewerken zwar viele Neugründungen gab, etwa im Fliesenlegerhandwerk, dass diese Betriebe aber nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen haben.“ Ein Fliesenleger ohne Meisterbrief zum Beispiel dürfe keine Lehrlinge ausbilden. Dadurch sei der Nachwuchs zurückgegangen.

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Der Fliesenleger sei ein typisches Beispiel für einen Solohandwerker, sagt auch Tobias Mehlich, Geschäftsführer der Handwerkskammer Ulm. Wer als Fliesenleger arbeiten möchte, kann direkt ohne Meisterausbildung Handwerksarbeiten anbieten. „Der Konkurrenzdruck zwischen Solohandwerkern und größeren Betrieben ist besonders im Bereich der Privataufträge sehr groß. Ein alleinarbeitender Fliesenleger kann eine Arbeitsstunde für 15 Euro anbieten, da kann ein größeres Unternehmen mit Meister und Gesellen nicht mithalten“, erklärt Mehlich. Trotzdem habe die Handwerkskammer eine negative Entwicklung beobachtet: „Viele Solobetriebe können sich nur sechs bis zwölf Monate am Markt halten.“ Gerade die soziale Absicherung sei in größeren Unternehmen leichter zu machen als in einem Solobetrieb. Dass von 15 Euro Lohn pro Stunde nach allen Abzügen nur sechs Euro zum Leben übrig blieben, sei manchen zuerst nicht klar.

Nun beobachtet Mehlich einen weiteren Trend: Der Nachwuchs in Gewerken wie Fliesenlegen fehlt, das Angebot auf dem Markt schrumpft und somit steigt der Preis. Kunden, die nun mehr für Fliesenlegerarbeiten zahlen müssen, setzten vor allem auf Qualität. „Wir haben jetzt wieder eine hohe Nachfrage nach Fliesenlegerkursen bei der Handwerkskammer. Selbstständige, die eigentlich keinen Meister bräuchten, fragen nach Ausbildungsmöglichkeiten.“

Einen Vorteil der Solo-Handwerker sieht Georg Hiltner: „Soloselbständige können schnell reagieren, auch wenn es um kleinere Aufträge geht. Egal ob groß oder klein, das Gesamtkonzept und die Qualität der Ausführung müssen stimmen.“ Dem Konkurrenzdruck zwischen kleinen Betrieben, mit wenig Zeitkapazität und wenig Maschinen und größeren Firmen mit mehr Kapazität für Großaufträge, müsse ein Soloselbstständiger mit Kreativität begegnen.



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Gerade diese Kreativität schätzt Solohandwerker Jürgen Benk. In seinem Lager hat er zum Beispiel Platten aus Altholz, die er zu einer speziellen Wandvertäfelung für ein Restaurant verarbeiten will. So ein Auftrag kann auch schon mal zwei Wochen in Anspruch nehmen. „Das Spektrum meiner Arbeit ist sehr groß, weil es in meiner Werkstatt keine Arbeitsteilung gibt“, erklärt der Schreiner. Spaß mache ihm vor allem das Entwerfen von Möbeln. Dann bestellt er das Material, schneidet das Holz zu und baut das Werkstück schließlich ein. So habe er Tag für Tag Abwechslung bei seiner Arbeit.

Als abwechslungsreich beschreibt auch Dario Emminger seine Arbeit. Der Schreiner arbeitet seit rund zwei Jahren in der Werkstatt des Einrichtungshauses Strohm in Tuttlingen. Etwa 30 Kollegen hat der junge Schreiner in der Werkstatt. Fünf bis sechs Projekte bearbeiten die Schreiner parallel. „Man muss bei allen Aufträgen mitdenken und Bescheid wissen, wer gerade welche Schritte macht. Jeder kann alles“, erklärt Emminger. Gerade fräst er mit einer CNC-Maschine Löcher in eine Spanplatte. Bestimmt ist dieses Holzstück für einen Großauftrag einer Straßburger Klinik. Dort werden Rückwände verkleidet. Er begleitet diesen Auftrag von Anfang bis Ende.

Trotzdem gibt es in der Werkstatt eine klare Aufgabenteilung. In zwei Büros bereiten Schreinermeister und Techniker Zeichnungen von Möbeln vor, die zu bearbeiten sind und schicken diese zusammen mit einer Materialliste in die Werkstatt. Gezeichnet und aufgelistet wird mit einer speziellen Computersoftware. In der Werkstatt unterstützen vollautomatische Sägen, Fräsmaschinen und Furnierpressen die Handwerker dann bei ihrer Arbeit. Etwa ab einer Betriebsgröße von 15 Schreinern kämen vollautomatische Maschinen zum Einsatz, erklärt Dario Emminger, der in einem kleineren mittelständischen Betrieb gelernt hat. Lehrlinge dürfen im ersten Jahr nur unter Aufsicht an die Hightech-Maschinen.

Die Kundenanfragen reichen von Saunabau über Rückwände für Operationssäle bis hin zum Kleiderschrank für einen Privatkunden, erklärt Produktionsleiter Andreas Hahn. Rund 60 Stunden Arbeit stecken beispielsweise in einem maßgefertigten Schrank, von der Arbeitsvorbereitung im Büro, bis zur abschließenden Lackschicht. „Private Aufträge machen 30 bis 40 Prozent unserer Arbeit aus, der Rest kommt aus der Industrie. Diese Mischung ist für die Mitarbeiter abwechslungsreich.“ Gerade kommen die Zeichnungen für den individuellen Schrank aus dem Büro in der Werkstatt an. Wie viel Holz die Schreiner zuschneiden müssen, wo gefräst werden muss: alles ist aufgelistet.

Auch Jürgen Benk hat in seiner Werkstatt gerade fertige Rückwände lackiert. Der Alltag zwischen Maßanfertigungen und Maschinenbetrieb in den beiden Schreinereien unterscheidet sich, eines aber vereint die beiden Betriebe: Aus dem Material Holz erfüllen die Schreiner mit Kreativität und handwerklichem Können individuelle Kundenwünsche.

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Interview mit ZDH-Vorsitzenden Hans Peter Wollseifer

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer
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Die Auftragsbücher sind voll, das Geschäft im Handwerk läuft – und doch blickt Hans Peter Wollseifer nicht ohne Sorgen in die Zukunft. Doch nicht wegen Digitalisierung oder der europaweiter Konkurrenz macht sich der Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks Gedanken, sondern um fehlende Facharbeiter und den ausbleibende Lehrlinge. Benjamin Wagener hat sich mit dem 61-Jährigen Maler- und Lackierermeister über Flüchtlingsintegration und Meisterzwang unterhalten – und ihn gefragt, warum keiner mehr Metzger werden will.

Herr Wollseifer, wie läuft es beim deutschen Handwerk?

Das Handwerk ist hervorragend ins Jahr 2017 gestartet: Das erste Quartal 2017 war das erfolgreichste seit der deutschen Einheit. Beim Umsatz, der Geschäftslage und Beschäftigung und – was besonders erfreulich ist – auch bei den Investitionen liegen die Zahlen deutlich über den Ergebnissen der Vorjahre. Die Handwerksbetriebe beurteilen ihre aktuelle Geschäftslage besser als je zuvor in einem ersten Quartal. 90 Prozent unserer Betriebe sagen, ihnen geht es gut und sie sind zufrieden.

Wie wichtig ist das Handwerk für die deutsche Wirtschaft?

Das Handwerk ist Mittelstand par excellence. Abgesehen von der volkswirtschaftlichen Bedeutung übernehmen wir gesellschaftspolitische Verantwortung und sind der Dienstleister und Versorger der Nation. Als Handwerk sind wir in allen Bereichen des täglichen Lebens tätig und verortet, von A wie Augenoptiker bis Z wie Zweiradmechaniker. In allen Regionen sichern Handwerksbetriebe Ausbildung und Beschäftigung. So leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand Deutschlands, stabilisieren die Wirtschaft und fördern maßgeblich den Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Geht es allen Branchen gut oder gibt es auch welche, die Probleme haben?

Besonders gut läuft es bei den Bau- und Ausbaugewerken, mittlerweile aber auch wieder im Kraftfahrzeughandwerk. Auf dem Bau gibt es Auftragsreichweiten von mehr als zehn Wochen. Und obwohl die Betriebe bereits an ihren Kapazitätsgrenzen arbeiten, brauchen unsere Kunden derzeit schon etwas Geduld. Ein großes Problem ist, dass uns die Fachkräfte und Lehrlinge fehlen, um alles bewältigen zu können.
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer
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Wollseifer: Inzwischen gibt es einen harten Wettbewerb um junge, engagierte Leute.
Wollseifer: Inzwischen gibt es einen harten Wettbewerb um junge, engagierte Leute.
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Warum fehlt dem Handwerk der Nachwuchs?

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Schulabgänger pro Jahr deutlich zurückgegangen. Inzwischen gibt es einen harten Wettbewerb um junge, engagierte Leute. Das Streben nach immer höheren Bildungsabschlüssen hat außerdem dazu geführt, dass sich der Ausbildungsmarkt grundlegend verändert hat. Heute beginnen rund 60 Prozent eines Jahrgangs ein Studium, noch vor zehn Jahren starteten so viele eine duale Ausbildung. Da kann man schon fragen, ob das nicht am Arbeitsmarkt vorbei geht. Wir beim Handwerk werden nicht müde, den Jugendlichen zu sagen: Wir haben 130 tolle Ausbildungsberufe im Handwerk, da ist für jeden etwas dabei. Bei uns gibt es richtig gute Karriere- und Verdienstmöglichkeiten. Leider erfahren die jungen Menschen in ihren Schulen viel zu wenig darüber. Hier setzen wir an: Wir gehen in die Schulen, wir bringen junge Menschen mit Lehrlingen zusammen, wir haben Ausbildungsberater für Migranten und Studienabbrecher.

Muss sich am Ausbildungssystem etwas ändern?

Man braucht nicht zwingend ein Studium, um beruflich Karriere zu machen und erfolgreich zu sein. Da bietet das Handwerk echte Alternativen. Wir machen den jungen Menschen entsprechende Bildungsangebote. Gemeinsam mit der Politik starten wir ein Konzept „Höhere Berufsbildung“ für leistungsstarke Jugendliche. Dazu gehört das Berufsabitur als neue Bildungsmarke. Vom Schuljahr 2017/18 an laufen in sechs Bundesländern Pilotprojekte in diesem doppelqualifizierenden Bildungsgang an. Schüler können in vier Jahren nicht nur die allgemeine Hochschulreife, sondern parallel noch eine Berufsausbildung absolvieren. Schüler am Gymnasium werden derzeit sehr einseitig nur auf die akademische Bildung vorbereitet. Beim Berufsabitur hingegen haben die Schüler am Ende sowohl einen Gesellenbrief wie auch das Abitur in der Hand.

Kann das Handwerk denn die Bevölkerung noch versorgen, wenn so viele Facharbeiter fehlen?

Die Versorgung ist gewährleistet: Die Verbraucher finden zurzeit noch genügend Betriebe in allen Regionen, um Arbeiten in Auftrag zu geben. Wegen der prall gefüllten Auftragsbücher kann es allerdings zu Wartezeiten kommen, und mitunter ist schon ein bisschen Geduld gefragt. Ein Tipp von mir: Wenn Sie einen guten, versierten Handwerker haben, dann halten Sie den bei der Stange und werden Stammkunde.
Wollseifer: Inzwischen gibt es einen harten Wettbewerb um junge, engagierte Leute.
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Wollseifer: Bei den Fleischern bleibt fast jeder dritte Ausbildungsplatz unbesetzt
Wollseifer: Bei den Fleischern bleibt fast jeder dritte Ausbildungsplatz unbesetzt
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Vor allem das Lebensmittelhandwerk hat Probleme: Warum will keiner mehr Bäcker oder Metzger werden?

Bei den Fleischern bleibt fast jeder dritte Ausbildungsplatz unbesetzt, bei den Bäckern ist es jeder vierte. Uns bereitet das natürlich Sorgen, weil dadurch später die Fachkräfte fehlen. In den Lebensmittelhandwerken produzieren wir eine sehr hohe Qualität. Das können wir nicht mit Angelernten machen, da brauchen wir Fachkräfte. Deshalb ist es so wichtig, mehr junge Leute zu überzeugen, dass es in diesen Berufen tolle Möglichkeiten gibt, sich zu verwirklichen und auch gutes Geld zu verdienen.

Verdient man denn im Handwerk gutes Geld? Ist es nicht so, dass viele Lehrlinge nach der Lehre von der Industrie mit höheren Löhnen abgeworben werden?

Andere Wirtschaftsgruppen haben unsere gut ausgebildeten jungen Leute immer sehr gerne übernommen. Gerade dort, wo die Autoindustrie sitzt, werden teils Löhne angeboten, die höher sind als die, die ein kleinerer Handwerksbetrieb zahlen kann. Da hat die Industrie sicherlich andere Möglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass man nicht auch im Handwerk gut verdienen kann. Und noch ein Pluspunkt der Handwerksbetriebe: Die meisten bieten ein familiäres und persönliches Arbeitsumfeld.

Gibt es für das Handwerk da Möglichkeiten gegenzusteuern?

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Industrie und Handwerk: In der Industrie erfolgt die Wertschöpfung sehr stark durch Maschinen und automatisierte Produktionsprozesse, in den Handwerksbetrieben geschieht das durch Menschen. Maschinen arbeiten, ohne dass man ihnen einen Lohn zahlt. Roboter müssen keine Sozialabgaben abführen. Das ist in den Handwerksbetrieben natürlich anders, Lohnkosten sind hier ein echter Posten. Die Mitarbeiter zahlen hohe Sozialabgaben und leisten damit auch einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung unserer Sozialsysteme. Das zeigt einmal mehr die gesellschaftspolitische Bedeutung unserer eine Million Betriebe mit rund fünf Millionen Beschäftigten.
Wollseifer: Bei den Fleischern bleibt fast jeder dritte Ausbildungsplatz unbesetzt
Wollseifer: Bei den Fleischern bleibt fast jeder dritte Ausbildungsplatz unbesetzt
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Wollseifer: Es geht kein Weg daran vorbei, dass die Digitalisierung auch das Handwerk grundlegend verändert.
Wollseifer: Es geht kein Weg daran vorbei, dass die Digitalisierung auch das Handwerk grundlegend verändert.
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Die Digitalisierung verändert nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Wirtschaft. Wie ist das Handwerk betroffen?

Die Digitalisierung hat das Handwerk längst erreicht. 95 Prozent unserer Handwerksbetriebe haben eine eigene Webseite. 58 Prozent der Handwerksbetriebe setzen auch auf Softwarelösungen, um ihre betrieblichen Abläufe zu steuern. Und jeder vierte Betrieb nutzt die moderne Technologie für die Produktion. In jeder Branche gibt es Beispiele: Selbst Bäcker und Metzger produzieren mit digital gesteuerten Maschinen.

Gibt es auch Betriebe, die den Wandel der Digitalisierung nicht erkannt haben und zu spät dran sind?

Es gibt durchaus Betriebe, die erst einmal abwarten und schauen, wie sich alles entwickelt. Aber es geht kein Weg daran vorbei, dass die Digitalisierung auch das Handwerk grundlegend verändert. Das birgt Risiken, aber nach unserer Auffassung und auch der der Betriebe überwiegen die Chancen. Wir unterstützen sie dabei, diese Chancen zu nutzen – zum Beispiel durch unser bundesweites Kompetenzzentrum Digitales Handwerk, in dem wir digitale Innovationen des Handwerks vorstellen.

Im digitalen Haus der Zukunft ist alles vernetzt, der Hausbesitzer steuert Heizung, Kühlschrank, Fenster, Türschloss, Fernseher und Licht digital mit seinem Handy. Wen ruft man an, wenn man ein solches Haus haben will? Den Heizungsbauer, den Maurer, den Elektroinstallateur?

Dass auf einer Baustelle mehrere Gewerke zusammenarbeiten, das ist für das Handwerk Alltag und wird meines Erachtens auch so bleiben. Das Produktportfolio wird sich vergrößern. Der eine oder andere Handwerker wird möglicherweise noch stärker gewerkeübergreifend tätig werden, sofern er dafür die Qualifikation hat. Aber auch künftig wird es wohl so sein, dass man den Heizungsbauer anruft, wenn man eine Heizung fernsteuern will. Und wenn man die Rollläden rauf- und runterfahren will, spricht man den Rollladen- und Jalousienbauer an.

Das Auto verändert sich sehr schnell. Schon bald könnte ein großer Teil der Fahrzeuge elektrisch und autonom fahren. Reagiert das Kfz-Handwerk angemessen auf diese Veränderungen oder gehört das Gewerk zu den großen Realitätsverweigerern? 

Von Realitätsverweigerung kann gar keine Rede sein. Die Kfz-Betriebe stellen sich auf die Veränderungen ein. Der Beruf des Kfz-Mechatronikers wird sich weiter ändern, aber seine Berechtigung behalten. Weder autonomes Fahren noch Elektromobilität werden das Kfz-Handwerk überflüssig machen. Das Kfz-Handwerk geht technologieoffen in die Zukunft und hält nichts von allzu starren Festlegungen auf nur eine Antriebstechnik. Das unterstütze ich. Die Elektromobilität ist nur ein Teil, aber nicht die ganze mobile Zukunft. Wettbewerbsentscheidend wird für das Kfz-Handwerk sein, ob es Zugriff auf die verkehrstelematischen Daten bekommt. Um das Auto zu reparieren, muss der Handwerker die Daten kennen. Es kann deshalb nicht sein, dass nur die Hersteller und die Versicherer die Daten verwalten. Wir wollen keine geschlossenen Industriesysteme. Wir möchten nach wie vor diese Fahrzeuge reparieren und instand setzen. Wir möchten auch überprüfen können, was ein Auto verbraucht, und welche Abgase es ausstößt – auch um frühzeitig auf auftretende Abweichungen von Abgasnormen hinweisen zu können. Das geht aber nur, wenn wir offene Systeme und den gleichberechtigten Zugriff auf die Daten haben.


Wollseifer: Es geht kein Weg daran vorbei, dass die Digitalisierung auch das Handwerk grundlegend verändert.
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Wollseifer: Der Meisterbrief ist das identitätsstiftende Fundament des deutschen Handwerks.
Wollseifer: Der Meisterbrief ist das identitätsstiftende Fundament des deutschen Handwerks.
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Der SPD-Kanzlerkandidat hat einen Teil der Agenda 2010 zur Disposition gestellt. Im Rahmen dieser Reform ist 2004 auch die Handwerksordnung reformiert worden. Hat sich diese Neuordnung bewährt?

Aus Sicht des Handwerks ganz klar nein. Die Änderungen in der Handwerksordnung haben beispielsweise dazu geführt, dass die Zahl der Solo-Selbstständigen enorm gestiegen ist. Tausende haben sich selbstständig gemacht und mussten dafür keinerlei Qualifikation vorweisen. Denn bei den zulassungsfreien Gewerken kann jeder, der sich anmeldet, das Handwerk ausüben und einen Betrieb führen. Ob das ein Fliesenleger, ein Gold- oder Silberschmied, ein Raumausstatter oder Werbetechniker ist – gehen diese Handwerker zum Gewerbeamt und erhalten das okay, können sie danach alle Arbeiten ausführen. Der Kunde hat das Nachsehen: Es fehlt einfach das Qualitätsversprechen, für das der Meister steht. Das kratzt am Image des gesamten Handwerks. Wegen des zunehmenden Fachkräftemangels ist zudem problematisch, dass Betriebe ohne Qualifikation nicht mehr ausbilden: Es finden keine Meisterprüfungen und keine Weiterbildungen mit Qualifikationsabschluss statt. Dadurch leidet das Gesamtsystem.

Wie stehen diese Betriebe wirtschaftlich da?

Viele Solo-Selbstständige können es sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation nicht leisten, ausreichend für den Krankheitsfall oder das Alter vorzusorgen. Das fällt dann aber irgendwann der Allgemeinheit auf die Füße: Wenn sich tausende Solo-Selbstständige nicht altersversichern, werden sie später staatliche Unterstützung benötigen. Zugespitzt kann man sagen: Diese staatliche Absicherung der Solo-Selbstständigen finanziert sich aus den Steuern und Abgaben der Meisterbetriebe.

Sollte die Politik die Meisterpflicht also wieder für alle Gewerke einführen?

Der Meisterbrief ist das identitätsstiftende Fundament des deutschen Handwerks. Er ist Garant für eine hohe Qualität der Dienstleistungen und Produkte. Dass es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern den Meister als Berufsqualifikation gibt, ist maßgeblich ein Grund für die hierzulande so niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Meisterbetriebe bilden aus und haben die dafür nötigen berufs- und arbeitspädagogischen Kenntnisse – anders als Solo-Selbstständige. Wir brauchen den Meister nicht nur als Qualitätssiegel, sondern auch als Berufszugangsregulierung. Dafür kämpfen wir. Bundestag, Bundesrat und die Länderparlamente stehen da hinter uns.

Wer steht nicht hinter Ihnen?

