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Knast, Ex-Knacki und dann?

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Seine Geschichte steht für das Dilemma vieler Haftentlassenen: Sich wieder in dem Leben in Freiheit zurechtzufinden – mit Wohnung, Arbeit und vor allem, ohne wieder straffällig zu werden.

Multimediales Storytelling von Anja Reichert
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Er kann sich in den Stadtgarten setzen und ein Eis essen. Es ist ein Stück Freiheit und Selbstbestimmung, das für Rainer (Name von der Redaktion geändert) nicht immer selbstverständlich war. Knapp 40 Vorstrafen stehen in seinem Register, viermal saß er für insgesamt vier Jahre in Haft. Mit 19 wurde Rainer zum ersten Mal wegen Autodiebstahls eingesperrt. Er lebte und arbeitete für Monate in Stuttgarts Justizvollzugsanstalt im Stadtbezirk Stammheim. Drei weitere Male wurde er eingesperrt, nach knapp einem Jahr wieder entlassen, dann wurde er erneut straffällig und saß wieder hinter Gittern – zuletzt für 13 Monate wegen schwerer Körperverletzung.
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Die Rückkehr in die Gesellschaft

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Rund 