Die EU-Kommission in Brüssel versucht immer wieder, die Berufszugangsregulierung in Deutschland als Wachstumsbremse in Europa zu diskreditieren, obwohl das überhaupt nicht der Fall ist. Im Moment könnte sich da etwas bewegen. Bundestag und Bundesrat haben eine Subsidiaritätsrüge nach Brüssel geschickt. Und erst vergangene Woche hat der Bundestag in einem Entschließungsantrag darauf gepocht klarzustellen, dass die EU-Mitgliedstaaten auch in Zukunft weiter autonom über die Reglementierung von Berufen entscheiden können.
Wollseifer: Der Meisterbrief ist das identitätsstiftende Fundament des deutschen Handwerks.
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Wollseifer: Wir sind prädestiniert für Integration.
Wollseifer: Wir sind prädestiniert für Integration.
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Das Handwerk hat im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen sein Versprechen gehalten, eine große Anzahl von Flüchtlingen in die Betriebe zu integrieren. Was war Ihre Motivation?

Da sind Menschen aus Kriegsgebieten gekommen und haben Schutz gesucht. Wir als Handwerk sehen uns nicht als reine Wirtschafts-, sondern auch als tragende Gesellschaftsgruppe. Aus diesem Selbstverständnis heraus haben wir es als humanitäre Verpflichtung und Aufgabe angesehen, hier zu helfen. Für die meisten Handwerksbetriebe ist gesellschaftliches Engagement ohnehin selbstverständlich. Die sind in vielen Bereichen aktiv, sei es bei der Feuerwehr, im technischen Hilfsdienst, in kirchlichen Organisationen oder Vereinen: Handwerker packen an und setzen um. Dass wir uns gerade auch in der Flüchtlingshilfe so engagiert haben, das hat sicher damit zu tun, dass wir es können. Wir sind prädestiniert für Integration. Unsere Familienbetriebe sind kleine sozial verbundene Teams: Dort kann man jemanden integrieren, dort kann man gut gemeinsam arbeiten.

Wie viele Flüchtlinge hat das Handwerk untergebracht?

Im Jahr 2016 lernten knapp 4600 junge Leute aus den acht häufigsten Asylzugangsländern im Handwerk, ein Zuwachs von über 2900 Personen binnen drei Jahren. Etliche weitere Tausend junge Menschen mit Bleibeperspektive befinden sich in Praktika, in Ausbildungsvorbereitungskursen oder Berufsorientierungsmaßnahmen. Die ersten, die vor ein paar Jahren gekommen sind, sind mittlerweile auch schon Facharbeiter. Das ist auch gut so. Flüchtlinge sollen ja nicht von den Sozialsystemen leben müssen, sondern sollen sich einbringen, arbeiten und ihren Beitrag zu unseren Sozialsystemen leisten. Der überwiegende Teil will das übrigens auch.

Was ist bei der Integration von Flüchtlingen wichtig für die Handwerksbetriebe?

Wir halten die sogenannte Drei-Plus-Zwei-Regel für essentiell: Junge Leute mit einer Bleibeperspektive sollen die drei Jahre in der Ausbildung und zwei Jahre danach nicht abgeschoben werden. Ansonsten lohnt das hohe Engagement unserer Betriebe nicht. Nach den zwei Jahren als Facharbeiter entscheidet es sich dann: Wenn das Land, aus dem sie kommen, befriedet ist, dann ist es gut, wenn sie zurückgehen und mithelfen, die dortige Wirtschaft aufzubauen. Für unsere Betriebe wäre es aber auch gut, wenn der eine oder andere hierbliebe, sodass unsere Kunden gut versorgt werden.

Stieß das Engagement vom Handwerk auf Zustimmung oder auf Ablehnung?

In der Politik stieß unsere Arbeit auf breite Zustimmung. Mittlerweile gibt es auch große gesellschaftliche Zustimmung. Allerdings bestehen immer noch einige Integrationsbremsen. Die größte ist, dass sich die Ausländerbehörden offenbar kaum abstimmen. Hauptsächlich in Bayern und Baden-Württemberg haben wir die Situation, dass junge Leute mit Bleiberecht oder mit Duldung trotzdem abgeschoben werden – sogar dann, wenn sie schon einen Ausbildungsvertrag in der Tasche haben, oder – noch schlimmer – wenn sie die Ausbildung schon begonnen haben. Dafür haben unsere Betriebe überhaupt kein Verständnis mehr. Das habe ich beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt deutlich gesagt und Bundesinnenminister Thomas de Maizière gebeten, seine Innenministerkollegen in den Ländern für dieses Problem zu sensibilisieren.

Welche Reaktionen kamen aus der Bevölkerung?

Es gibt immer irgendwelche Schlechtredner und Bedenkenträger. Es gibt auch Mails, die nicht so angenehm sind. Aber davon lassen wir uns nicht beirren. Wir glauben daran, dass es gut ist, wenn diese jungen Leute beschäftigt sind. Wenn junge Männer über Wochen, Monate und noch länger in Sammelunterkünften sind, dann ist Ärger geradezu vorprogrammiert. Ich bin überzeugt, dass unser Engagement dagegen hilft.
Wollseifer: Wir sind prädestiniert für Integration.
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Wollseifer: Gut ausgebildete, gut qualifizierte junge Leute, ob im Handwerk oder in anderen Bereichen, bekommen gute Jobs und haben vernünftige Einkommen.
Wollseifer: Gut ausgebildete, gut qualifizierte junge Leute, ob im Handwerk oder in anderen Bereichen, bekommen gute Jobs und haben vernünftige Einkommen.
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Das Handwerk, wie Sie es beschreiben, ist mehr als ein Wirtschaftsbereich, es ist ein gesellschaftlicher und kultureller Faktor, der dazu beiträgt, das Gemeinwesen zusammenzuhalten. Wie erklären Sie sich dann die Verunsicherung, die Angst und das Aufbrechen von Hass in der Gesellschaft in Zeiten, in denen es sehr vielen Menschen wirtschaftlich sehr gut geht?

Es ist ein gutes Deutschland, in dem wir zurzeit leben. Ich glaube, es ist das beste Deutschland – wenn wir uns der Kriege und Verheerungen der Vergangenheit erinnern. Aber gerade weil es uns so gut geht, steigen die Verlustängste. Ich bin überzeugt, das beste Mittel dagegen sind Qualifizierung und Bildung. Gut ausgebildete, gut qualifizierte junge Leute, ob im Handwerk oder in anderen Bereichen, bekommen gute Jobs und haben vernünftige Einkommen. Das stabilisiert die Familien und die Gesellschaft. Jeder Einzelne tritt dann selbstsicherer auf. Das dürfte auch die Gefahr verringern, Besserwissern und Schlechtrednern hinterherzulaufen.

Die allerletzte und allerwichtigste Frage: Wie bekomme ich einen guten Handwerker?

Das ist nun gar kein Problem: Sie brauchen sich nur an die Innung zu wenden, und die hat eine Liste aller Innungsbetriebe. Bekanntlich setzt sich Qualität nicht nur durch, sondern spricht sich auch herum: Deshalb sollten Sie sich im Bekanntenkreis umhören. Wenn Sie da den einen oder anderen guten Tipp bekommen, dann ist das viel wert. Und meistens kann man sich darauf verlassen.

Das Problem ist, dass die Handwerker, die solch einen guten Leumund haben, meist sagen: "Okay, ich komme – in neuneinhalb Wochen."

Ja, da muss man zurzeit leider etwas Geduld haben.
Wollseifer: Gut ausgebildete, gut qualifizierte junge Leute, ob im Handwerk oder in anderen Bereichen, bekommen gute Jobs und haben vernünftige Einkommen.
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Meisterpflicht

Die Entwicklung der Betriebe seit 2004.
Die Entwicklung der Betriebe seit 2004.
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„Demütigend war es für uns alle“, beschreibt es Fliesenlegermeister Harald Herrmann, als die rot-grüne Bundesregierung 2004 die Meisterpflicht für 52 der insgesamt 93 Handwerksberufe gestrichen hat. Laut Handwerksordnung durfte sich bis dahin in Deutschland als Handwerker nur selbstständig machen, wer seinen Meister gemacht hat. Nun fiel dieser „Große Befähigungsnachweis“, auf den viele Handwerker sehr stolz sind, in mehr als der Hälfte der Gewerke weg. Und die Handwerker der 41 verbliebenen Meisterberufe hätten seitdem Angst, sagt Herrmann, heute 58 Jahre alt und Präsident der Handwerkskammer Reutlingen. Angst davor, wann es sie treffen könnte.

Diese Angst hat im Januar dieses Jahres eine neue Dimension angenommen. Die Europäische Kommission hat ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet zu prüfen, ob bestehende berufliche Zulassungsbeschränkungen gerechtfertigt sind. Die Argumente heute sind die selben wie der Handwerksnovelle von 2004. Es solle einfacher werden, Unternehmen zu gründen und über Grenzen hinweg beruflich tätig zu sein. Damals bezeichnete das Bundesamt für Arbeit die Situation als dramatisch. Die Arbeitslosigkeit lag bei über zehn Prozent, es mangelte an Ausbildungsplätzen und die Prognosen waren düster. Die Handwerksnovelle sollte im Zuge der Agenda 2010 des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) den durch verkrustete Strukturen unflexiblen deutschen Arbeitsmarkt wieder beleben – durch mehr Unternehmensgründungen, durch mehr Ausbildungsplätze.

Der aktuelle Vorstoß der Europäischen Kommission mit den selben Zielen, trifft in Deutschland auf eine geschlossene Front an Gegnern, von der Bundesregierung hin bis zu Vertretern des Handwerks – wie Harald Herrmann. Als Fliesenlegermeister und Präsident der Handwerkskammer Reutlingen sind für ihn die Ziele der Handwerksnovelle nicht erreicht worden – mehr noch, die Reform hätte überwiegend negative Folgen.


Zahlreiche Betriebe schließen

Wie von der Reform beabsichtigt ist die Anzahl der Fliesenlegerbetriebe im Handwerkskammerbezirk Reutlingen gewachsen – bis heute fast um das Fünffache, darunter viele Ein-Mann-Betriebe. Das habe zu dem Problem einer extremen Konkurrenzsituation geführt sowie zu einer für Herrmann besorgniserregenden Anzahl von Betriebsauflösungen. „Es kommen immer ungefähr so viele Betriebe dazu wie im gleichen Jahr wieder gelöscht werden. Und das ist eine ganz extreme Entwicklung, die auch nicht gut ist.“ Von 2004 bis 2016 sind das insgesamt gesehen über 1000 Löschungen. „Da sind bestimmt einige dabei, die in ein finanzielles Fiasko geschlittert sind“, ist sich Herrmann sicher. Für ihn und seine Handwerkskollegen ist der Grund dieser „nicht nachhaltigen“ Entwicklung eine mangelhafte Ausbildung. Auf der Meisterschule werden auch betriebswirtschaftliche Inhalte vermittlet, die nach Herrmann vielen, die sich nach 2004 selbstständig machen durften, fehlen würden.

So sei der Meistertitel einer der Gründe, warum es Herrmanns Fliesenlegerbetrieb heute noch gibt, wie er sagt. Durch diesen habe er sich von der Konkurrenz abheben, Kunden qualitativ hochwertige Arbeit anbieten und seinen Betrieb wirtschaftlich führen können. Allerdings sei es für ihn einfach gewesen, sich selbstständig zu machen. Sein Vater hatte ebenfalls einen Fliesenlegerbetrieb, und so stand ihm als junger Meister mit 21 Jahren ein etablierter Kundenkreis offen. „Man braucht gewisses Kundenpotenzial, wenn man das nicht hat, ist es sehr schwierig“, gibt Herrmann zu.

Die Entwicklung der Betriebe seit 2004.
Die Entwicklung der Betriebe seit 2004.
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Fliesenleger Harald Herrmann
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Was aber, wenn man nicht in so einer günstigen Situation ist? „Sich am Markt zu etablieren, funktioniert meistens über den Preis“, schneidet Handwerkskammerpräsident Herrmann seinen nächsten Kritikpunkt an der Handwerksnovelle an – Lohndumping. Hole sich ein Kunde Angebote ein, „ist eine Preisdifferenz von 40 Prozent keine Seltenheit“, da das Fliesenlegen sehr lohnintensiv sei. Die Preisdifferenz beim Material liege bei maximal bei sechs Prozent. Die Innungsbetriebe seien tarifgebunden, selbstständige Ein-Mann-Betriebe dagegen nicht. Deshalb würden oft auch Pauschal-Angebote gemacht. „Der Kunde fragt selten nach Referenzen, sondern es geht oftmals über den Preis, und dann haben wir in unserem Betrieb keine Chance auf den Auftrag“, sagt Herrmann.

Eine weitere Folge sei die Zunahme der Schwarzarbeit, so Herrmann, der vermutet, dass es unter den Ein-Mann-Betrieben welche gibt, die nicht alle Umsätze beim Finanzamt angeben. Er rechnet vor: „Unsere Umsatzsteuergrenze liegt bei 17500 Euro Jahresumsatz. Wer darunter ist, zahlt keine Umsatzsteuer. Und von 17500 Euro kann man nicht leben. Also ist es offensichtlich, dass sie schwarz arbeiten – auch wenn man es nicht nachweisen kann.“

Auch die handwerkliche Qualität hat nach 2004 abgenommen. Das bestätigt Wolfgang Wulfes, Bundesfachbereichsleiter Bau im Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger (BVS): „Ja, ich stelle vermehrt Mängel bei Fliesenarbeiten fest, die ihre Ursache in mangelnder Fortbildung und fehlendem Grundwissen der ausführenden Personen haben. Dieses Grundwissen wird in der Fliesenlegerausbildung vermittelt und findet sich in der erweiterten Qualifikation eines Fliesenlegermeisters. Baumarktwissen reicht nicht aus, den qualifizierten Beruf eines Fliesenlegers bei der heutigen komplexen Bauweise so auszuüben, dass die Leistung mangel- und schadensfrei ist.“


Geringere Ausbildung

Im Bereich der Ausbildung hat die Handwerksnovelle für Harald Herrmann komplett versagt: „Ausbilden konnten die neuen Betriebe nicht ohne einen Meister beziehungsweise ohne einen Ausbildungsnachweis.“ Und diese Zusatzqualifikation hätten nur wenige Betriebe erlangt, so Herrmann. Kamen 2004 knapp 20 Auszubildende auf hundert Betriebe, so sind es 2016 nur rund vier Auszubildende gewesen.

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu den Effekten der Handwerksnovelle, sieht deren Erfolg in der massenhaften Gründung von Betrieben und der Schaffung neuer Beschäftigung. Die Studie bestätigt aber auch die Erfahrungen der Handwerkskammer Reutlingen: „Für die Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen, besseren Qualifikationen, mehr Innovationen oder zusätzlichen Investitionen scheint die Handwerksnovelle aber nicht das angemessene Mittel gewesen zu sein.

Dass das trotz des neuen Vorstoßes auch in Brüssel so gesehen wird, darauf setzt das deutsche Handwerk. „Da bewegt sich gerade etwas“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, der „Schwäbischen Zeitung“. Zudem „haben Bundestag und Bundesrat eine Subsidiaritätsrüge nach Brüssel geschickt. Der Bundestag pocht darauf, dass die Mitgliedstaaten weiter autonom über die Reglementierung von Berufen entscheiden können.

Das werden die Handwerker der 41, die ihren Meistertitel noch nicht verloren haben, gerne hören. Behält Wollseifer recht, ist ihr „Großer Befähigunsnachweis“ nicht mehr in Gefahr. Das schürt auch Hoffnungen bei den Gewerken, die den Meistertitel 2004 verloren haben.

Fliesenleger Harald Herrmann
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Betrachtet man die Auswirkungen der Abschaffung der Meisterpflicht für bestimmte Handwerksberufe, so ist neben Schwarzarbeit, Lohndumping und Kurzlebigkeit der Neugründungen der massive Rückgang in der Ausbildung äußert bedenklich. Jeder Meister darf ausbilden. Nicht-Meisterbetriebe erlangen die Zusatzqualifikation, die es ihnen erlaubt auszubilden in verschwinden geringem Ausmaß.

In seinem vollen Umfang ist der Effekt dieser Entwicklung heute noch nicht eingetreten. Die Folgen sind offensichtlich: weniger Ausbildungsbetriebe, weniger Auszubildende. Weniger Auszubildende, weniger Nachwuchs. Weniger Nachwuchs, weniger Ausbildungsbetriebe. Ein Teufelskreis, der zu einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit führen wird. Jenes gravierende Problem, das unsere europäischen Nachbarn plagt und deren wirtschaftliche Entwicklung stark behindert. Nicht umsonst findet das deutsche System der Dualen Ausbildung weltweit Beachtung. Die Meisterpflicht trägt ihren Teil zur Sicherung dieses Systems bei.

Wer in Kauf nimmt, die Ausbildungssituation zu verschlechtern, der zerstört das Fundament unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Meistertitel steht für eine profunde Ausbildung und einen hohen Qualitätsstandard. Anstatt die Meisterpflicht abzuschaffen, um den Zugang zu Berufen zu erleichtern, sollte er europaweit eingeführt werden, um Wohlstand zu sichern – auch in Zukunft.
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Der Meisterzwang ist das wohl am kontroversesten diskutierte Thema unter Handwerkern. Fakt ist: Die Pflicht zum „Großen Befähigungsnachweis“ – wie er unter den Befürwortern auch genannt wird – stellt eine Marktzugangshürde dar. Weil die Kunden die Qualität der handwerklichen Leistungen nicht oder nicht direkt beurteilen können, hätten sie Vorteile, wenn sie sich auf die Qualifikation der Anbieter verlassen könnten – vor allem, wenn es um die Abwendung der Gefahr von Leib und Leben geht, erklären Meisterbrieffans.

Ein Meisterbrief ist aber längst kein Garant für Qualitätsarbeit. In der Praxis der meisten Betriebe ist es sogar so, dass der größte Teil der Arbeit von Gesellen ausgeführt wird. Notwendig ist daher die kontinuierliche Qualitätssicherung bei den ausführenden Gesellen – nicht aber eine einmalige Meisterprüfung eines Betriebsleiters.

Ohne Zweifel müssen Verbraucher vor Gefahren geschützt werden. Doch gibt es dafür bereits ein ganzes Bündel an (DIN)-Vorschriften. Und Europa zeigt, dass es auch ohne Meisterzwang geht. In Frankreich werden ebenfalls Autos sicher repariert, auch in Spanien werden die Haare gut geschnitten, und auch in England errichten Zimmerer gute Dachstühle. Durch den Meisterzwang im Handwerk bleibt die gesamtwirtschaftliche Leistung hierzulande hinter ihren Möglichkeiten zurück, und die im Grundgesetz verankerte Berufsfreiheit wird ausgehöhlt.
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Ausbildung

Jennifer Heinzmann verbindet Studium und handwerkliche Lehre mit dem Biberacher Modell.
Jennifer Heinzmann verbindet Studium und handwerkliche Lehre mit dem Biberacher Modell.
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Hauptschule, Berufsschule, Meisterbrief? So einfach ist der Weg für Handwerker in Zeiten der Digitalisierung nicht mehr. Wie Hochschulen und Handwerksbetriebe der dualen Ausbildung 2.0 begegnen.

Die Digitalisierung ist im Handwerk längst angekommen. Für Lehrlinge bedeutet das: Die Ansprüche an sie haben sich geändert. In Zeiten der Digitalisierung muss ein Auszubildender noch mehr können als rein handwerklich arbeiten, sagt der Geschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz, Georg Hiltner: „Digitale Technik ist längst in allen Gewerken üblich. Je nach Beruf ist der Anteil an Digitalisierung sehr hoch, wie etwa im Anlagenbau.“

Auch in den anderen Gewerken müssen Handwerker mit immer mehr Digitalisierung zurechtkommen. Produkte entwickeln sich weiter und die Kunden kommunizieren mehr und mehr über das Internet. Ein Auftrag wird nicht mehr mit Stift und Papier handschriftlich aufgenommen, sondern trudelt per Mail im Büro ein. Der Anspruch an Auszubildende sei daher sehr hoch, sagt Hiltner. Auch Mathematik- und IT-Kenntnisse im Handwerk sind wichtig. Hier sind vor allem Abiturienten stark. „In erster Linie sprechen wir aber junge Menschen an, egal ob mit Abitur, Realschul- oder Werkrealschulabschluss. Im Handwerk gibt es verschiedene Bedarfe, da wird jeder fündig“, sagt Hiltner.


Neue Ansprüche an Lehrlinge

Die neuen Ansprüche an Lehrlinge zeigen: Den klassischen Weg von der Hauptschule über eine duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule ins Handwerk gibt es so nicht mehr. Mit welchem Schulabschluss die Auszubildenden ins Handwerk einsteigen, ist seit ein paar Jahren nicht mehr gesetzt. Erstmals hat es in Deutschland laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) im Jahr 2016 mehr Jugendliche mit einer Studienberechtigung als mit Hauptschulabschluss im Handwerk gegeben.

Rund 28 Prozent der Auszubildenden im dualen System hatten Abitur, 27 Prozent stiegen mit Hauptschulabschluss in die Ausbildung ein. Mittlere Reife und Abitur würden nach Einschätzung des DGB immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und das Handwerk muss es nun schaffen, die Bandbreite an unterschiedlichen Bewerbern und die Herausforderung der Digitalisierung in der dualen Ausbildung abzubilden. Mit verschiedenen dualen Ausbildungsformen möchten Hoch- und Berufsschulen sowie die Handwerksbetriebe nun diesen neuen Anforderungen begegnen.


Lehre plus Studium

Einen Weg sieht die Hochschule Biberach zum Beispiel darin, Ausbildung und Studium zu verknüpfen. Studentin und Auszubildende Jennifer Heinzmann ist eine der Teilnehmerinnen des Modells „Bauingenieur Plus“. An der Hochschule Biberach wird sie akademisch als Bauingenieurin ausgebildet, im Handwerksbetrieb Birk in Aitrach (Kreis Ravensburg) lernt sie den Beruf der Maurerin. Eine Mischung, die für sie viele Vorteile bringt, sagt Heinzmann: „Natürlich ist der ausschlaggebende Punkt der Praxisbezug. Außerdem ist es auch nicht schlecht, während des Studiums schon Geld zu verdienen.“

Insgesamt fünf Jahre dauert diese duale Ausbildung. Im Juli steht ihre handwerkliche Gesellenprüfung an, knapp ein Jahr später auch der Hochschulabschluss. Eventuell wird die 22-Jährige dann noch einen Master anschließen. Danach möchte sie als Bauleiterin auf dem Bau arbeiten. „Mir ist es wichtig, dann auch ernst genommen zu werden. Deswegen ist die Praxis, die ich jetzt mitbekomme, enorm wichtig für mich. Später weiß ich dann, wovon ich spreche“, sagt Heinzmann.

Auch ihr Chef Otto Birk ist vom Biberacher Modell überzeugt. Mehr als zehn Auszubildende lernen bei ihm in den Betrieben in Aitrach und Leutkirch. Drei der Maurerlehrlinge, inklusive Jennifer Heinzmann, sind bereits als „Bauingenieur Plus“ beschäftigt, ein weiterer kommt nächstes Schuljahr dazu.

„Für mich ist das ein Erfolgsmodell. Wir haben hochmotivierte junge Leute, die viel Wissen in ihr Ingenieursstudium mitnehmen können“, sagt Diplomingenieur Birk. Er denkt schon ein paar Jahre weiter: Wenn seine jetzigen Lehrlinge den Gesellenbrief in der Hand haben und mit dem Studium fertig sind, haben sie bei der Stellensuche vielleicht auch ihren Ausbildungsbetrieb im Blick. Dass ein ausgebildeter Bauingenieur vermutlich keine Maurerstelle annehmen wird, ist Birk bewusst: „Ich bekomme dann vielleicht keinen Maurer, dafür aber einen Bauleiter mit wahnsinnig viel Praxiserfahrung und Ahnung vom Beruf.“
Jennifer Heinzmann verbindet Studium und handwerkliche Lehre mit dem Biberacher Modell.
Jennifer Heinzmann verbindet Studium und handwerkliche Lehre mit dem Biberacher Modell.
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Chancen im Handwerk

Michael Pfeffer, Professor an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, sieht viele Chancen für Jugendliche im Handwerk. Ihn überzeigt vor allem, dass ein guter Handwerker auf der ganzen Welt arbeiten kann.
Michael Pfeffer, Professor an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, sieht viele Chancen für Jugendliche im Handwerk. Ihn überzeigt vor allem, dass ein guter Handwerker auf der ganzen Welt arbeiten kann.
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Einen anderen Weg, Jugendliche schon früh für das Handwerk zu begeistern, sieht der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerkes (ZDH), Hans Peter Wollseifer, im sogenannten Berufsabitur, das sich in der Schweiz bereits bewährt hat. Die Universität sei nicht immer der Weg zum Erfolg, sondern für viele junge Menschen auch eine Sackgasse, schreibt Wollseifer in seinem Blog der Handwerkskammer Köln. Die duale Berufsausbildung im Handwerk sei eine gleichwertige Alternative. Angesichts von vielen Tausend unbesetzten Ausbildungsplätzen bundesweit müsste verstärkt bei jungen Menschen für mehr Attraktivität im Handwerk geworben werden, schreibt Wollseifer weiter.

Abiturienten können auf dem Weg zu ihrem Schulabschluss eine Gesellenprüfung ablegen. Zum Schuljahr 2017/ 2018 soll das Berufsabitur als Pilotprojekt in sechs Bundesländern starten, auch an einem beruflichen Gymnasium in Baden-Württemberg.

Dort sollen Schüler dann parallel das Abitur und eine Gesellenprüfung absolvieren können, erklärt Frank Zopp, Sprecher des ZDH: „Das Modell richtet sich an junge Menschen, die sich noch nicht entscheiden können oder wollen, ob sie eine handwerkliche Berufsausbildung oder doch ein Studium wählen sollen.“ Die Schüler seien durch den doppelten Abschluss flexibler. Mit der Gesellenprüfung könnten die Jugendlichen eine Ausbildung zum Handwerksmeister draufsetzen oder mit der ersten abgeschlossenen Ausbildung in der Tasche ein Studium beginnen. Das Berufsabitur sei ein möglicher Baustein auf dem Weg zur modernen, zukunftsfähigen Berufsausbildung in Deutschland, glaubt Zopp.



Michael Pfeffer, Professor an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, sieht viele Chancen für Jugendliche im Handwerk. Ihn überzeigt vor allem, dass ein guter Handwerker auf der ganzen Welt arbeiten kann.
Michael Pfeffer, Professor an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, sieht viele Chancen für Jugendliche im Handwerk. Ihn überzeigt vor allem, dass ein guter Handwerker auf der ganzen Welt arbeiten kann.
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Eine weitere Herausforderung sieht Michael Pfeffer, Prorektor für Forschung, Internationales und Transfer an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, darin, das Image des Handwerks zu verbessern. Potenzieller Nachwuchs sollte ein positives Bild der Berufswahl „Handwerk“ im Kopf haben. Er selbst hat vor seinem Physikstudium und der Promotion eine Lehre zum Mechaniker abgeschlossen, der Lehrbrief hängt neben seiner Doktorurkunde im Büro an der Wand. Die handwerkliche Ausbildung und das Studium sind für Pfeffer absolut gleichwertige Bildungswege.

 „In den Köpfen von Eltern und Lehrern muss klar werden, dass das Handwerk eine Chance für ihre Kinder bedeutet, dass durch das Handwerk Träume in Erfüllung gehen können und dass es nicht die übriggebliebene Ausbildungsalternative hinter dem Studium ist“, sagt Pfeffer. Es stecke viel Potenzial in den unzähligen Handwerksberufen, die es in Deutschland gibt. Nun müssten die Handwerkskammern dieses Potenzial den Jugendlichen aufzeigen.

„Ein guter Bäckermeister oder Dachdecker kann doch auf der ganzen Welt arbeiten. Nicht nur mit einem Studium, sondern auch mit einem Handwerk steht jungen Menschen die Welt offen. Und genau das ist es doch, was Schulabgänger nach ihrem Abschluss heutzutage suchen“, ist Pfeffer überzeugt.

Dass die duale handwerkliche Ausbildung in Deutschland weiterhin einen großen Stellenwert einnehmen wird, da ist sich der Prorektor sicher. Ob aber das Berufsabitur, ein duales Format oder doch die klassische Ausbildung sich durchsetzen, könne er noch nicht einschätzen. Eines ist aber klar: Die Digitalisierung im Handwerk wird nicht mehr weniger, sondern mehr werden. Der Schreinerlehrling wird sich in Zukunft wohl immer öfter mit blinkenden Bildschirmen, automatischen Sägen und Kundenanfragen per Mail auseinandersetzen müssen.



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Fackräftemangel

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Wer baggern, Beton mischen oder Brot backen kann, ist in Baden-Württemberg und Bayern heiß begehrt. Überdurchschnittlich viele Handwerksbetriebe aus dem Bau- und Lebensmittelbereich suchen Gesellen und Auszubildende, wie eine repräsentative Umfrage unter den Betrieben zeigt.

Zwar gebe es in Deutschland laut Agentur für Arbeit aktuell keinen flächendeckenden Fachkräftemangel, aber es gebe Engpässe in bestimmten Berufsfeldern wie der Pflege oder bei technischen Berufen. Der Mangel macht auch vor dem Handwerk nicht halt – und er könnte in fünf Jahren kritisch werden. So schätzt es jedenfalls Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz, ein. Dass es so weit nicht kommt, sei zwar zu schaffen, „aber nur mit großem Aufwand“.

Aus Sicht des Handwerks ergibt sich folgende Situation: Immer weniger Menschen in Deutschland stehen als potenzielle Fachkräfte zur Verfügung. Immer mehr entscheiden sich für eine akademische Laufbahn. Die Handwerksbetriebe brauchen aber mehr Fachkräfte, also Mitarbeiter, die im Gegensatz zu ungelernten Hilfskräften das Handwerk von Grund auf gelernt haben, um die Nachfrage nach solide gezimmerten Dachstühlen, fachgerecht verlegten Elektrokabeln und knusprig gebackenem Brot zu befriedigen.

Und das Problem hat sich innerhalb weniger Jahre verschärft, wie eine Umfrage von 2011 und 2015 unter allen Betrieben der acht baden-württembergischen Handwerkskammern belegt: 28 Prozent der Betriebe wollten vor zwei Jahren Fachkräfte einstellen – 2011 waren es 23,5 Prozent. 62 Prozent der Betriebe klagten, dass trotz starker Bemühungen kein geeignetes Personal zu finden ist – 2011 hatten das nur 38 Prozent so erlebt.





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- 71,9 Prozent

 geben als Hauptgrund für die Probleme bei der Stellenbesetzung geben die Betriebe an, dass die Qualifikation der Bewerber nicht den Anforderungen entspreche.

- 64,3 Prozent

erklärten, dass sich keine Bewerber auf die Stelle gemeldet haben. Knapp über die Hälfte der Betriebe.

- 53,2 Prozent

machten die hohe Wettbewerbssituation mit anderen Unternehmen – besonders aus der Industrie, in der meist besser bezahlt wird – verantwortlich.


Für die Entstehung der Engpässe am Arbeitsmarkt spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Die Agentur für Arbeit nennt zuallererst die demografische Entwicklung – seit 1972 ist die Sterberate höher als die Geburtenrate; zusammen mit einer höheren Lebenserwartung steigt somit der Anteil älterer Menschen gegenüber dem Anteil jüngerer. Die Unternehmen wollen aber im Vergleich zu früher mehr Menschen einstellen. Hinzu kommt, dass die Anforderungen in vielen Berufsfeldern durch die voranschreitende Digitalisierung höher werden. Arbeitgebervertreter kritisieren die Frührente als verschärfenden Grund, Gewerkschaften und Handwerker geben der sich erhöhenden Akademikerquote die Schuld.

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Die Handwerkskammer Konstanz konkretisiert auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ diese Faktoren weiter: So sei lange Zeit die geringe Akademikerquote in Deutschland im internationalen Vergleich als problematisch angesehen worden – unter anderem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Eine falsche Einschätzung, kritisiert das Handwerk, denn die zugrundeliegende OECD-Studie habe die duale Ausbildung in Deutschland nicht richtig bewertet. Die Organisation kritisierte vor allem die geringe Quote von Hochschulabsolventen in Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestaaten – ließ aber außer Acht, dass in anderen Ländern Berufe, die in Deutschland in der beruflichen Ausbildung vermittelt werden, in die akademische Bildung fallen.

Deutschland habe deshalb als Folge der verhängnisvollen Studie die akademische Bildung viel stärker gefördert als die berufliche. „Heute beginnen rund 60 Prozent eines Jahrgangs ein Studium, noch vor zehn Jahren starteten so viele eine duale Ausbildung“, beschreibt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ die Lage. Zudem sinken die Schulabgängerzahlen als Folge des demografischen Wandels. Die anhaltend gute Konjunktur lasse selbst bei Branchen mit guten Ausbildungszahlen den Bedarf steigen.
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Doch was machen die Betriebe gegen die Engpässe, was machen die Interessenvertreter des Handwerks? Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der HWK Konstanz gibt Auskunft: „Es fängt ganz früh an, bei der beruflichen Orientierung an Schulen.“ Auch die Wahl der Eltern spiele eine Rolle, erklärt Hiltner. Die meisten wünschten sich, dass ihr Kind aufs Gymnasium geht und studiert, „dabei sind einige davon in einem praktischen Beruf besser aufgehoben“.

Bildungspartnerschaften und Ausbildungsbotschafter, Praktika und Ferienprogramme sollen das Handwerk zurück in die Köpfe bringen. Denn oftmals fehle der Jugend Wissen über die Berufe und deren Anforderungen, vor allem bei Berufen ohne direkten Kundenkontakt. Zu dem Schluss kommt eine Studie der Handwerkskammer Reutlingen.

Hiltner verweist außerdem auf die Image-Kampagne des deutschen Handwerks, die seit 2010 versucht, „das Handwerk stärker in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken sowie ein zeitgemäßes und modernes Bild des Handwerks zu vermitteln – vor allem auch bei jungen Menschen“, wie der Zentralverband des deutschen Handwerks die Motive beschreibt. 
Laut Hiltner sind bereits positive Effekte der Kampagne zu spüren, mehr junge Menschen mit Abitur fänden bereits den Weg ins Handwerk.

Vor einem weiteren sehr drängenden Problem steht das Handwerk in Baden-Württemberg, wo das Handwerk mit anderen florierenden Branchen um Arbeitskräfte konkurriert: Rund zwei Drittel der Gesellen wandern in andere Wirtschaftsbereiche ab – hauptsächlich in die Industrie, aber auch in den Handel und in den Dienstleistungsbereich. Diese Fachkräfte zu halten, ist, neben neuen zu gewinnen, eine Herausforderung für die Betriebe. Deswegen verstärken laut der Kammer-Umfrage von 2015 die Handwerksbetriebe im Südwesten ihre Weiterbildungsangebote (57 Prozent) und zahlen übertariflich (54 Prozent). Doch die Arbeitszeiten und die Verdienstmöglichkeiten in der Industrie seien in vielen Bereichen besser, beklagen zahlreiche Handwerksunternehmen.

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Deshalb spricht Hiltner von einem „großen Aufwand“, die Engpässe und den teilweisen Mangel an Fachkräften zu überwinden. Das Potenzial sei da und das baden-württembergische Handwerk habe die besten Voraussetzungen, dies zu schaffen, ist Hiltner zuversichtlich. Man müsse sich den veränderten Verhaltensweisen und den höheren Ansprüchen der Jugendlichen anpassen, ihnen Raum zur Entfaltung geben.

Es gelte die Attraktivität und die Vorteile des Handwerks, wie flache Hierarchien und hohe Eigenverantwortung wirksam darzustellen“, beschreibt die Reutlinger Studie die Aufgaben, die das Handwerk angehen muss. Die Politik könne dabei günstige Rahmenbedingungen schaffen, Handwerkskammern mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Die Bewerber vor Ort überzeugen müssen allerdings die Betriebe. Eine Aufgabe, von der die Zukunft des gesamten deutschen Handwerks abhängt. Das weiß auch Deutschlands oberster Handwerker. „Die Versorgung ist gewährleistet“, erklärt ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer beruhigend. „Die Verbraucher finden zurzeit noch genügend Betriebe in allen Regionen, um Arbeiten in Auftrag zu geben.“ Die Betonung liegt allerdings auf dem Wort „noch“. Denn nur wenn die Betriebe bei ihrer Suche nach den Kräften, die Baggern, Beton mischen und Brotbacken können, in Zukunft erfolgreich sein werden, wird aus dem Engpass keine die Volkswirtschaft bedrohende Krise.
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Alte Techniken

Viele Handwerker erhalten mit ihrer Arbeit traditionelle Kulturtechniken - Ein Besuch bei Orgelbauern, Brunnenbauern und Büchsenmachern 
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Yann Felix Müller beugt sich über die Tasten aus gebleichten Rinderknochen. Konzentriert blickt der 26-Jährige auf dünne Metallstangen, die an hölzerne, filigrane Hebel geschraubt sind. Wenn Müllers Kunde, der Organist der Gemeinde Neuchâtel in der Schweiz, die Tasten in einigen Wochen drückt, werden die Hebel Ventile öffnen, Luft strömen – und die Pfeifen der Orgel erklingen lassen. Doch bis dahin dauert es noch. Bislang steht die Orgel in Pfullendorf – und der Kunsthistoriker hat noch viel Arbeit vor sich. Yann Felix Müller ist Orgelbauerlehrling und mit seinem Chef Stefan Stürzer arbeitet er an dem mehr als acht Meter hohen Instrument.

Die musikalischen Tüftler gehören zu den mehr als einer dreiviertel Million Menschen in Baden-Württemberg, die im Handwerk beschäftigt sind. Doch sie reparieren keine Autos, schneiden keine Haare und verlegen keine Elektrokabel, wie die Kollegen der Gewerke, die mit Abstand die meisten Beschäftigten stellen – in den Handwerkskammern Ulm, Konstanz und Reutlingen führen die Frisöre (3635 Betriebe) die Rangliste vor den Kraftfahrzeugmechanikern (2746) und Elektrotechnikern (2592) an.

Im Gegensatz zu diesen Berufen gehören Gewerke wie Klöppler, also Handwerker, die mit einer speziellen Technik Spitze herstellen, Posamentierer, die Zierbänder, Quasten und Borten machen, oder Kuttler, sprich Metzger für Innereien, eher der Vergangenheit an. Die moderne Gesellschaft scheint solche seit Jahrhunderten ausgebildeten Techniken und Fertigkeiten nicht mehr zu benötigen. Wieder andere Gewerke spielen im Vergleich zu Frisören, Automechanikern und Elektrotechnikern im deutschen Handwerk allenfalls eine Nebenrolle, sie haben jedoch auch im 21. Jahrhundert ihre Nische gefunden – und retten jahrhundertealte Traditionen in die Neuzeit.
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Gemeinsam mit seinem Lehrling Yann Felix Müller ist Stefan Stürzer ein solcher Retter. Seit dem Jahr 2005 führt er die Pfullendorfer Orgelbaufirma Glatter-Götz. Gegründet hat sie Caspar Glatter-Götz aus der bekannten gleichnamigen Orgelbaufamilie, damals war die Werkstatt noch in Owingen am Bodensee.

„Wir stellen Musikinstrumente her, die alles Unikate sind und speziell für den jeweiligen Saal gebaut werden“, sagt Stürzer. „Das hat mich fasziniert. Bei jeder Orgel entfaltet sich der Klang anders im Raum.“
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Gepackt hat ihn die Leidenschaft schon zu Schulzeiten. Der 42-Jährige stammt aus Feldkirchen-Westerham, einer kleinen Gemeinde südlich von München. Dort hörte er in der Kirche das Tösen und Tönen einer Orgel – und erfuhr in der Werkstatt des ortsansässigen Orgelbauers, welche handwerklichen Fertigkeiten nötig sind, das Tösen und Tönen in Gotteshäusern erklingen zu lassen.

„Beim Orgelbau geht es um eine ganz spezielle Kombination aus Handwerk und Musik“, erläutert Stürzer. Nach der Schule machte er ein Praktikum – eine Entscheidung, die ihn über die dreieinhalb Jahre währende Lehrzeit zum Orgelbauer an den Bodensee und im vergangenen Jahr bis ins russische Murmansk führte.

Denn Glatter-Götz ist weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus bekannt, viele Aufträge für Orgelneubauten kommen aus den Vereinigten Staaten und aus Russland. So baute das achtköpfige Team von Glatter-Götz die neue Orgel im berühmten Bolschoi-Theater in Moskau, 2013 stimmte Stefan Stürzer dort die letzten Pfeifen. 
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Größtes und wohl spektakulärstes Projekt ist aber die Orgel im vom US-Stararchitekten Frank Gehry gestalteten Saal in der Walt-Disney-Concert-Hall in Los Angeles. 2004 fertig geworden, hat das Instrument mehr als 6000 Pfeifen in 74 Registern und kostete damals rund drei Millionen Euro. Solche Bauten ziehen sich meiste über mehrere Jahre.

Insgesamt kommt das Unternehmen so auf einen durchschnittlichen Jahresumsatz von rund einer Million Euro. Den Gewinn nennt der Glatter-Götz-Chef nicht. „Wir schreiben aber schwarze Zahlen, sind profitabel – und zufrieden“, sagt Stürzer.


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Nicht zuletzt weil auch die Auftragslage sehr gut sei. Der bislang letzte Großauftrag war dann im vergangenen Jahr die Orgel in der Philharmonic Concert Hall in Murmansk. Ein halbes Jahr weilte Stefan Stürzer in der Stadt am Polarmeer, um die 3000 Pfeifen zu stimmen. Die Orgel für Neuchâtel, an der Yann Felix Müller zurzeit in Pfullendorf arbeitet, ist dagegen schon fast ein kleines Projekt.

Der junge Mann, der in kurzen Hosen in das Innere des Instruments klettert, um dort die Ventile zu überprüfen, ist im Moment der einzige Lehrling bei Glatter-Götz. „Wir waren lange auf der Suche nach einem passenden Auszubildenden“, erzählt sein Chef, „es wäre schön, wenn es mehr Anfragen gäbe aber das Interesse ist nicht so groß.“

Bei Yann Felix Müller war das anders, er entschied sich nach seinem Studium bewusst für eine handwerkliche Tätigkeit – und ist sich von Tag zu Tag sicherer, dass das die richtige Entscheidung gewesen ist. „Mir macht das große Freude. Ich begreife wie die Teile der Orgel funktionieren, wie sie aufeinander abgestimmt werden“, sagt Müller.

Spielen kann er das Instrument zwar noch nicht, doch auch das lernt er – der Orgelunterricht hat vor wenigen Tagen begonnen.
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Leander Wirth lernt auch – doch er muss nicht schimmernde Orgeltasten drücken, sondern schwere Bohrgestänge stemmen. Der 17-Jährige ist angehender Brunnenbauer – und hat sich nicht zuletzt wegen der körperlichen Anforderungen den Beruf ausgesucht. „Ich mag das, wenn man zuzupacken hat und Kraft braucht“, sagt der Allgäuer.

In Bad Wurzach richtet er gemeinsam mit seinem Lehrlingskollegen auf dem Betriebsgelände des Unternehmens Baugrund Süd eine Bohrmaschine ein. Belmin Djinic hat die Hände an den Schalthebeln, während Wirth die nächste Bohrstange einschraubt.

Genau das, was Leander Wirth an seiner Lehre liebt, schreckt andere ab: die harten körperliche Arbeit unter freiem Himmel. „Es ist nicht einfach Lehrlinge zu finden, wer will denn noch bei Wind und Wetter draußen arbeiten?“, sagt Alois Jäger, Geschäftsführer und Mitgesellschafter von Baugrund Süd. Die Allgäuer gehören zu den führenden Firmen Süddeutschlands im Bereich Geothermie, Brunnenbau und Erdbohrungen.  
 
Unternehmen wie Baugrund Süd haben die Jahrhunderte alten Brunnenbautechniken weiterentwickelt und bauen heute Brunnen zur Wasserversorgung, für Sportanlagen und Golfplätzen sowie thermische Anlagen zur Klimatisierung von Gebäuden oder analysieren den Baugrund durch Erdbohrungen. Vor allem dank der Geothermie, also Brunnen, die durch Kopplung mit einer Wärmepumpe Häuser heizen oder kühlen können, läuft das Geschäft.



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Seit 2014 ist Baugrund Süd jedes Jahr zwischen fünf und zehn Prozent gewachsen, 2016 betrug der Umsatz rund 25 Millionen Euro. „Die Zahlen sind schwarz. Ich bin sehr zufrieden“, sagt Jäger, dem als Gründer noch 20 Prozent des Unternehmen gehören. Die restlichen 80 Prozent hält der Brenner- und Heizanlagenbauer Weishaupt aus Schwendi. „Die Aussichten für Auszubildenden sind aus meiner Sicht fantastisch“, meint Jäger, „Brunnerbauer werden gesucht, sie kommen während ihrer Lehrzeit viel herum, die Arbeit ist technisch anspruchsvoll“ – und doch will kaum einer lernen, Brunnen zu bauen.

Das liegt, so glauben jedenfalls die beiden Brunnenbauer Leander Wirth und Belmin Djinic nicht zuletzt auch daran, dass sich keiner etwas unter der Arbeit vorstellen kann, obwohl der Name eigentlich für sich spricht. „Aber kaum einer kann sich richtig etwas darunter vorstellen“, erzählt Wirth. „Ich werde immer gefragt, ob ich nach Öl bohre“, sagt Djinic. „Das ist besonders bei alten Herrschaften die erste Assoziation.“
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Erzählt dagegen David de Temple von seinem Beruf, hat jeder sofort ein Bild vor Augen. Der 24-Jährige baut als Büchsenmacher Gewehre für Jäger und bereitet sich gerade auf seine Abschlussprüfung vor.
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Im Tettnang geboren, wuchs de Temple in Schweden auf, im Nationalpark Tiveden auf halbem Weg zwischen Stockholm und Göteborg. „Ich war mit 13 das erste Mal auf der Jagd, mit 14 habe ich den Jagdschein gemacht und bin nach der neunten Klassen auf ein Jagdgymnasium gegangen“, erzählt der Lehrling. „Ich bin immer in der Natur, im Wald unterwegs gewesen, und zur Hege gehört die Jagd dazu.“ Die Ausbildung zum Büchsenmacher gibt es in Schweden allerdings nicht, David de Temple schaute sich in seiner alten Heimat um – und begann eine Lehre bei Deutschlands größtem Hersteller von Jagdwaffen: der Blaser Jagdwaffen GmbH.

Heute feilt David de Temple in der Lehrwerkstatt Blaser in Isny im Allgäu: Ein Gewehrabzug ist in einen Schraubstock eingespannt. „Die Lehre zum Büchsenmacher ist eine technisch-mechanische Ausbildung, keine maschinenlastige“, erläutert Büchsenmachermeister Jann Ahrenholz. Rund 15 Auszubildende beschäftigt das Unternehmen, pro Lehrjahr erhält der Jagdgewehrbauer mehr als 50 Bewerbungen.
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„Wir müssen uns die Kandidaten aber genau anschauen, immer mal wieder sind da Leute dabei, die nur wegen des Schießens zu uns kommen“, sagt Ahrenholz. „Aber man merkt relativ schnell, was die Motivation für die Bewerbung ist.“

Ohne handwerkliches Geschick und Freude am Feilen, Fräsen, Drehen und Einpassen von Metallteilen sei eine solche Lehre nicht denkbar. „Auch wenn technologische Fertigungsmethoden die Herstellung von Jagdwaffen revolutioniert haben, die handwerkliche Expertise spielt nach wie vor eine große Rolle“, sagt Blaser-Chef Bernhard Knöbel.

„Unser Handwerk vereint wie kein anderes das Arbeiten mit Metall und Holz.“ Ein Handwerk, mit dem Blaser im vergangenen Jahr den Umsatz von 71,8 auf 78,8 Millionen Euro gesteigert hat. Denn Gewinn nennt Knöbel nicht – nur so viel. „Im Branchenvergleich gehören wir sicherlich zu den erfolgreichste Unternehmen.“
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Grundlage für die gute Marktposition sei nicht zuletzt die Ausbildung, wie Knöbels Büchsenmachermeister Ahrenholz erklärt. „Würden wir nicht selbst Lehrlinge ausbilden, hätten wir große Probleme, an genügend gut Fachkräfte zu kommen.“

Seine Berufsaussichten schätzt David de Temple als gut ein: Er will nach seiner Abschlussprüfung Mitte Juli erst einmal bei der Allgäuer Firma bleiben und seine Fertigkeiten perfektionieren. Die Fertigkeiten im Herstellen von Flinten und Büchsen, für die die Regionen nördlich der Alpen schon seit mehr als 500 Jahren bekannt und berühmt ist.

Wie der Orgelbauer Yann Felix Müller und die Brunnerbauer Leander Wirth und Belmin Djinic gehört auch der Büchsenmacher David de Temple zu den Rettern, die traditionelle Handwerksberufe ins 21. Jahrhundert hinüberretten. Und ihre berufliche Zukunft auf sie aufbauen.
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Digitalisierung im Handwerk

Johann Betcher (links, mit seiner Frau Geraldine) hat dank der Software keine 18-stündigen Arbeitstage mehr.
Johann Betcher (links, mit seiner Frau Geraldine) hat dank der Software keine 18-stündigen Arbeitstage mehr.
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Für Johann Betcher ist die Digitalisierung ein Segen. Ob Werbung, Verwaltung, Planung, Einkauf oder Kooperation mit anderen Firmen – sein Handwerksbetrieb in Heidenheim an der Brenz profitiert vom Einsatz digitaler Technik. Fragt man den Zimmerermeister, ob er denn auch computeraffin sei, antwortet er lachend: „Ich habe andere Talente.“
Und doch wäre sein 2013 gegründetes Start-up ohne den Einsatz von Computern und Software nicht so erfolgreich und schnell gewachsen. Davon sind der 36-Jährige und seine Ehefrau Geraldine mehr als überzeugt.

Vor zwei Jahren war der zehn Mann starke Handwerksbetrieb an einem kritischen Punkt. Verwaltung, Planung, Kalkulationen – „da habe ich noch alles selbst gemacht“, erzählt Johann Betcher, Vater von drei Kindern. 18-Stunden-Tage wären keine Seltenheit gewesen. Da habe er nicht nur den Entschluss gefasst, „dringend notwendige“ Programme zu kaufen, um die Arbeit zu erleichtern. Auch Auftritt und äußeres Erscheinungsbild des Unternehmens sollten eine ansprechende Form annehmen. Werbung und Marketing – „das muss alles ordentlich sein“, sagt Geraldine Betcher.

Gemeinsam mit einem Grafikbüro aus Reutlingen, das Gründer unterstützt, habe man das Firmenlogo kreiert und den Internetauftritt gestaltet. Heute umfasst die Homepage von Betchers Unternehmen Blog-Einträge, Drohnenbilder und Videos; die Fahrzeuge wie die Kleidung der Mitarbeiter haben ein einheitliches Aussehen. Dazu ist Johann Betcher auf Facebook vertreten.Das Beispiel des Heidenheimer Unternehmens zeigt, wie die Digitalisierung im Handwerk Einzug hält, wie Betriebe die neuen Techniken für sich nutzen – und vor allem, wie digtal affine Handwerker Konkurrenten abhängen, die keine Homepage haben und nicht per E-Mail erreichbar sind. Dabei geht es nicht nur um Marketing und Kundenkommunikation, sondern vor allem auch um die digitale Optimierung von Verwaltung und Produktion.

Ohne Verwaltungssoftware, sagt Johann Betcher, käme auf jeden vierten Mitarbeiter eine Vollzeitkraft im Büro. Insgesamt arbeiten derzeit 17 Mitarbeiter, nicht alles sind 100-Prozent-Stellen, in dem Zimmerei- und Holzbaubetrieb, darunter vier Lehrlinge und zwei Meister. Und gerade die Meister, die teuersten Arbeitskräfte, hätten früher oft und viel Büroarbeit machen müssen, weil sie die nötige betriebswirtschaftliche Ausbildung haben, so Betcher. Dank der Digitalisierung habe man die Zeit der Meister im Büro auf 30 bis 40 Prozent reduzieren können. Unterstützt werden sie dabei von zwei Halbtagskräften. „Deshalb haben wir ja alles umgestellt“, sagt Geraldine Betcher, „damit er mehr draußen sein kann. Das ist es, was er liebt.“ Und vor allem ist Johann Betcher dort für sein Unternehmem am wertvollsten. Als nächstes plant er, iPads auf Baustellen zu verwenden, um irgendwann völlig papierfrei zu arbeiten. Auch in eine digitale Zeiterfassung, am besten per Smartphone, will Betcher investieren.
Johann Betcher (links, mit seiner Frau Geraldine) hat dank der Software keine 18-stündigen Arbeitstage mehr.
Johann Betcher (links, mit seiner Frau Geraldine) hat dank der Software keine 18-stündigen Arbeitstage mehr.
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Simon Haag sieht die Zukunft im teilautonomen Fahren seiner Baumaschinen.
Simon Haag sieht die Zukunft im teilautonomen Fahren seiner Baumaschinen.
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Eine solche Zeiterfassung hat der Bauunternehmer Simon Haag schon seit 2015 in seinem Betrieb, doch gerade bei der eigentlichen Bautätigkeit greift Haag immer öfter auf digitale Technik zurück. „Wir sind noch am Anfang der Digitalisierung“, sagt der 45-Jährige, „bis heute waren die Einsparungen sehr groß“, er entdecke noch immer weiteres Potenzial.

Wachsen soll sein Unternehmen allerdings nicht, Simon Haag will die Betriebsgröße von rund 250 Mitarbeitern – knapp 130 davon am Standort Neuler (südwestlich von Ellwangen), der Rest verteilt sich auf die Standorte Glauchau (Sachsen) und Rommelshausen (östlich von Stuttgart) – halten. Der Grund dafür sei die zunehmende Geschwindigkeit bei technischen Innovationen. „Da wollen wir vorne mit dabei sein und das Tempo halten“, erklärt Haag. Gleichzeitig personell zu wachsen, erscheine ihm nicht sinnvoll. Mit der Digitalisierung komme „eine Riesenwelle auf uns zu. Wir müssen Prozesse umstellen“, ist er sich sicher. Um „vorne mit dabei zu sein“, hat der Geschäftsführer von Haag-Bau, das sein Vater Eduard Haag als Ein-Mann-Unternehmen 1970 gegründet hat, bereits viel investiert. Einen Bagger mit der neuesten Technik auszurüsten, koste 60 000 Euro, vier von 16 Baggern sind schön ausgerüstet. Der Prozess der Digitalisierung wird niemals aufhören“, sagt Haag.

Vor wenigen Jahren wurde der Verlauf einer Straße, die es zu bauen galt, noch mit Pflöcken und Schnüren markiert, erzählt Simon Haag. Heute seien alle notwendigen Informationen und Pläne dank eines kleinen Computers auf dem Bagger samt Satellitenortung verfügbar. Um millimetergenau zu arbeiten, müssten die Satellitendaten noch präzisiert werden – durch Georeferenzierung, heißt anhand bekannter Orte und Bezugspunkte. Haag nutzt dazu Technik der amerikanischen Firma Trimble, eines Anbieters integrierter geodätischer Systeme. So weiß der Baggerfahrer ganz genau, was Haag im Büro geplant hat und wo zu graben ist. Kommt es zu Abweichungen, beispielsweise wenn ein großer Stein erfordert, dass man Abwasserrohre und -anschlüsse ein paar Meter weiter weg als geplant platziert, werden die Pläne mit den Daten des Baggers aktualisiert. Dann wissen auch ein paar Monate später die nächsten Bauarbeiter ganz genau, wo der Anschluss vergraben wurde und können dort weiterarbeiten.

Planänderungen hätten auch oft zur Folge gehabt, so Haag, dass Material fehlte, weil man mehr verbaut hat. Das habe man aber oft erst sehr spät bemerkt. Dann musste man ganz schnell jemanden losschicken, der ein paar Meter Rohre kauft. Jetzt gibt die Software sofort an, dass mehr Material benötigt wird und es kommt zu keinem überraschenden Engpass. Doch trotz aller digitaler Unterstützung sei man insgesamt nicht schneller geworden, sagt Simon Haag. Zwar habe sich die Zeit auf der Baustelle verkürzt, aber dafür dauere nun die Vorbereitungsphase länger. Positiver Effekt dabei ist laut Haag, dass man durch die verkürzte Bauzeit weniger anfällig sei für Störungen aller Art wie zum Beispiel schlechte Witterung.

Der nächste Schritt für Simon Haag ist das teilautonome Fahren der schweren Maschinen. Schon heute werde das Planierschild der Raupe vom Computer gesteuert. In Zukunft werden noch mehr Assistenzsysteme dafür sorgen, dass sich die Maschinen selbst am Plan entlangtasten und ihre Arbeit verrichten. So könne man einem Bagger beispielsweise einen „digitalen Käfig“ zuweisen, in dem er sich dann bewegen und arbeiten kann. Der Baggerführer ist dann kein Fahrer mehr, sondern übernimmt die Rolle eines Überwachers. In Zukunft werde es auch möglich sein, komplette Bauprojekte zu simulieren, so Haag. Dann gebe es nicht nur einen dreidimensionalen Plan der Baustelle, sondern mit Zeit und Kosten kämen dann eine vierte und fünfte Dimension dazu. Dann wisse man in der Planungsphase bereits, zu welchen Zeitpunkt welche Kosten auf der Baustelle entstehen.

Doch die Digitalisierung bringt nicht nur Positives mit sich. Sie schafft auch neue Abhängigkeiten von der Technik, wie Simon Haag erfahren musste. Probleme mit der Datenübertragung seitens seines Internetanbieters hätten seinen Betrieb schon einmal für einen ganzen Tag lahmgelegt. Die Digitalisierung trägt außerdem zum Fachkräftemangel bei, wie Analysen des Bundesamtes für Arbeit genauso zeigen wie Umfragen der Handwerkskammern. So mangelt es an nach neuesten technischen Standards ausgebildeten Fachkräften – vor allem in Handwerksbetrieben. Und nicht zuletzt auch deswegen, weil die Industrie sich ebenfalls um sie bemüht.
Simon Haag sieht die Zukunft im teilautonomen Fahren seiner Baumaschinen.
Simon Haag sieht die Zukunft im teilautonomen Fahren seiner Baumaschinen.
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Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks ist optimistisch. Nach seiner Auffassung überwiegen die Chancen der Digitalisierung.
Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks ist optimistisch. Nach seiner Auffassung überwiegen die Chancen der Digitalisierung.
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Nicht nur im Bereich Personal treten Industrie und Handwerk im Zuge der Digitalisierung in Konkurrenz miteinander. Auch bei den Produkten und Dienstleistungen buhlen die beiden Wirtschaftszweige immer mehr um die gleichen Kunden. Durch die Digitalisierung ist es nun auch industriell geprägten Unternehmen möglich, Produkte individuell anzufertigen: So treten beispielsweise Unternehmen wie masstisch.de durch zentimetergenaue, auf persönliche Wünsche abgestimmte Angebote in Konkurrenz mit jedem Schreiner. Diese Entwicklung ist eine der großen Ängste des Handwerks, wie die Studie „Handwerk 2025“ des baden-württembergischen Handwerkstags und Wirtschaftsministeriums zeigt. Die Handwerksbetriebe befürchten, bei der digitalen Transformation abgehängt zu werden von Industrieunternehmen, denen mehr Ressourcen und Kapital zur Verfügung stehen.

Deutschlands oberster Handwerker, Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, ist dennoch optimistisch: „Es geht kein Weg daran vorbei, dass die Digitalisierung auch das Handwerk grundlegend verändert. Das birgt Risiken, aber nach unserer Auffassung und auch der der Betriebe überwiegen die Chancen. Wir unterstützen sie dabei, diese Chancen zu nutzen“, sagt Wollseifer im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Und Unterstützung wünschen sich die Handwerker laut der Studie „Handwerk 2025“ in Zusammenhang mit der Digitalisierung nicht nur bei der Entwicklung und Umsetzung passender Strategien, sondern auch bei der Aus- und Weiterbildung, bei der Vernetzung der Betriebe und bei der zielführenden Nutzung ihrer Daten zur Wertschöpfung.Nur wenn das sichergestellt ist, werden Trendsetter wie Johann Betcher oder Simon Haag zur Regel – und die Digitalisierung entwickelt sich für das Handwerk zum Segen. Und nicht zum Fluch.
Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks ist optimistisch. Nach seiner Auffassung überwiegen die Chancen der Digitalisierung.
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Neue Perspektiven im Handwerk

Rund 3000 Betriebe zwischen Ulm und Bodensee werden von einer Frau geleitet.
Rund 3000 Betriebe zwischen Ulm und Bodensee werden von einer Frau geleitet.
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Die Nähmaschinen surren, Stoffbahnen flattern über einen großen Tisch, unzählige Nadeln, Stifte und Scheren liegen bereit. Und immer wieder erfüllt Lachen den Raum. Vier Frauen arbeiten zusammen in der Schneiderei von Christine Keller in Langenargen im Bodenseekreis. „Das ist volle Frauenpower im Handwerk“, sagt die Schneidermeisterin.

Rund 30 Kilometer weiter arbeiten Anna Schweizer, Anna Steur und Ina Nann ebenfalls in einer Werkstatt. Die drei Frauen sind beim Malerbetrieb Kaiser in Lindau angestellt. „Wenn wir zu einem Kunden kommen, stutzen die oft zuerst, wenn eine Frau kommt“, erzählt Malermeisterin Steur. Wer einen Handwerker bestellt, erwartet wohl immer noch einen kräftigen Mann an der Haustür. Die Skepsis lege sich aber immer recht schnell, wenn die Arbeit gut erledigt wird, sagen die drei Malerinnen. Auch unter ihren 15männlichen Kollegen seien sie als gleichwertig akzeptiert, bestätigt ihr Chef, Malermeister Ulrich Kaiser: „Jeder macht dieselbe Arbeit. Und das Betriebsklima ist angenehmer, wenn ein gemischtes Team zusammenarbeitet.“ Im September steigt eine weitere Frau als Auszubildende ein. Der Kreishandwerksmeister hat bayernweit Kontakte zu anderen Malerbetrieben und beobachtet, dass immer mehr Frauen in sein Handwerk kommen: „In den vergangenen zehn Jahren sind 20 bis 30 Prozent Frauen unter den Auszubildenden eingestiegen.“

Dieser Trend zeichnet sich laut Handwerkskammer Ulm zwischen Jagst und Bodensee in allen Gewerken ab: Jeden fünften Betrieb in der Region führt eine Frau, rund 25 Prozent der Auszubildenden sind weiblich. Die Handwerkskammer erwartet, dass diese Zahl in den nächsten Jahren auf ein Drittel ansteigt. Nachholbedarf bestehe aber klar noch auf dem Bau, sagt Dominik Maier, Fachbereichsleiter für Nachwuchswerbung der Handwerkskammer Ulm: „Da wollen wir gegensteuern, zum Beispiel mit dem Girls Day, an dem Mädchen Handwerksberufe ausprobieren können. Unser Ziel ist, die Handwerksberufe noch ausgewogener zu gestalten.“ Bei Informationsveranstaltungen der Handwerkskammer sei ihm in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass immer mehr Mädchen dazukommen. Das gestiegene Interesse habe auch etwas mit dem Wandel der Berufsbilder im Handwerk zu tun, sagt Maier: „Die Hemmschwelle, ins Handwerk einzutreten, ist auch für junge Mädchen geringer geworden, da mittlerweile viel mit Technik und Computern unterstützt wird. Die körperlich schwere Arbeit hat in vielen Berufen abgenommen, Frauen haben da keinen Nachteil mehr.“

Für Malerin Anna Steur ist dies ebenfalls ein Grund, warum immer mehr junge Frauen sich für ein Handwerk wie ihres interessieren: „Die körperliche Arbeit hält sich in Grenzen. Klar ist es zu Beginn schwer, 25Kilogramm Putz oder volle Farbeimer zu heben. Aber man gewöhnt sich dran.“

Die Schneiderinnen aus Langenargen und die Malerinnen aus Lindau zeigen: Das Handwerk ist keine Männerdomäne mehr. Seit einigen Jahren steigt die Quote von Frauen im Handwerk und besonders die Zahl der Betriebsleiterinnen: Rund 30 000 handwerkliche Betriebe in Baden-Württemberg werden von Frauen geführt. Mittlerweile liegt der Anteil der Frauen im Handwerk nach Angaben der Handwerkskammer Ulm bei mehr als 30Prozent – und damit höher als in der Industrie. Diese Offenheit hat einen Grund: Das Handwerk braucht dringend Fachkräfte. Deshalb öffnen sich die Arbeitgeber nicht nur verstärkt für Frauen, sondern bieten auch Studienabbrechern und Menschen mit Handicap vermehrt Ausbildungsmöglichkeiten an. „Der Bedarf an Fachkräften ist einfach da. Das Handwerk ist absolut offen dafür und bietet viele flexible Möglichkeiten für Menschen mit einem Handicap“, erklärt die Betriebsberaterin für Inklusion der Handwerkskammer Ulm, Sonja Ruetz.
Rund 3000 Betriebe zwischen Ulm und Bodensee werden von einer Frau geleitet.
Rund 3000 Betriebe zwischen Ulm und Bodensee werden von einer Frau geleitet.
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Beruf und Familie vereinbaren

Die flexiblen Möglichkeiten im Handwerk haben auch die Frauen in der Langenargener Schneiderei überzeugt. Für sie ist ein weiterer Aspekt bei ihrer Berufswahl besonders wichtig gewesen: Job und Familie miteinander vereinbaren zu können. Die Arbeitszeiten und das Ausbildungsmodell seien im Handwerk flexibler und bei einem Team aus vier Mitarbeiterinnen könne man gut über individuelle Anpassungen sprechen, sagt Schneidermeisterin Keller. Ihre beiden letzten Auszubildenden haben jeweils 25 Wochenstunden gearbeitet.

Diese sogenannte Teilzeitausbildung sei ein möglicher Weg, um das Handwerk für Frauen attraktiv zu machen, sagt Dominik Maier von der Handwerkskammer Ulm: „Das ist natürlich für alle eine Möglichkeit, für Männer und für Frauen. Die Teilzeitausbildung richtet sich aber gezielt an Frauen, die nach einer Geburt wieder arbeiten möchten.“ Dabei müsse dann im Betrieb abgesprochen werden, ob die Ausbildung halbtags oder zeitlich ganz flexibel absolviert werden kann, je nach Branche.

„Die Handwerksbetriebe können leichter auf die einzelnen Mitarbeiter eingehen als ein großes Industrieunternehmen.“ Das Modell habe noch viel Potenzial, erklärt Maier: „Der Bedarf an guten Lehrlingen ist definitiv da im Handwerk. Deswegen öffnen sich die Betriebe für neue Ausbildungsmodelle.“ Wie viele Lehrlinge derzeit im Gebiet der Handwerkskammer Ulm eine Teilzeitausbildung machen, dazu liegen noch keine Zahlen vor. Das Thema Teilzeitausbildung sei allerdings noch zu unbekannt.
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Bernd Moll beendet seine Ausbildung im Juli.
Bernd Moll beendet seine Ausbildung im Juli.
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Mit Handicap ins Handwerk

Dass das Handwerk offen für besondere Modelle der Ausbildung ist, davon ist auch Betriebsberaterin Ruetz überzeugt. Sie ist die Ansprechpartnerin für Betriebe in der Region der Handwerkskammer Ulm, die Menschen mit Behinderung ausbilden und beschäftigen wollen. „Mein Auftrag ist es, mehr Betriebe für die Arbeit mit Menschen mit Handicap zu sensibilisieren“, erklärt Ruetz.

Gerade begleitet sie zum Beispiel Bernd Moll. Der 32-Jährige hat eine Lernbehinderung und schließt im Juli seine Lehre in der Zimmerei Gaiser in Oggelshausen im Landkreis Biberach ab. Dafür wird er im Juli das Modell eines Dachstuhls anfertigen müssen. Wenn er die Prüfung schafft, möchte er weiter als Ausbaufacharbeiter in der Zimmerei Gaiser arbeiten. „Mir macht das Werkeln in der Werkstatt und das Arbeiten mit Holz sehr viel Spaß. Es ist schön, wenn man abends sieht, was man gearbeitet hat“, sagt Moll. Zu seinen täglichen Aufgaben in der Werkstatt gehören unter anderem Sägen, Hobeln, Material umladen, Gabelstaplerfahren und Aufräumen.

Mit viel Motivation sei er bei der Arbeit, freut sich sein Chef, Zimmerermeister Roland Gaiser. „Unser Team ist mittlerweile eingespielt. Es braucht aber natürlich viel Geduld und vor allem viel Kommunikation untereinander, damit alles klappt“, erläutert der Chef. „Ich schreibe Bernd alle Arbeitsanweisungen noch mal genau auf, damit er weiß, was zu tun ist.“ Manchmal sei es auch schwer, Kunden auf einer Baustelle zu vermitteln, warum der eine Auszubildende nicht die gleichen Aufgaben erledigen könne wie der andere Lehrling oder der Meister. „Es ist eine Herausforderung für unseren Betrieb, aber man darf nicht nach vier Wochen den Kopf in den Sand stecken“, sagt der Zimmerer. Auch der zweite Auszubildende im Betrieb, Joshua Glaser, schätzt Bernd als zuverlässigen Kollegen: „Man braucht manchmal Geduld, aber es macht Spaß mit ihm zusammen zu arbeiten. Der Vorteil in einer Werkstatt ist, dass man sich gegenseitig bei der Arbeit zuschauen und voneinander lernen kann.“

Nach dem regulären Unterricht in der Berufsschule in Ravensburg fährt Bernd Moll zweimal die Woche nach Biberach zum Förderunterricht. Für Sonja Ruetz ist das ein weiterer Beweis für seine Motivation, die Ausbildung zu schaffen.
Bernd Moll beendet seine Ausbildung im Juli.
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Aaron Hofmann (links) hat sein Studium für eine Lehre abgebrochen.
Aaron Hofmann (links) hat sein Studium für eine Lehre abgebrochen.
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Handwerk statt Universität

Motiviert ist auch Aaron Hofmann. Frustriert und unzufrieden mit seinem Elektrotechnikstudium hatte er sich nach neuen beruflichen Perspektiven umgesehen. Statt einer theoretischen wünschte er sich eine praktische Ausbildung. Der 21-Jährige hatte zunächst ein Elektrotechnikstudium aufgenommen, weil er nach dem Abitur noch nicht richtig wusste, was er arbeiten wollte. Seit Herbst macht er nun eine Ausbildung in der Flaschnerei Stelzer in Ellwangen. „Ich habe ein paar Praktika in der Region gemacht und der Beruf des Flaschners hat mir dann am meisten zugesagt.“

Er ist einer von drei Lehrlingen im Betrieb, die jeweils einen anderen Schulabschluss mitbringen: Hauptschule, Mittlere Reife und Abitur. „Der schulische Abschluss steht bei mir nicht im Vordergrund. Wichtiger sind mir Werte wie Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit und Vertrauen auf der Basis von Ehrlichkeit“, erklärt Betriebsleiter Peter Stelzer. Die Bewerbung von Studienabbrecher Hofmann habe ihn gefreut: Das Team werde durch ihn bereichert.

Dass ehemalige Studenten im Handwerk neue Perspektiven bekommen, hat auch Michaela Lundt von der Handwerkskammer Reutlingen festgestellt. Sie hat im vergangenen Jahr vier Studienabbrecher in Handwerksbetriebe vermittelt. „Ein Studienabbrecher fühlt sich oft, als habe er versagt. Ich sage dann immer, dass sie um eine Erfahrung reicher sind und dafür wissen, was sie wirklich wollen“, erzählt die Beraterin der Handwerkskammer, die auch für Lehrstellenvermittlung zuständig ist. Oft müsse sie auch mit Eltern sprechen, die es nicht verstehen können, wenn ihre Kinder eine akademische Laufbahn aufgeben, um ins Handwerk einzusteigen. „Die Hauptsache ist doch, dass der junge Mensch seine Arbeit gern macht und damit auch gut in seinem Job ist. Alle ehemaligen Studenten, die ich bisher begleiten durfte, waren sehr glücklich in ihrer handwerklichen Ausbildung.“

Vermutlich gibt es noch viel mehr Studienabbrecher, die auch ohne Beratung der Kammer ins Handwerk wechseln, sagt Beraterin Lundt. Manche Studenten würden sich Inspiration holen und dann auf eigene Faust nach einer Ausbildung suchen. Oft kämen sie eher in größeren mittelständischen Firmen unter: „Kleinere Betriebe befürchten, dass Studienabbrecher nach ihrer Ausbildung weitermachen wollen und doch noch an die Hochschule gehen, anstatt im Betrieb zu arbeiten.“ Aber genau da liege auch eine Stärke: Die Handwerkskammer hofft, dass ehemalige Studenten im Handwerk potenzielle Betriebsnachfolger werden.
Aaron Hofmann (links) hat sein Studium für eine Lehre abgebrochen.
Aaron Hofmann (links) hat sein Studium für eine Lehre abgebrochen.
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Handwerker als Zulieferer

Frank Lindenmann, Chef von Lindenmann Präzisionsfertigung, eines in Blaustein (Alb-Donau-Kreis) ansässigen Lohnfertigers für hochgenaue Frästeile.
Frank Lindenmann, Chef von Lindenmann Präzisionsfertigung, eines in Blaustein (Alb-Donau-Kreis) ansässigen Lohnfertigers für hochgenaue Frästeile.
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„Manchmal kommt Geschäft auch von alleine“, sagt Frank Lindenmann und lacht. Der Mittvierziger ist Chef von Lindenmann Präzisionsfertigung, eines in Blaustein (Alb-Donau-Kreis) ansässigen Lohnfertigers für hochgenaue Frästeile. Das Unternehmen hat sich auf die CNC-Bearbeitung von Gussteilen wie Getriebe- und Pumpengehäuse spezialisiert und beliefert deutsche Industrie-Ikonen wie Bosch-Rexroth, Kuka, Voith oder den Friedrichshafener Motorenbauer MTU, der seit 2014 zur Rolls-Royce-Gruppe gehört.

Lindenmann – mit gut 200 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von etwas mehr als 30 Millionen Euro – hat sich über die Jahre von einem kleinen Handwerksbetrieb zu einem Unternehmen weiterentwickelt, in dem Industriestandards gelten. Eine Transformation, die viele Firmen im Südwesten durchlaufen haben, und die wesentlich für die wirtschaftliche Stärke Baden-Württembergs verantwortlich zeichnet.

Gut ein Viertel der rund 18600 Betriebe im Bezirk der Handwerks-kammer Ulm sind im sogenannten Business-to-Business-Geschäft tätig – bedienen also vornehmlich die Unternehmens- und nicht die Privatkundschaft. Der Prozentsatz, der in anderen Kammerbezirken ähnlich ausfällt, ist in den vergangenen Jahren gestiegen, da die Industrie ihre Fertigungstiefe verringert und immer mehr Aufträge und Dienstleistungen an kleine, leistungsfähige Betriebe vergibt. Lediglich Schlüsseltechnologien verbleiben im Konzern. Davon profitiert das Handwerk – sei es in der Einzelfertigung, bei Kleinserien oder als Systemlieferant. Und haben sich die Betriebe als Zulieferer oder Dienstleister für die Industrie erst einmal bewährt, kommt Geschäft manchmal eben auch von alleine.

„Bei Bosch sind wir bevorzugter Lieferant. Hat man diesen Status einmal erreicht, wird man als Zulieferer im Konzern weiterempfohlen“, erklärt Lindenmann. So passiere es dann, dass Auftragsanfragen hereinkommen, ohne dass ein Vertriebsmitarbeiter unterwegs ist und bei potenziellen Kunden Klinken putzt.

Gnadenloser Preiskampf

Allerdings, das gibt Lindenmann zu, ist das Geschäft mit den Großen in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. „Um einen Auftrag zu gewinnen muss man bei drei Punkten ganz vorne sein: Preis, Preis und nochmals Preis“, erklärt der Unternehmer. Qualität und Liefertreue werden vorausgesetzt. Gewachsene Kundenbeziehungen zählen wegen des ständigen Personalwechsels in den Einkaufsabteilungen weniger.

Viele Konzerne schreiben ihre Aufträge heute europa- oder sogar weltweit aus. Um im Wettbewerb mit Niedriglohnländern bestehen zu können, müssen die deutschen Zulieferer permanent besser werden. „Wir müssen jährlich rund drei Prozent mit den Preisen runter – und das schon seit Jahren. Parallel dazu steigen die Löhne und die Kosten für Strom und Werkzeuge. Unter dem Strich müssen wir jährlich also sechs bis acht Prozent rationalisieren“, beschreibt Lindenmann die Anforderungen an sein Unternehmen.

Obendrauf kommen strategische Konzernentscheidungen – etwa solche, einen bestimmten Prozentsatz der Vorprodukte im Ausland einzukaufen. Das klappt mal mehr, mal weniger gut. So hatte ein Großkunde Lindenmann im vergangenen Jahr angekündigt, etliche Baureihen nach Ungarn zu verlagern. Doch daraus wurde zunächst nichts. „Wir sind von 15 Prozent niedrigeren Erlösen im laufenden Jahr ausgegangen. Stattdessen wird es nun wohl ein Viertel mehr, und wir arbeiten seit Monaten an der Kapazitätsgrenze“, sagt Lindenmann. Flexibilität ist neben preislicher Konkurrenzfähigkeit eine zweite Eigenschaft, die im Geschäft mit Großkonzernen notwendig und unerlässlich ist.

Frank Lindenmann, Chef von Lindenmann Präzisionsfertigung, eines in Blaustein (Alb-Donau-Kreis) ansässigen Lohnfertigers für hochgenaue Frästeile.
Frank Lindenmann, Chef von Lindenmann Präzisionsfertigung, eines in Blaustein (Alb-Donau-Kreis) ansässigen Lohnfertigers für hochgenaue Frästeile.
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Mit der Technik Schritt halten

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Den Preisdruck spürt auch Horst Fularczyk, Gründer und Chef der HFM Modell- und Formenbau GmbH aus Kalkreute (Landkreis Sigmaringen). Der gelernte Modellbauer hat sich 1998 selbstständig gemacht und binnen zwei Jahrzehnten ein Unternehmen mit 120 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund zwölf Millionen Euro aufgebaut.

„Heute sind wir ein industrieller Handwerker“, sagt Fularczyk, der zu seiner Kundschaft die großen deutschen Automobilkonzerne aber auch internationale Zulieferer wie Magna zählt. Für diese Unternehmen baut HFM unter anderem Werkzeugformen und Prototypen aus Exporit, einem speziellen Polystyrolschaum, in praktisch jeder Größe. Was in Kalkreute entsteht, findet sich später in den Serienfahrzeugen von Daimler, BMW, Porsche und Volkswagen als einzelnes Element der Karosserie oder des Interieurs wieder.

Um den Preisdruck durch die Kundschaft kompensieren zu können, muss Fularczyk permanent in neue Technik investieren. Und so stehen auf dem über die Jahre stark gewachsenen Firmenareal heute riesige CNC-Fräsmaschinen, die größtenteils vollautomatisch aus Exporit-, Kunststoff- oder Aluminiumblöcken Modelle formen. Die handwerkliche Arbeit existiert zwar noch, sie verliert im Vergleich zum Maschineneinsatz aber an Bedeutung. Hat die Konstruktion eines kompletten Automobil-Seitenwandwerkzeugs früher zehn bis zwölf Wochen in Anspruch genommen, braucht HFM dafür heute drei, maximal vier Wochen.
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Keine Zahlungsausfälle

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Fularczyk ist anzumerken, dass er mit der Preispolitik der großen Automobilkonzerne hadert: „Bei einzelnen Projekten im Volumen von wenigen Tausend Euro wird knallhart verhandelt, und dann liest man von Mitarbeitererfolgsprämien von etlichen Tausend Euro – da fällt Dir als Zulieferer nichts mehr ein.“ Er vergisst aber auch nicht, die positiven Seiten des Geschäfts mit Großkonzernen zu betonen, die Strahlkraft, die ein Kundenstamm wie Daimler, BMW und Porsche auf das eigene Unternehmen hat. „Dadurch kommen Kontakte zu anderen Kunden einfacher zustande“, sagt Fularczyk.

Ein weiterer Punkt: Die Erlöse sind sicher, wenn die Qualität passt. Man muss sich zwar den Zahlungskonditionen der Großkonzerne anpassen. Das heißt, in der Regel, lange Zahlungsziele in Kauf nehmen zu müssen. Doch die Gefahr von Zahlungsausfällen ist verschwindend gering. „Es ist ziemlich sicher, dass sie ihr Geld kriegen und zwar pünktlich“, sagt auch Frank Lindenmann. In der Großindustrie habe er Totalausfälle noch nie erlebt. Eine Bilanz, die Firmen im Geschäft mit Privat- und kleineren Gewerbekunden so kaum ziehen können.
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Zukunftschance Smart Homes

Armin Jöchles Haus ist ein Smart Home.
Armin Jöchles Haus ist ein Smart Home.
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Wenn Armin Jöchle morgens aufsteht und sich auf den Weg ins Bad macht, geht das Licht an, sein Lieblingsradiosender ertönt und in der Küche geht der Rollladen hoch – alles automatisch, denn Jöchle hat ein intelligentes Haus. Es kann anhand von Sensoren erkennen, ob jemand in einem Raum ist. Der Elektromechanikermeister hat sein Heim so programmiert, dass es Licht, Heizung, Jalousien und Unterhaltungselektronik selbstständig steuert. Sein Heim ist ein sogenanntes Smart Home, in dem der Handwerker aus Baindt (Kreis Ravensburg) mit seiner Familie wohnt.

„Alles, was heute möglich ist“, hat Jöchle an moderner Gebäudetechnik eingebaut – beim Firmensitz des Oberschwaben sieht es genauso aus. Doch damit Privathaus und Firma samt Büros und Fertigungshalle ohne Lichtschalter an der Wand auskommen und es trotzdem immer hell genug ist, braucht es einiges an Technik – Armin Jöchle braucht das Internet der Dinge. Also das System, das alle Gegenstände durch Miniaturcomputer miteinander vernetzt.

20 Prozent teurer als ein herkömmliches Eigenheim ist ein solches Smart Home, bei dem Licht, Heizung, Jalousien, Stereoanlage untereinander kommunizieren und Informationen austauschen. Baut man aber zum Beispiel eine Alarmanlage in ein herkömmliches Haus ein, mit allen nötigen Geräten und Datenkanälen, verringert sich der preisliche Abstand zu einem Smart Home schnell wieder, sagt Jöchle.

Jöchles Kunden wollen ihr Zuhause aber in erster Linie nicht bequemer, sondern sicherer machen – zum Beispiel mit einer Videoüberwachung. Sie wollen auf ihrem Smartphone sehen, wer an der Tür klingelt – und zwar auch wenn sie nicht daheim weilen. Ist es der Postbote, können sie ihm dann sagen, er soll das Paket beim Nachbarn abgeben. Ist es der Nachbar, der netterweise das Paket entgegengenommen hat, besteht die Möglichkeit, die Tür per App zu öffnen und ihn hereinzulassen. Mit installierten Kameras und Bewegungsmeldern können Hausbesitzer Einbrecher auf frischer Tat ertappen oder auch prüfen, ob die Putzfrau richtig putzt – eine Möglichkeit, auf die Jöchle selber nicht zurückgreift. „Unsere Putzfrau macht einen sehr guten Job, die muss ich nicht überwachen“, sagte er.
Armin Jöchles Haus ist ein Smart Home.
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Das Internet der Dinge verändert das Elektrohandwerk. Mittlerweile gibt es sieben Ausbildungsberufe, die das gesamte Spektrum abdecken.
Das Internet der Dinge verändert das Elektrohandwerk. Mittlerweile gibt es sieben Ausbildungsberufe, die das gesamte Spektrum abdecken.
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Der zweite Grund, warum Oberschwaben ein Smart Home haben wollen, ist das Thema Energieeffizienz. „Der gesamte Energieverbrauch des Haushalts kann protokolliert und schließlich optimiert werden,“ erklärt Jöchle, „Studien haben gezeigt, dass Haushalte mit der Unterstützung smarter Technik allein ihre Heizkosten bis zu einem Viertel gesenkt haben.“ Das funktioniere über Sensoren, die Heizkörper herunter regelten, wenn jemand ein Fenster öffnet oder über Voreinstellungen, damit es zum Beispiel nur morgens im Bad schön warm ist und die Heizkörper den Rest des Tages mit geringerer Leistung laufen.

Das Auto, besser gesagt, das Elektroauto sei der dritte Grund, warum seine Kunden den Elektromechaniker rufen: Nicht nur um bloß das Ladesystem an die Wand zu schrauben, sondern um es mit anderen Systemen, wie der Photovoltaikanlage auf dem Dach zu verbinden.

Das Internet der Dinge verändert das Elektrohandwerk. Das Aufgabengebiet wird größer, das Leistungsspektrum wächst. Um alles abzudecken, gibt es sieben Ausbildungsberufe: Elektroniker in vier Fachrichtungen (Energie und Gebäude, Automatisierung, Telekommunikation und Maschinen und Antriebe), Informationselektroniker mit den Schwerpunkten Bürosysteme sowie Geräte- und Systemtechnik und zudem den Systemelektroniker. Kein Wunder – „schließlich brauchen Handwerker qualifiziertes Personal, um das Smart Home installieren und fernwarten zu können“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks. Für Deutschlands obersten Handwerker gehen mit dem Internet der Dinge aber nicht nur steigende Anforderungen einher, sondern vor allem auch die Aussicht auf erfolgreiche Zeiten, Wachstum und gute Geschäfte.

Gute Geschäfte für einige, Gefahren für viele, das meint auf jeden Fall Gerald Lembke. „Die Gesellschaft wird entmündigt“, kritisiert der Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim, er zweifelt stark am Nutzen des Internets der Dinge für den Privatmann. Systeme und Geräte, die das Eigenheim sicherer machen sollen, sind selbst oft „verbesserungsbedürftig im Bereich der Sicherheit und Bedienungsfreundlichkeit“. Probleme gebe es beispielsweise, wenn integrierte Komponenten Passwörter haben, die im Nachhinein nicht mehr geändert werden können. Sobald das Smart Home ans Internet angeschlossen ist, sei es angreifbar. Und um über das WLan einzudringen, brauche es nur die entsprechende Software.
Das Internet der Dinge verändert das Elektrohandwerk. Mittlerweile gibt es sieben Ausbildungsberufe, die das gesamte Spektrum abdecken.
Das Internet der Dinge verändert das Elektrohandwerk. Mittlerweile gibt es sieben Ausbildungsberufe, die das gesamte Spektrum abdecken.
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Unsichere Technik

Jeder sollte auch im Smart Home seine Privatsphäre schützen.
Jeder sollte auch im Smart Home seine Privatsphäre schützen.
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Das sind für Lembke aber gar nicht die größten Bedenken, es geht ihm um etwas anderes – um den Schutz des privaten Wohnraums. Bestünde die Welt nur noch aus Smart Homes, sei es ein Leichtes für Unternehmen, ihre Kunden völlig transparent werden zu lassen. „Je automatisierter“ die Welt werde, „desto ferngesteuerter“ werde sie auch. Deswegen solle man sich genau überlegen, ob man Algorithmen folgt, die Dritte entworfen haben, nur um etwas mehr Komfort zu haben.

Aber auch Lembke gibt zu, dass es auch sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für das Internet der Dinge gebe: „im Gesundheitsbereich zum Beispiel, oder im Bereich des Automobilsektors“. Dort sei – wie in anderen Bereichen auch – durch den Einsatz von Sensoren die Qualität bei der Fertigung merklich angestiegen.

In diesem Bereich liegt auch das Hauptgeschäftsfeld von Armin Jöchles Elektrohandwerksunternehmen, 80 Prozent seiner Aufträge kommen aus der Industrie. So werden derzeit in dem Elektrobetrieb in Baindt die Steuerungen für eine Schnellettiketiermaschine und für eine Recyclinganlage gefertigt, die Kunststoffflaschen nach Farbe trennt. Dieser digitale Wandel der Wirtschaft treibt das Geschäft des Elektrohandwerks an. Laut einer Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau planen 42 Prozent der deutschen Unternehmen fest, in die Digitalisierung zu investieren. Auch im Bereich Energie mit dem Ausbau regenerativer Energien und dezentralen Speichern sieht das Elektrohandwerk große Potenziale.

In der Industrie werden damit die Techniken erprobt, die mittelfristig auch in vielen Privathäusern Verwendung finden werden, davon sind Handwerker wie Armin Jöchle überzeugt. Das Smart Home speziell auf ältere Menschen zugeschnitten mit altersgerechten Assistenzsystemen wird es Senioren ermöglichen, lange und weitgehend unabhängig in den eigenen vier Wänden zu leben. Für die Kinder des Baindter Handwerkers hat diese Zukunft allerdings bereits jetzt begonnen. Der Fernseher der Jöchles ist mit dem Smartphone des Vaters gekoppelt – und wenn seine Frau und er mal abends nicht zuhause sind, geht die Glotze um 22 Uhr aus, „dann ist einfach genug“. Big Daddy ist watching you.
Jeder sollte auch im Smart Home seine Privatsphäre schützen.
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Fluchtpunkt Handwerk

Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak mit Bäckermeister Marcus Staib, Geschäftsführer der Ulmer Großbäckerei Staib. Die Flüchtlinge aus Syrien arbeiten als Betriebshelfer in dem Unternehmen.
Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak mit Bäckermeister Marcus Staib, Geschäftsführer der Ulmer Großbäckerei Staib. Die Flüchtlinge aus Syrien arbeiten als Betriebshelfer in dem Unternehmen.
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Morgens, 7.30 Uhr: Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak machen Feierabend. Seit 23 Uhr haben sie – unterbrochen durch die vorgeschriebenen Pausen – Brötchen mit Schinken, Käse und Salatblättern belegt, ein Schuss Mayonnaise und eine Tomatenscheibe gehören auch dazu. Körnerbrötchen, Roggenbrötchen, Laugenbrötchen sind schon auf dem Weg zum hungrigen Kunden. In der Ulmer Bäckerei Staib haben Flüchtlinge aus Syrien seit über einem Jahr feste Jobs: „Und es macht uns Spaß“, sagt Abdalkader Dandosch. Zum Schluss der Schicht lässt er sich von seinem Chef, Bäckermeister Marcus Staib, noch zeigen, wie man Torten verziert. „Wir sind sehr froh, dass wir Mitarbeiter wie Herrn Dandosch und Herrn Hallak haben“, sagt Staib.

Dandosch und Hallak sind angelernte Betriebshelfer in der handwerklich geführten Backstube am nördlichen Stadtrand von Ulm, von der aus fast 50 Filialen beliefert werden. Wenn die beiden jungen Männer, sie sind 25 und 23 Jahre alt, von ihren Fluchterfahrungen berichten, werden die Bilder des Jahres 2015 wieder wach. Hallak, er stammt aus dem syrischen Aleppo, hat sich über die Balkanroute zu Fuß nach Deutschland durchgeschlagen: „Meine Familie lebt dort noch.“ Auch Dandoschs Eltern sind in Syrien geblieben, sie leben in Idlib.

Nicht nur mit den beiden Syrern hat Staib gute Erfahrungen gesammelt, auch sind drei seiner neun Auszubildenden in der Backstube Flüchtlinge. „Wir sind keine Gutmenschen“, betont Staib, „aber wir finden schlicht keine Lehrlinge.“ In den 1990er-Jahren habe es in der Berufsschule Ulm rund 100 Bäckerlehrlinge gegeben, im letzten Ausbildungsjahr seien es gerade einmal 25 gewesen. „Wir suchen für unsere Bäckerei jedes Jahr vier bis sechs Lehrlinge und konnten diese offenen Lehrstellen die letzten Jahre nicht besetzen“, so Staib. Im Jahr 2014 habe sein Betrieb sogar nur einen geeigneten Lehrling gefunden. Die Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen sei für seinen Betrieb ein logischer Schritt: „Wir werden das auch wieder so machen!“

Zwischen Alb und Bodensee werden laut Handwerkskammer 32 Migranten als Bäckerlehrlinge in mehreren Betrieben ausgebildet. Das Bäckerhandwerk biete sich für Asylbewerber an, weil die Sprache nicht so im Vordergrund stünde und die Gefahren im Gegensatz etwa zum Elektrikerberuf überschaubar seien. „Wenn was schiefgeht, ist halt das Brot schwarz“, sagt Bäckerei-Geschäftsführer Marcus Staib. Aber egal ob Elektro, Feinwerk oder Bau – Bedarf gibt es an vielen Stellen.

Das Handwerk reißt sich seit Jahren um Fachkräfte, nicht nur im Bäckerhandwerk sind Azubis Mangelware. Derzeit seien in der Ulmer Region allein 988 Ausbildungsplätze unbesetzt, berichtet Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Ulmer Handwerkskammer. Die Nachfrage der Asylbewerber nach Ausbildungsplätzen sei aber noch überschaubar, sagt Mehlich. Immerhin konnten im gesamten Südwesten 2016 mehr junge Flüchtlinge in Ausbildungen vermittelt werden als 2015. Bis Ende 2016 hatten rund 1000Flüchtlinge einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Insgesamt haben sich 1850 Geflüchtete bei der Regionaldirektion Baden-Württemberg um eine Lehre beworben.

Damit ist der Südwesten deutschlandweit führend: „Im Jahr 2016 lernten knapp 4600 junge Leute aus den acht häufigsten Asylzugangsländern im Handwerk, ein Zuwachs von über 2900 Personen binnen drei Jahren“, sagte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Etliche weitere Tausend junger Menschen mit Bleibeperspektive befinden sich nach Wollseifers Angaben in Praktika, in Ausbildungsvorbereitungskursen oder Berufsorientierungsmaßnahmen. „Die ersten, die vor ein paar Jahren gekommen sind, sind mittlerweile auch schon Facharbeiter. Das ist gut so. Flüchtlinge sollen ja nicht von den Sozialsystemen leben müssen, sondern sollen sich einbringen, arbeiten und ihren Beitrag zu unseren Sozialsystemen leisten. Der überwiegende Teil will das übrigens auch.“ Neben eigennützigen Motiven – dem Mangel an Nachwuchs – fühlt sich das Handwerk verpflichtet, die Flüchtlingsthematik zu lösen: „Da sind Menschen aus Kriegsgebieten gekommen und haben Schutz gesucht“, sagt ZDH-Präsident Wollseifer: „Wir als Handwerk sehen uns nicht als reine Wirtschafts-, sondern auch als tragende Gesellschaftsgruppe.“ Aus diesem Selbstverständnis heraus sähen die Betriebe es als humanitäre Verpflichtung und Aufgabe an, hier zu helfen.
Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak mit Bäckermeister Marcus Staib, Geschäftsführer der Ulmer Großbäckerei Staib. Die Flüchtlinge aus Syrien arbeiten als Betriebshelfer in dem Unternehmen.
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Anpacken und umsetzen

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Für die meisten Handwerksbetriebe sei gesellschaftliches Engagement ohnehin selbstverständlich: „Die sind in vielen Bereichen aktiv, sei es bei der Feuerwehr, im technischen Hilfsdienst, in kirchlichen Organisationen oder Vereinen: Handwerker packen an und setzen um.“ Dass das Handwerk sich gerade in der Flüchtlingshilfe so engagiert habe, habe damit zu tun, „dass wir es können. Wir sind prädestiniert für Integration. Unsere Familienbetriebe sind kleine sozial verbundene Teams: Dort kann man jemanden integrieren, dort kann man gut gemeinsam arbeiten.“

Zurück zu Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak: Ihr Chef, der Ulmer Bäckermeister Staib, bedauert, dass Dandosch und Hallak keine Ausbildung zum Bäcker oder Konditor in seinem Betrieb anstreben: „Die Begabung bringen sie eindeutig mit!“ Auch haben die beiden jungen Männer gut Deutsch gelernt, das Niveau B1 beherrschen sie: „Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben“, heißt es im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen.

Aber Dandosch, gelernter Elektrosystem-Techniker, will zurück in seinen Beruf und dann an der Universität Aleppo studieren. Und auch Hallak, er hat in Syrien Jura studiert, will nicht dauerhaft bei Staib Brötchen belegen: „Wenn wieder Frieden ist, gehe ich zurück.“


Risiko Niedriglohnsektor

Viele Flüchtlinge wollen laut einer Studie ähnlich wie Dandosch und Hallak lieber mit Helfertätigkeiten schnell Geld verdienen, als erst einmal eine Lehre zu machen. Damit steige das Risiko, dass sie im Niedriglohnsektor verharren, warnt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Man muss aufpassen, dass sich das nicht verfestigt“, sagt die Ausbildungsexpertin des arbeitgebernahen Instituts, Regina Flake.

Zu früheren Hoffnungen, Flüchtlinge würden den Fachkräftemangel beheben, sagt Institutsdirektor Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft: „Bei den blühenden Landschaften hat es auch etwas länger gedauert.“ Bis ein Flüchtling arbeitsmarktfähig sei, könnten vier bis fünf Jahre vergehen. Es sei notwendig, mehr für die duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule zu werben, Ausbildungsbetriebe besser zu beraten und die berufsbezogene Sprachförderung weiter auszubauen. Die Sprachförderung hat bei der Bäckerei Staib Produktionsleiter Ulrich Möschl übernommen: „Wenn man sich nicht um die Jungs kümmert, gehen die unter“, sagt der 44-Jährige. Jede Woche investiert Möschl vier bis fünf Stunden in ihren Unterricht, bereitet Rechenaufgaben vor. Die Teigmenge aus Zutaten errechnen, die Preise für Plunderstücke und Semmeln addieren, den Umsatz dreier Filialen zusammenzählen. Nicht nur an dieser Stelle wünscht sich Tobias Mehlich von der Ulmer Handwerkskammer noch mehr Unterstützung seitens der Politik: „Das Handwerk braucht Planungssicherheit. Wenn Azubis aus der Ausbildung heraus abgeschoben werden, führt das zu einer starken Verunsicherung unter den Betrieben. Wir brauchen endlich Rechtssicherheit für die Handwerksbetriebe, die Integration unterstützen.“

Zwar gibt es, wie erst am Montag vom Stuttgarter Innenministerium bestätigt wurde, eine Regelung, die vorsieht, dass Flüchtlinge geduldet werden können, solange sie sich in einer Berufsausbildung befinden. Doch in der Praxis werde diese Regelung von den lokalen Ausländerbehörden ignoriert, bestätigen viele Betriebe immer wieder.


Oftmals nur Praktika

Weil es zu viele Unsicherheitsfaktoren und beiderseitige Vorbehalte gibt, sind Betriebe wie die Bäckerei Staib in der Minderzahl. Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft unter rund 1000 Unternehmen hat nur jeder vierte Betrieb in den vergangenen drei Jahren Flüchtlinge beschäftigt, im Handwerk schon jeder dritte. Häufig handele es sich dabei allerdings nur um Praktika.

Aber: Neun von zehn dieser Firmen sähen die Flüchtlinge als Bereicherung und würdigen ihre Motivation und Einsatzbereitschaft. Ebenso viele betrachteten jedoch die mangelnden Deutschkenntnisse als Hindernis. Drei Viertel der befragten Unternehmen sähen noch Nachholbedarf bei Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.

Auch Abdalkader Dandosch und Mohamad Hallak haben sich an die schwäbische Pünktlichkeit gewöhnen müssen. „Mittlerweile klappt es ganz gut, auch bei den Azubis“, lobt Bäckermeister Staib. Gebacken werde eben nachts, wer dies leiste, dem garantiere er die Übernahme: „Wer bei uns eine Lehre macht, und nicht das Tafelsilber klaut, der wird übernommen.“
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Problem Betriebsnachfolge

Jürgen Rudeck sucht einen Nachfolger für seinen Betrieb.
Jürgen Rudeck sucht einen Nachfolger für seinen Betrieb.
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Kläglich gescheitert. Dieses Fazit zieht der Lackierermeister Jürgen Rudeck, wenn er über seinen ersten Versuch nachdenkt, einen Nachfolger für seinen Handwerksbetrieb zu finden. Bereits seit Jahren sucht der 59-Jährige einen Mann oder eine Frau, die sein Unternehmen für Industrielackierungen und Pulverbeschichtungen in Grünkraut bei Ravensburg weiter führen, wenn er mit 63 Jahren in Ruhestand geht. „Ich habe mir gedacht, ich stelle erst einmal einen Betriebsleiter ein, wenn das gut läuft, hätte er ja reinwachsen können, um alles später zu übernehmen“, sagt Rudeck. „Doch er hat als Erstes gefragt, wie lange er in der Woche arbeiten muss – hier musst du aber bereit sein, Gras zu fressen.“ Nein, das sei nichts gewesen. Frustiert habe Rudeck die Suche nach einem Meister dann aufgegeben. Auf seine Kinder kann der Oberschwabe nicht zählen, die wollen bei ihm nicht einsteigen. Deshalb hat er sich entschlossen, einen Käufer für sein Unternehmen zu suchen, das heute 25 Mitarbeiter beschäftigt – und vor zehn Jahren noch eine kleine Klitsche mit zwei Angestellten war.

Jürgen Rudeck steht mit diesem Dilemma nicht alleine da: Bis 2020 suchen nach Angaben des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) rund 180000 Handwerksbetriebe eine Nachfolge – und wie der Lackierermeister aus Grünkraut haben viele Betriebschefs Kinder, die das Unternehmen der Eltern nicht übernehmen wollen. Ein Problem, nicht nur für die Inhaber selbst, denn mit einer Geschäftsaufgabe geht für die gesamte Wirtschaft ein Verlust von Know-how, Wertschöpfung – und vor allem von Arbeits- und Ausbildungsplätzen einher. „In ländlichen Regionen geht auch ein Stück Lebensqualität verloren, wenn der letzte Bäcker schließt oder der örtliche Heizungsbauer den Betrieb einstellt“, sagt Roman Gottschalk, Leiter des Zentrums für Betriebsnachfolge (ZEN) der Handwerkskammer Ulm.

Im Bereich der Handwerkskammer Ulm gibt es rund 2200 Betriebe, deren Chefs älter als 60 Jahre alt sind. Friseure stellen mit 238 die meisten alten Betriebsinhaber – vor Elektrotechnikern (192), Kraftfahrzeugtechnikern (144), Installateuren und Heizungsbauern (132) sowie Tischlern (113). Das heißt aber nicht, dass das Friseurhandwerk jetzt die größten Nachfolgesorgen hat. „Im Schnitt haben alle die gleichen Probleme“, sagt Gottschalk. Zwar könne man grundsätzlich schon feststellen, dass Bäckereien und Metzgereien oftmals etwas intensiver nach einem Nachfolger suchen müssen, als beispielsweise ein Metallbauunternehmen mit CNC-Technik. „Das Gewerk ist aber nicht der einzige Aspekt“, erläutert Gottschalk. „Wichtig sind ebenfalls eine ausgeglichene Personalstruktur, gute Lage und Stammkunden, eine attraktive Produktpalette und die Rentabilität des Betriebes.“

Jürgen Rudeck sucht einen Nachfolger für seinen Betrieb.
Jürgen Rudeck sucht einen Nachfolger für seinen Betrieb.
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Thomas Gottschalk, Leiter des Zentrums für Betriebsnachfolge (ZEN) der Handwerkskammer Ulm.
Thomas Gottschalk, Leiter des Zentrums für Betriebsnachfolge (ZEN) der Handwerkskammer Ulm.
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Hoher Anspruch an Bewerber

Wenn es nur um Profitabilität ginge, dürfte Jürgen Ruckdeck mit seiner Lackiererei eigentlich überhaupt keine Sorgen haben. Sein Betrieb erwirtschaftet einen jährlichen Umsatz von zwei Millionen Euro – und kommt auf eine Umsatzrendite zwischen zehn und 15 Prozent. „Ich suche aber auch jemanden, der den Betrieb in meinem Sinne weiterführt“, sagt der Handwerker, der mit seinem Team für private und gewerbliche Kunden Lackierungen und Beschichtungen auf Metall, Holz und Kunststoff anbietet. „Es ist mir halt nicht egal, ob der Betrieb nach mir weiterläuft oder nicht“, erläutert er. „Ich will einen Nachfolger haben, der meine Philosophie beherzigt. Ich sehe mich als Dienstleister, für mich ist der Kunde König.“

Rudeck sucht diesen Traumkandidaten über Plattformen der Handwerkskammern, besucht Treffen von Verbänden und hört sich um. Gibt es Bewerber, spricht er mit ihnen und trifft sich dann. „Aber bei vielen hat es sich auch mit dem ersten Telefonat erledigt, denen sind 25 Mitarbeiter zu viel oder die Preisvorstellung zu hoch“, erzählt er. 1,25 Millionen Euro verlangt Rudeck nämlich für den Betrieb, in den er seit Jahren all seine Kraft steckt.

Liegen die Vorstellungen zu weit auseinander, kann das eine Unternehmensnachfolge über Jahre behindern. „Schließlich gibt es da immer zwei Seiten: Der Verkäufer möchte möglichst viel für sein Lebenswerk, der Käufer kann sich nur so viel leisten, wie der Betrieb später auch erwirtschaften kann“, sagt Jürgen Schmid, bei der Kreissparkasse Ravensburg Leiter des Firmenkundengeschäfts und zuständig für Betriebsübergaben im Handwerk. Als Kreditgeber müsse man immer darauf achten, ob der Kapitaldienst für das Darlehen zur Übernahme des Unternehmens durch den zu erwartenden Gewinn in den nächsten Jahren gedeckt ist. Anders sei es bei Familienmitgliedern oder „Mitarbeiter, die ihren Meister gemacht haben und aus dieser Qualifikation heraus die Nachfolge antreten“, erläutert Schmid. „Diese Fälle gestalten sich häufig einfacher, weil die beiden Partner zumeist viel enger beinander liegen.“

Alfred Beirle hat nicht einmal die Möglichkeit zu überlegen, ob ein Mitarbeiter seine Nachfolge antreten könnte. Der 59-Jährige aus Iggingen (Ostalbkreis) ist Alleinunternehmer und führt in seinem Elternhaus einen Metallverarbeitungsbetrieb, der sich auf die Einzelteilfertigung für Sondermaschinen in der Automobilindustrie spezialisiert hat. Beirle hat sich in mehr als 25 Jahren einen festen Kundenstamm aufgebaut, alle Maschinen sind abbezahlt, sein jährlicher Umsatz beträgt 250000 Euro, der Betrieb ist „hochprofitabel“. Und doch findet er keinen Nachfolger für sein Geschäft. „Ich suche schon einige Jahre, meine beiden Mädels haben ganz andere Interessen“, erzählt der Werkzeugmachermeister. „Niemand will einsteigen, weil niemand in der Werkstatt arbeiten will, alle wollen hinterm Schreibtisch sitzen.“

Dabei könnte der Einstieg bei einem Handwerksbetrieb wie dem von Alfred Beirle in Iggingen auf der Ostalb ein Sprungbrett sein, meint jedenfalls ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer. „Eine Betriebsübernahme im Handwerk bietet ideale Chancen für eine berufliche Karriere, für ein gutes Einkommen und hohe gesellschaftliche Anerkennung“, sagt Deutschlands oberster Handwerker.

Seit Jürgen Rudeck sich zum Vekauf entschlossen hat, läuft es besser bei der Nachfolgesuche. Der Handwerker ist im Gespräch mit zwei „aussichtsreichen Kandidaten“, die ihre berufliche Zukunft auf dem Lebenswerk des Grünkrauters aufbauen wollen. „Beide sind wie ich Lackierermeister“, sagt er. „Mal schauen, wie alles läuft.“ Und ob die Suche Rudecks doch noch ein gutes Ende findet.
Thomas Gottschalk, Leiter des Zentrums für Betriebsnachfolge (ZEN) der Handwerkskammer Ulm.
Thomas Gottschalk, Leiter des Zentrums für Betriebsnachfolge (ZEN) der Handwerkskammer Ulm.
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Die Energiewende

Theo Beutinger, Chef des Fachbetriebs für Lackierungen und Beschriftungen, hat sich mit dem Thema Energieeffizienz bereits auseinandergesetzt, als an die Energiewende noch längst nicht zu denken war.
Theo Beutinger, Chef des Fachbetriebs für Lackierungen und Beschriftungen, hat sich mit dem Thema Energieeffizienz bereits auseinandergesetzt, als an die Energiewende noch längst nicht zu denken war.
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Klimaschutz, Energieeffizienz und Energiemanagement – spätestens seitdem sich die Bundesregierung auf die Energiewende festgelegt hat, sind diese Themen auch in Bevölkerung und Wirtschaft angekommen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes entfielen 2015 knapp 45 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs auf die Sektoren Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Das zeigt die zentrale Rolle, die der deutschen Wirtschaft bei der Energiefrage zukommt. Innerhalb der Wirtschaft besitzen wiederum die kleinen und mittleren Unternehmen bis 250 Beschäftigte und 50 Millionen Euro Jahresumsatz eine wesentliche Bedeutung. Nur ein Prozent aller Firmen in Deutschland fällt nicht in diese Gruppe.

Gerade im Handwerk richtet sich der Blick der Unternehmen mehr und mehr auf den effizienten Verbrauch des Rohstoffs Energie. Denn Effizienz bedeutet Kosteneinsparungen. Studien der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) dokumentieren einen mittleren Anteil der Energiekosten von rund fünf Prozent an den Gesamtkosten kleiner und mittelgroßer Unternehmen. Die erwarteten Kosteneinsparpotenziale von Maßnahmen des Energiemanagements liegen im zweistelligen Prozentbereich.


Ökologie und Ökonomie

Energieeffizienz als Beitrag zu mehr Kosteneffizienz und größerer Wettbewerbsfähigkeit, das ist die Formel, mit der sich immer mehr Handwerksbetriebe dem Thema nähern. Doch ihr Engagement geht weit über reine ökonomische Interessen hinaus. Jede Maßnahme für eine bessere Energieeffizienz ist gleichzeitig eine Investition in das Wohlergehen unseres Planeten. Jedes Engagement bedeutet auch, soziale Verantwortung wahrzunehmen und einen Beitrag zum nachhaltigen Schutz der Umwelt zu leisten.

Ein Beispiel, wie Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand gehen, ist die Theo Beutinger GmbH aus Bad Saulgau (Landkreis Sigmaringen). Theo Beutinger, Chef des Fachbetriebs für Lackierungen und Beschriftungen, hat sich mit dem Thema Energieeffizienz bereits auseinandergesetzt, als an die Energiewende noch längst nicht zu denken war, als noch nicht einmal Energiesparen sonderlich viele Anhänger hatte. Schon Mitte der 1980er-Jahre rüstete der umtriebige Handwerker seine Lackieranlagen für die Wärmerückgewinnung um, blieb über die Jahre mit diversen Energie- und Umweltprojekten am Ball und setzte 2013 eine umfassende energetische Modernisierung um.

„Seitdem erzeugen wir Strom und Wärme mit einem Blockheizkraftwerk in Kombination mit einer Photovoltaikanlage“, erklärt Beutinger. Die gewonnene Energie wird sowohl in den Trocken- und Lackierkabinen als auch in den restlichen Betriebs- und Büroräumen genutzt. Die im BHKW anfallende Wärme ist der eigentliche Gewinn für den Handwerker, denn Lackierbetriebe haben ganzjährig einen hohen Wärmebedarf. Bei 70 Grad Celsius müssen die Farbschichten auf den lackierten Karosserien und Teilen über mehrere Stunden trocknen – ein energiefressendes Prozedere.

Mit der Umrüstung gelang es Beutinger, nicht nur die Energiekosten fast zu halbieren. Auch die Ökobilanz des Betriebes spricht für sich: Allein 42 Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid spart das BHKW im Vergleich zur alten Energieerzeugung. „Mit der Modernisierung sind wir heute energieneutral. Der Betrieb produziert in etwa so viel Energie, wie er verbraucht“, sagt der Firmeninhaber, der sich trotz seines Umweltengagements „konservativ“ verortet.

Beutingers Ziel, möglichst wenig Energie zu verbrauchen, möglichst viel Energie selbst zu erzeugen und Ressourcen mehrfach zu verwerten, brachte dem Unternehmen den renommierten Umweltpreis Baden-Württembergs in der Kategorie Handwerk ein.

Gleichwohl: Das Potenzial energieeffizienter Prozesse wird nach wie vor von vielen Firmen unterschätzt. „Die mit Abstand höchsten Einsparpotenziale gibt es regelmäßig bei thermischen Prozessen, etwa bei der Vermeidung oder Nutzung von Abwärme. Ein erhebliches Potenzial schlummert auch in den Druckluftsystemen vieler Unternehmen, und im Dienstleistungssektor sind es oftmals die Beleuchtungssysteme“, weiß Roman Zurhold, Projektleiter der Initiative Energieeffizienz der Deutschen Energie-Agentur.

Die Höhe der Einsparpotenziale ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Einige generelle Aussagen können aber dennoch getroffen werden: „Wegen der in den vergangenen Jahren erzielten Technologiesprünge lassen sich bei Beleuchtungssystemen bis zu 70 Prozent des Energieverbrauchs einsparen, bis zu 50 Prozent sind bei Druckluftsystemen möglich und rund 30 Prozent bei Pumpen-, Kälte- oder Lüftungssystemen“, so Zurhold.
Theo Beutinger, Chef des Fachbetriebs für Lackierungen und Beschriftungen, hat sich mit dem Thema Energieeffizienz bereits auseinandergesetzt, als an die Energiewende noch längst nicht zu denken war.
Theo Beutinger, Chef des Fachbetriebs für Lackierungen und Beschriftungen, hat sich mit dem Thema Energieeffizienz bereits auseinandergesetzt, als an die Energiewende noch längst nicht zu denken war.
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Seit diesem Jahr liegt der Ökostromzuschlag bei 6,88 Euro-Cent je Kilowattstunde, im Jahr 2003 waren es lediglich 0,41 Euro-Cent.
Seit diesem Jahr liegt der Ökostromzuschlag bei 6,88 Euro-Cent je Kilowattstunde, im Jahr 2003 waren es lediglich 0,41 Euro-Cent.
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Energieeffizienz lohnt sich

Die Praxis zeigt, dass sich viele Projekte bei realistischen Annahmen, insbesondere was die Energiekosten angeht, schon nach kurzer Zeit amortisieren. Ein Klassiker ist der Austausch konventioneller Leuchtmittel durch LEDs. Abhängig vom betriebenen technologischen Aufwand rechnen sich die Investitionen in LED-Leuchtmittel im Idealfall bereits nach rund zwei Jahren. Theo Beutinger, der ein deutlich umfangreicheres Projekt realisiert hat, kalkuliert, dass sich seine Investitionen in vier bis sechs Jahren bezahlt machen.

Die im Preis deutlich gesunkenen Primärenergieträger wie Öl oder Kohle ändern daran nichts fundamental. Denn die durchschnittlichen Preise für Industriestrom in Deutschland haben in den vergangenen Jahren bestenfalls stagniert – rückläufige Kosten für die Beschaffung, für Netzentgelte und für den Vertrieb wurden durch die staatlich verursachten Preisbestandteile – insbesondere die EEG-Umlage – aufgefressen.

Ein Umstand, der dem Handwerk im Wettbewerb zu schaffen macht, und der Joachim Krimmer, Präsident der Handwerkskammer Ulm, auf die Palme bringt. Denn während sich industrielle Strom-Großverbraucher von der EEG-Umlage befreien lassen können, schaffen Handwerksbetriebe die dafür notwendigen Ausnahmeregelungen in aller Regel nicht. Während der industrielle Bäckereibetrieb also mit erheblich günstigeren Stromkosten kalkulieren kann, muss der Bäcker von nebenan deutlich mehr für die verbrauchte Kilowattstunde zahlen.

Seit diesem Jahr liegt der Ökostromzuschlag bei 6,88 Euro-Cent je Kilowattstunde, im Jahr 2003 waren es lediglich 0,41 Euro-Cent. Das geht energieintensiven Branchen im Handwerk wie Lackierern oder Bäckern an die Substanz. Aus Sicht des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks ist inzwischen ein Niveau erreicht, der die Schmerzgrenze der Betriebe endgültig überschreitet. Infrage stellen will der Bäckerverband die Energiewende an sich zwar nicht. Er fordert allerdings eine gerechte und bezahlbare Energiewende. „Es ist dringend notwendig, dass dieses Ungleichgewicht schleunigst beseitigt wird“, sagt auch Krimmer. Doch sonderlich optimistisch klingt er dabei nicht.
Seit diesem Jahr liegt der Ökostromzuschlag bei 6,88 Euro-Cent je Kilowattstunde, im Jahr 2003 waren es lediglich 0,41 Euro-Cent.
Seit diesem Jahr liegt der Ökostromzuschlag bei 6,88 Euro-Cent je Kilowattstunde, im Jahr 2003 waren es lediglich 0,41 Euro-Cent.
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Meisterliche Handwerker

Jochen Ströhle beim Ausarbeiten eines Balkens während der WM 2003 in St. Gallen. Deutsche Zimmerer, sagt Ströhle, arbeiten mit japanischen Sägen. Die funktionieren auf Zug und nicht wie der landläufig bekannte Fuchsschwanz auf Druck.
Jochen Ströhle beim Ausarbeiten eines Balkens während der WM 2003 in St. Gallen. Deutsche Zimmerer, sagt Ströhle, arbeiten mit japanischen Sägen. Die funktionieren auf Zug und nicht wie der landläufig bekannte Fuchsschwanz auf Druck.
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Schon im November 2002 ist Stefan Schoch aus Räterschen im Kanton Zürich das Maß der Dinge. Bei den europäischen Meisterschaften der Zimmerer im italienischen Bruneck gibt es keinen, der präziser anreißt, der genauer sägt und der schneller baut als er. Jochen Ströhle, der als amtierender deutscher Meister mit großen Hoffnungen damals nach Italien reist, landet wegen „Leichtsinnsfehlern“ abgeschlagen auf Platz acht.

Ein Jahr später, im Juni 2003, kommt es zum erneuten Aufeinandertreffen der beiden Zimmerleute: bei den Worldskills, den Weltmeisterschaften der Berufe, in den Messehallen der Genossenschaft Olma in St. Gallen. Und wieder ist es Schoch, der sich anfangs, mit dem Heimvorteil als Schweizer im Rücken, an die Spitze der Wettbewerber setzt. Doch Ströhle, der 23-Jährige aus Nellingen im Alb-Donau-Kreis hält dagegen. Über vier Tage liefern sich die beiden Handwerker ein packendes Duell auf Augenhöhe. Unter den strengen Blicken von erfahrenen Juroren und begleitet von mehr als insgesamt 100000 Zuschauern, die den zwölf Zimmerleuten penibel auf die Finger schauen, wird gezeichnet und gemessen, gesägt und gehobelt, geprüft und gepasst, gebohrt und geschraubt.

Habe ich alles richtig gemacht? Komme ich ohne Nachbearbeitung und damit ohne Punktabzug aus? Und vor allem: Passt am Ende alles zusammen? Ist das Projekt, eine komplizierte Dachkonstruktion die einem Fachwerkhaus im Kleinformat ähnelt, maßhaltig und sauber gearbeitet, ohne Spalten und ohne Verzug? Fragen, die Ströhle vier Tage lang immer wieder durch den Kopf schießen. Der Schweiß fließt mitunter in Strömen, permanente Konzentration bis in die Haarspitzen. Dann die Erlösung: 549 Punkte bekommt Ströhle für sein Modell. Platz eins. Weltmeister. Zusammen mit Stefan Schoch, der 551 Punkte einsammelt.


Beruflicher Spitzensport

Die Worldskills – das ist beruflicher Spitzensport. Das ist ein internationales Kräftemessen in mehr als 40Disziplinen, ein Leistungsvergleich zwischen Maurern, Bäckern, Schweißern, Elektrikern, Frisören, Floristen, Köchen, Modellbauern. Und das ist eine Veranstaltung, auf der das deutsche Handwerk – allen voran die Zimmerer – beständig vorne mitmischt. Bei der letzten Auflage im brasilianischen Sao Paulo trat Simon Rehm in die weltmeisterlichen Fußstapfen von Jochen Ströhle. Bei den Austragungen 2013 und 2011 in Leipzig und London erkämpften die deutschen Zimmerer jeweils dritte Plätze. Und auch in diesem Jahr, in Abu Dhabi, hofft das deutsche Team auf vordere Plätze. „Denn trainiert wird auf einem Leistungsniveau, vergleichbar mit dem olympischen Spitzensport“, ist Huber Romer, offizieller Delegierter des Team Germany, guter Dinge.
Jochen Ströhle beim Ausarbeiten eines Balkens während der WM 2003 in St. Gallen. Deutsche Zimmerer, sagt Ströhle, arbeiten mit japanischen Sägen. Die funktionieren auf Zug und nicht wie der landläufig bekannte Fuchsschwanz auf Druck.
Jochen Ströhle beim Ausarbeiten eines Balkens während der WM 2003 in St. Gallen. Deutsche Zimmerer, sagt Ströhle, arbeiten mit japanischen Sägen. Die funktionieren auf Zug und nicht wie der landläufig bekannte Fuchsschwanz auf Druck.
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Tanja Angstenberger wird 2016 mit ihrem Schaustück zum Thema „Heimat“ Europameisterin der Jungbäcker.
Tanja Angstenberger wird 2016 mit ihrem Schaustück zum Thema „Heimat“ Europameisterin der Jungbäcker.
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Der Wettbewerb nicht akademischer Berufe wurde erstmals 1950 ausgetragen. Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand der Gedanke der Völkerverständigung im Vordergrund. Heute dominiert die Idee des Leistungstransfers. Der Stellenwert des Wettbewerbs, der zweijährlich stattfindet und für den sich Teilnehmer bis zu 23 Jahren qualifizieren können, ist von Nation zu Nation verschieden. Vor allem in Asien, in Japan und insbesondere in Südkorea, sind den Siegern Ruhm, Ehre und materielle Zuwendungen gewiss. Und so verwundert es nicht, dass die Medaillenspiegel der vergangenen Austragungen asiatisch dominiert sind. Allein fünf der letzten sechs Zimmerer-Weltmeister kamen aus Korea.

Heute, 14 Jahre nach seinem Triumph in St. Gallen, ist Jochen Ströhle nicht mehr in den Wettkampfarenen zu finden. Heute gibt der Zimmerer-Meister sein Wissen und Können an die jüngere Generation weiter. „Das soll kein Geheimnis bleiben“, sagt Ströhle, der seit November 2010 Ausbilder im Bildungszentrum Holzbau in Biberach ist. Knapp 600 Lehrlinge bekommen dort jedes Jahr in ein- bis dreiwöchigen Kursen die Techniken des Zimmereihandwerks vermittelt – vom Holzinnenausbau über Dachsanierungen bis hin zu Maschinenkursen.

Doch im Rückblick sind die Ereignisse von damals für Ströhle noch immer präsent. Der mehrjährige Anlauf, der 1998 mit einer Zimmererlehre in Nellingen seinen Anfang nimmt, obwohl der Vater doch auf eine Karriere seines Sohnes im Bankwesen gedrängt hatte. Der erstmalige Kontakt mit der Technik des Schiftens, der „Königsdisziplin im Zimmereihandwerk“, wie Ströhle sagt, bei der man neben handwerklichem Geschick vor allem auch räumliches Vorstellungsvermögen braucht. Die Gesellenprüfung 2001, der, wegen Ströhles guter Noten, die Einladung zum Wettkampf der besten Zimmerer durch die Handwerkskammer Ulm folgte. Der Sieg im Kammerbezirk und der anschließende Erfolg auf Landesebene. Die Einladung für die deutschen Meisterschaften und die spätere Teilnahme an den Europameisterschaften.

Die liefen für Ströhle zwar nicht so gut. Doch bei den darauffolgenden Vorbereitungskursen überzeugte er seine Trainer mit so guten Leistungen, dass Ströhle dennoch das begehrte Ticket nach St.Gallen lösen konnte.


Brotgewordene Fantasie

Dieses Ticket bleibt Tanja Angstenberger verwehrt. Dabei hätte die vorjährige Back-Europameisterin aus Aalen-Wasseralfingen (Ostalbkreis) zweifellos das handwerkliche Zeug dazu. Doch mit 24 Jahren hat sie die für eine Teilnahme an den Worldskills maximale Altersgrenze um ein Jahr überschritten. Von Traurigkeit ist bei der sympathischen jungen Frau aber keine Spur. Stattdessen Freude über das Erreichte. Über den Titel der Europameisterin, den sie im Februar 2016 in der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks im baden-württembergischen Weinheim errungen hat, und über die Meisterprüfung, die die gelernte Bäckerin und Konditorin wenig später erfolgreich bestand.

„Eine gute Ausbildung ist die Eintrittskarte für die Wettbewerbe. Später muss man dranbleiben und etwas leisten“, sagt Angstenberger auf die Frage, was für ihren Erfolg in Weinheim ausschlaggebend war. Das handwerkliche Können sei bei allen Teilnehmern auf einem hohen Niveau, deshalb würden schon Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage entscheiden. Die größte Herausforderung seien in der Regel die Zeitlimits.

Überzeugt hat Angstenberger nach eigener Einschätzung die Jury mit ihrem riesigen Schaustück – einer brotgewordenen Fantasie, die das Wettbewerbsmotto „Heimat“ am besten traf. Ein roter VW-Käfer steht in einem Zahnrad, darum ist eine Deutschland-Flagge geschlungen. Darüber eine Uhr, darunter das Gesicht von Albert Einstein: Mit ausgestreckter Zunge und aufgerissenen Augen blickt er zum Auto hinauf. Alles thront auf einem dunklen Brotlaib, alles ist aus essbarem Teig.

„Das Auto steht für die Erfolgsmarken Deutschlands, die Uhr symbolisiert die Pünktlichkeit der Deutschen. Die Zahnräder stehen für deutsche Technik, Albert Einstein, 1879 in Ulm geboren, für die Genialität deutscher Wissenschaftler und das dunkle Brot für die Vorliebe deutscher Bäcker, ihre Laibe kräftig auszubacken“, beschreibt Angstenberger ihre Gedankengänge von damals.

Anders als die meisten Schaustücke ihrer Konkurrenten hielt die filigrane Skulptur aus Brotteig, deren einzelne Teile mit flüssigem Zucker verklebt sind, der Gravitation stand und brach nicht zusammen. „Man braucht Statikkenntnisse und darf nicht zu hoch bauen. Im Training vorab sind mir etliche Modelle eingestürzt, doch bei der Europameisterschaft hat alles gepasst“, erzählt sie schmunzelnd.

Neben dem Schaustück mussten die insgesamt zwölf Teilnehmer aus sechs Nationen in weiteren Kategorien ihr Können unter Beweis stellen – Plundergebäck, Weizenkleingebäck und ein „Körnerbrot aus der Überraschungsbox“ wurde von den Juroren begutachtet.

Dafür bekamen die Jungbäcker und Jungbäckerinnen eine Dose mit Zutaten überreicht und mussten innerhalb einer Stunde ein Rezept entwickeln. „Da zeigt sich: Bist du Bäcker oder bist du’s nicht“, sagt Angstenberger.

Für die Aalenerin ist ihr Handwerk einfach Leidenschaft: „Ich möchte mit dem, was ich mit meinen eigenen Händen hergestellt habe, anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Und ihnen gleichzeitig etwas Lebensnotwendiges geben“, sagt die junge Frau. Schon seit sie denken kann, hilft sie in der Backstube ihrer Eltern in Aalen-Wasseralfingen mit. Dort hat sie auch ihre Ausbildung zur Bäckerin und Konditorin absolviert. Dass sie den elterlichen Betrieb später einmal weiterführt, steht für die lebenslustige Bäckerin außer Frage.
Tanja Angstenberger wird 2016 mit ihrem Schaustück zum Thema „Heimat“ Europameisterin der Jungbäcker.
Tanja Angstenberger wird 2016 mit ihrem Schaustück zum Thema „Heimat“ Europameisterin der Jungbäcker.
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Die Zukunft des Kfz-Handwerks

Fingerspitzengefühl ist gefragt: Kfz-Techniker Tomasz Gorski repariert in seinem „kleinen Labor“ in Waiblingen ein Steuergerät
Fingerspitzengefühl ist gefragt: Kfz-Techniker Tomasz Gorski repariert in seinem „kleinen Labor“ in Waiblingen ein Steuergerät
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Die Automobilbranche stehe vor der „größten Revolution seit der Erfindung des Autos“. Das sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin. Und keiner der rund 1500 anwesenden Vertreter aus Wirtschaft und Politik widersprach ihr.

Dass diese Revolution auch nicht vor dem Handwerk haltmacht, dessen ist sich auch Paul Doliwa aus Ludwigsburg bewusst, obwohl er gar kein Kfz-Handwerker ist.Paul Doliwa ist Fachinformatiker. Schon in der Schule habe ihn seine Lehrerin immer um Rat gefragt, wenn es Probleme mit der Technik gab. „Das hat mich schon immer interessiert“, sagt der 26-Jährige.
Doch inzwischen arbeitet er nicht mehr in einem reinen IT-Unternehmen. Seine Fähigkeiten werden in einer Autowerkstatt in Waiblingen im Rems-Murr-Kreis gebraucht. „In den Autos wird es in Zukunft immer mehr Elektronik geben“, sagt Doliwa. „Für die Fehlerdiagnose braucht man funktionierende Laptops. Da ist es aber oft nicht damit getan, diese nur ans Auto anzuschließen.“

Dass ein Fachinformatiker in einer Kfz-Werkstatt mitarbeitet, dieses Phänomen kennt Daniel Rösch vom Verband des Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg bisher noch nicht. Ihm ist aber sehr wohl klar, dass die Autos der Zukunft komplexer werden: „Der Computer wird mehr Funktionen übernehmen“, sagt Rösch. „Das Onboard-System wird wichtiger als der Schraubenschlüssel.“ Angst und bange wird ihm vor dieser Entwicklung aber nicht. Die Kfz-Handwerksbetriebe hätten sich bereits in der Vergangenheit immer gut auf Veränderungen eingestellt und sich angepasst. 2003 entstand zum Beispiel aus den Berufen Kfz-Mechaniker und Kfz-Elektroniker die Mischform Kfz-Mechatroniker.

Fehler oft in der Elektronik

Vorbei scheinen aber die Zeiten, in denen der Mechaniker die Motorhaube aufmacht und mit nur drei Handgriffen das Auto wieder zum Laufen bringt. Es braucht Laptops, die richtige Software und das Know-how, um das Problem zu erkennen und später auch zu lösen.
Denn oft liegt der Fehler in der versteckten Elektronik, nicht in der Mechanik. Besonders häufig betroffen sind die vielen Steuergeräte, die von Marke zu Marke unterschiedlich aufgebaut sind. Weil viele Werkstätten aber nicht die passende Software haben, um das Steuergerät zu überprüfen, werde es oft einfach nur durch ein neues ersetzt, sagt Fachinformatiker Doliwa: „Doch das kostet viel Geld, ist unnötig teuer.“

In der Werkstatt in Waiblingen gibt es deshalb für jede Marke mindestens einen Laptop mit der entsprechenden Steuergeräte-Software. Und anstatt das nur teilweise defekte Steuergerät komplett auszutauschen, wird es aufwendig repariert. Wie, das will Werkstattchef, Tomasz Gorski, nicht im Detail verraten. „Das ist mein Patent“, sagt der gebürtige Pole. Seit drei Jahren lebt der 43-Jährige in Deutschland, seit einem Jahr werkelt der Kfz-Techniker in seinem „kleinen Labor“ im Schwabenland. Sein Wissen hat er sich auch über Internetforen und Schulungen im Ausland beigebracht.

Im Autoland Deutschland sei das Angebot an Fortbildungen in diesem Bereich begrenzt. Nach eigenen Angaben gebe es bundesweit nur drei weitere freie Werkstätten, die diese Art der Reparatur anbieten. Zu hoch seien die Anforderungen, zu viel teures Equipment werde benötigt, um die Elektronik zu reparieren. Viele Aufträge gelangen deshalb auch über Google und Ebay in die Werkstatt im Waiblinger Industriegebiet. Viele Kunden kommen aus der Schweiz, aber auch aus Chile, Brasilien, der ganzen Welt.

Fingerspitzengefühl ist gefragt: Kfz-Techniker Tomasz Gorski repariert in seinem „kleinen Labor“ in Waiblingen ein Steuergerät
Fingerspitzengefühl ist gefragt: Kfz-Techniker Tomasz Gorski repariert in seinem „kleinen Labor“ in Waiblingen ein Steuergerät
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Wo liegt das Problem? Fachinformatiker Paul Doliwa überprüft mit einem Laptop ein defektes Auto.
Wo liegt das Problem? Fachinformatiker Paul Doliwa überprüft mit einem Laptop ein defektes Auto.
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Doch obwohl immer weniger vom klassischen Autoschrauber beim Kfz-Mechatroniker vorhanden ist, sind die Zahlen der Auszubildenden nicht rückläufig. „Niemand bildet so viel aus wie wir“, sagt Rösch. „Es macht den Beruf dadurch eher attraktiver, es ist eine neue Herausforderung.“ Es sei aber auch eine Herausforderung, junge Menschen zu finden, die die notwendige Ausbildungsreife mitbringen.

Die Anforderungen seien stetig gestiegen, und sie werden weiter steigen.Dessen ist man sich nicht nur im Kfz-Handwerk bewusst. Von Realitätsverweigerung könne deshalb keine Rede sein, meint Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks: „Jeder vierte Betrieb nutzt die moderne Technologie für die Produktion.“

Auch autonomes Fahren oder E-Mobilität werden das Kfz-Handwerk nicht überflüssig machen. „Der Beruf des Kfz-Mechatronikers wird sich weiter ändern, aber seine Berechtigung behalten.“ Zumal auch in der Werkstatt in Waiblingen nicht nur Fachinformatiker arbeiten, sondern auch Mechaniker, die das defekte Steuergerät zur Reparatur ausbauen und später wieder einbauen.

Wie aber das Auto der Zukunft – und damit auch das Kfz-Handwerk der Zukunft – genau aussehen wird, wagt niemand zu prophezeien. Auch nicht Karl-Heinz Goller, Ausbildungsleiter der Handwerkskammer Reutlingen: „In den nächsten 15 bis 20 Jahren wird noch so viel kommen, das können wir uns heute gar nicht vorstellen.“ Die Anforderungen würden insgesamt jedoch nicht zunehmen. Gewisse Dinge würden eher zur Routine übergehen: „Man muss nicht mehr können, sondern nur andere Dinge“, so der Ausbildungsleiter. „Vielleicht kommt aber auch etwas ganz anderes.“

Das Ende der kleinen Schrauber

In Ulm im Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) entsteht eine mögliche Zukunft des Automobils. Dort werden neue Batterien entwickelt. „Es wird spannend durch den Wechsel“, sagt Werner Tillmetz, Leiter des ZSW. Vor knapp 40 Jahren hätte es für Elektrogeräte wie Fernseher noch Handwerker gegeben. Die gebe es jetzt nicht mehr. „Und im übertragenen Sinne werden solche Dinge beim Auto auch passieren“, sagt Tillmetz. Bei Elektroautos würden Aufgaben wie beispielsweise der Ölwechsel wegfallen. Mitarbeiter, die mit Hochvoltleitungen zu tun haben, müssten dafür aber bestimmte Schulungen durchlaufen. „Das kostet viel Geld“, sagt Tillmetz.

Kleine freie Werkstätten werden sich diese Entwicklung nicht mehr antun können, so seine Prognose. Doch dass „Do-it-yourself-Autoschrauber“, wie Daniel Rösch sie nennt, bei der Entwicklung auf der Strecke bleiben, macht dem Kfz-Verband nichts aus. Im Gegenteil: Rösch hofft sogar, dass diese weniger werden. Der Grund: Die Sicherheit der Autos muss gewährleistet werden und dies gelinge am besten über zertifizierte Handwerker.Gorski will hingegen bald seine Werkstatt in Waiblingen vergrößern. Er ist sich sicher, dass auch mit Blick auf autonomes Fahren die Arbeit mit Steuergeräten nicht abnehmen wird. Sie werde zwar schwieriger, denn die Geräte sollen kleiner, aber mit noch mehr Leistung ausfallen.

Zusammen mit einem Kollegen will er auch ein Tesla-Auto kaufen, um herauszufinden, wie dort die Steuergeräte funktionieren und aufgebaut sind. Denn das, so glaubt er, „wird die Zukunft sein“.Doch ähnlich wie das Unternehmen Tesla, das aus dem Nichts – also ohne Automobilhistorie – entstanden ist, könnten auch Unternehmen wie Google in den Markt eintreten. „Weil sie Geld haben ohne Ende, können sie einfach sagen: ,Ich kauf mir jetzt eine Autofirma’“, so Tillmetz. Mit ihren Angeboten wie Google Maps hätten sie beste Voraussetzungen für autonomes Fahren.

„Das sind neue Themen, die die Menschen dazulernen müssen“, so Tillmetz. Darauf müsse sich auch das Kfz-Handwerk bei zunehmender Elektrifizierung einstellen: Der Umgang mit Computern wird umfangreicher und komplexer. „Da hinken wir hinterher“, sagt der Leiter des ZSW. In vier oder fünf Jahren, so glaubt er nämlich, werde E-Autofahren – wie jetzt zum Beispiel schon im US-Bundesstaat Kalifornien – zum Hype werden. Ein Aussterben des klassischen Handwerks sieht er durch die Veränderungen dennoch nicht: „Eine Welt ohne Handwerker würde nicht funktionieren.“
Wo liegt das Problem? Fachinformatiker Paul Doliwa überprüft mit einem Laptop ein defektes Auto.
Wo liegt das Problem? Fachinformatiker Paul Doliwa überprüft mit einem Laptop ein defektes Auto.
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Das Serviceproblem

Die Hochkonjunktur am Bau macht die Suche nach einem Handwerker nicht einfach.
Die Hochkonjunktur am Bau macht die Suche nach einem Handwerker nicht einfach.
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Arbeiten am Haus oder im Garten, ein neues Bad, eine neue Garage – wer derzeit ein solches Projekt vorhat, sollte früh mit der Planung beginnen. Denn die Auftragsbücher der Handwerker sind so voll wie seit Jahren nicht mehr. Viele Hausbesitzer und Hausbauer investieren lieber in die eigenen vier Wände, anstatt ihr Kapital zu Nullzinsen bei den Banken und Sparkassen zu parken. Das sorgt für gute Stimmung in den Betrieben – und für lange Wartezeiten bei den Kunden. Wie finde ich einen Handwerker, und vor allem wie finde ich einen guten Handwerker ist eine Frage, die aktuell viele Bauherren umtreibt.

Nach Informationen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks müssen Verbraucher in den Bau- und Ausbaugewerken wie etwa im Bereich Sanitär, Heizung und Klima, bei den Fensterbauern und bei den Elektrikern derzeit bis zu zehn Wochen auf einen Termin warten. Neben der hohen Nachfrage leiden genau diese Gewerke auch stark unter dem Fachkräfte- und Nachwuchsmangel. Sie können offene Stellen nicht besetzen und so auch nur weniger Aufträge abarbeiten, als es die Kunden gerne hätten. Auch wenn die Verfügbarkeit regional unterschiedlich ausfallen kann: Bauherren sollten frühzeitig, mindestens drei Monate vor dem geplanten Termin beginnen, entsprechende Betriebe zu kontaktieren.


Nähe ist wichtig

Doch damit fängt das eigentliche Problem für viele Bauherren erst an. An wen wende ich mich mit meinem Bauvorhaben? Über das Internet, wird einem vielfach suggeriert, sei die Suche nach einem passenden Handwerker heutzutage ein Kinderspiel. Portale wie myhammer.de vermitteln Kontakte: Einen Auftrag mit der Beschreibung der Arbeiten in eine Maske eingeben, kostenlos und unverbindlich Angebote verschiedener Firmen einsammeln und das mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis auswählen.

Doch was sich theoretisch so einfach anhört, ist es in der Praxis nicht. Zum einen ist das billigste Angebot nicht automatisch auch das Beste. Zum anderen erschwert das Internet in gewisser Weise sogar die Suche nach dem passenden Handwerker. Während sich die Kunden früher durch die Gelben Seiten wühlten oder zum Dienstleister um die Ecke gingen, haben sie im Netzt einen viel größeren Aktionsradius. Damit steigt zwangsläufig auch die Gefahr, an den Falschen zu geraten oder am Ende zu viel zu bezahlen.

Um die Anfahrtskosten in Grenzen zu halten ist es ratsam, eine Firma in der Nähe zu beauftragen. „Nähe ist für Privatkunden ganz wichtig“, sagt Artur Strobel, Chef der gleichnamigen Holzbaufirma aus Ebenweiler (Landkreis Ravensburg). Zum einen wegen der Anfahrtskosten, die sich bei großen und langen Bauvorhaben schnell auf substantielle Beträge summieren können. Zum anderen wegen des Zugriffs. Denn mit der Entfernung zur Baustelle steigen in der Regel auch die Schwierigkeiten, bei Problemen schnell und unkompliziert Abhilfe schaffen zu können. Bauherren, so Strobel, sollten im Zweifel lieber ein paar Wochen länger warten und auf ortsansässige Firmen zurückgreifen.
Die Hochkonjunktur am Bau macht die Suche nach einem Handwerker nicht einfach.
Die Hochkonjunktur am Bau macht die Suche nach einem Handwerker nicht einfach.
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Wer ein Haus baut, sollten sich von verschiedenen Firmen Kostenvoranschläge einholen.
Wer ein Haus baut, sollten sich von verschiedenen Firmen Kostenvoranschläge einholen.
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Um einen ersten Eindruck von einer Firma zu bekommen kann eine Stippvisite vor Ort nicht schaden. Wie sieht es auf dem Betriebsgelände aus? Wie werden Material und Arbeitsmittel gelagert? Herrscht Tohuwabohu oder hat alles seinen Platz? Auch wenn sich anhand solcher Kriterien nicht unmittelbar auf die Qualität der Arbeit schließen lässt, geben sie doch Hinweise auf die Arbeitsweise und darauf, wie es mit dieser Firma später einmal auf der eigenen Baustelle aussehen könnte. Viele potentielle Bauherren, bestätigt Strobel, würden sonntags auf solchen „Betriebsbesichtigungen“ unterwegs sein.

Ebenfalls hilfreich: Ein Blick zu den Profis. Etwa zu Generalunternehmern, die schlüsselfertige Einfamilienhäuser bauen, und mit allen wichtigen Gewerken zusammenarbeiten. In der Regel greifen diese auf Fremdfirmen zurück – seien es beim Rohbau Maurer und Dachdecker oder beim Innenausbau die Spezialisten für Heizung, Sanitär und Elektro. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Vertreter dieser Gewerke in Sachen Qualität und Zuverlässigkeit zu den besten am Markt gehören – vor allem dann, je länger der Generalunternehmer mit diesen schon arbeitet.

Zu guter Letzt können Referenzen und Mundpropaganda bei der Auswahl helfen, Kriterien, die auch Strobel für enorm wichtig hält: „Mundpropaganda ist wichtiger als Firmenschilder, und kein guter Handwerker wird bei der Frage nach Referenzobjekten abwinken.“

So gerüstet empfiehlt es sich, Angebote einzuholen. Besonders bei umfangreicheren Arbeiten erleichtern Kostenvoranschläge mehrerer Firmen die Entscheidung. Als Daumenregel gilt: Zwei bis fünf sollten Bauherren anfordern, wenn ein größeres Projekt ansteht. Allerdings sind Kostenvoranschläge nicht immer gratis. „Kunden sollten unbedingt vorher fragen, ob und wie viel sie kosten“, rät Josina Starke, Rechtsexpertin bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Außerdem gilt es darauf zu achten, dass alle notwendigen Parameter wie Leistungsbeschreibung, Arbeitszeit, Materialkosten, Preis und eventuelle Fahrtkosten enthalten sind.

Wichtig zu wissen: Kostenvoranschläge sind nicht verbindlich. Der Handwerker darf bis etwa 15 Prozent von seiner Kalkulation abweichen, ohne den Kunden vorab zu informieren. Der Auftraggeber kann selbst viel dazu beitragen, dass realistische Kostenvoranschläge erstellt werden. Indem er möglichst genau formuliert, was gemacht werden soll, und das vorab mit dem Handwerker bespricht, erleichtert er die Kalkulation. Denn häufig wird ein Auftrag teurer, weil während der Arbeiten noch zusätzliche Wünsche berücksichtigt werden und die Kosten dafür nicht fixiert worden sind.

Viele Kunden machen die Auftragsvergabe oft ausschließlich vom Angebotspreis abhängig. Mindestens genauso wichtig ist jedoch die Leistungsbeschreibung, in der etwa steht, welche Tätigkeiten mit welchem Material ausgeführt werden. „Die Leistungsbeschreibung wird oft gar nicht genau gelesen, in der Annahme, dass das Angebot alle erforderlichen Leistungen beinhaltet“, weiß Michael Sattler, Fachanwalt für Bau- und Architekturrecht im Verband Wohneigentum in Bonn. Diese Erwartungshaltung werde in der Praxis jedoch nicht selten enttäuscht. Vorsicht, so Sattler, sei bei Stundenlöhnen geboten. Diese werden oft angestrebt, wenn der Aufwand schwer vorherzusehen ist und ein Einheits- oder Pauschalpreis nicht zuverlässig kalkulierbar ist. „Es besteht die Gefahr, dass der Handwerker die Arbeiten bewusst verzögert oder unproduktive Zeiten mit berechnet“, erklärt der Anwalt. „Deshalb muss der Auftraggeber den Fortschritt der Arbeit genau überwachen und dokumentieren.“
Wer ein Haus baut, sollten sich von verschiedenen Firmen Kostenvoranschläge einholen.
Wer ein Haus baut, sollten sich von verschiedenen Firmen Kostenvoranschläge einholen.
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Um einen Eindruck der Arbeit zu bekommen, kann man sich die Firma vor Ort anschauen oder nach einem Beispielprojekt fragen.
Um einen Eindruck der Arbeit zu bekommen, kann man sich die Firma vor Ort anschauen oder nach einem Beispielprojekt fragen.
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Partnerschaftliches Miteinander

Kunden, die bereits früher Handwerkerleistungen in Anspruch genommen haben, tun gut daran, bei Folgeaufträgen auf die gleichen Dienstleister zurückzugreifen – sofern man mit deren Arbeit zufrieden war. Der Auftraggeber kennt die Firma und weiß, worauf er sich einlässt. Die Handwerker kennen die Örtlichkeiten und wissen, wo etwa Leitungen für die Elektrik, Wasser oder Heizung liegen. Solche langfristigen Geschäftsbeziehungen sparen Zeit und Geld, denn die Betriebe werden auch bei hoher Auslastung versuchen, gute Kunden kurzfristig zu bedienen.

In dieser Partnerschaft ist ein Punkt ganz wichtig: die korrekte und pünktliche Bezahlung der Dienstleister, wenn diese ihre Arbeit gemäß Leistungsbeschreibung ausgeführt haben. Offiziell mag das keiner zugeben: Doch auf Baustellen wird nicht selten nach dem sprichwörtlichen Haar in der Suppe gesucht, um die Rechnung zu drücken. Mitunter, das bestätigen betroffene Handwerker, wird das bereits bei der Projektfinanzierung einkalkuliert. Die fehlenden 10000 Euro zieht man dem Handwerker ab – eine Summe, die bei großen Aufträgen ohne weiteres „realisierbar sei“. Das mag einmal klappen, Basis für einen Folgeauftrag ist es aber definitv nicht.
Um einen Eindruck der Arbeit zu bekommen, kann man sich die Firma vor Ort anschauen oder nach einem Beispielprojekt fragen.
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Impressum

Autoren
Benjamin Wagener, Marlene Gempp, Moritz Schildgen, Andreas Knoch, Ludger Möllers, Michael Kroha

Fotos
Andreas Knoch, Marlene Gempp, Moritz Schildgen, Ludger Möllers, Derek Schuh, Michael Kroha, dpa, Colourbox, HWK Reutlingen, HWK Ulm, Birk Bau, Hochschule Ravensburg-Weingarten, HFM Mende, Lukas Unseld

Videos
Marlene Gempp, Andrea Pauly, Christian Schellenberger, Anna Kratky, Michael Scheyer, Michael Kroha, Zentralverband des Handwerks

Storytelling
Yannick Dillinger

Kontakt
schwäbische.de
Karlstraße 16
88212 Ravensburg
online@schwaebische.de

Copyright
Schwäbische Zeitung 2017 - alle Rechte vorbehalten
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Schreiner

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Übersicht
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Kapitel 1 Unser Handwerk

Unser Handwerk

Kapitel 11 Handwerker als Zulieferer

Im Geschäft mit den Großen

Kapitel 14 Problem Betriebsnachfolge

Die Suche nach dem neuen Chef

Kapitel 15 Die Energiewende

Das Handwerk als Schrittmacher

Kapitel 16 Meisterliche Handwerker

Von Welt- und Europameistern

Kapitel 18 Das Serviceproblem

Die Suche nach dem guten Handwerker

Kapitel 19 Impressum

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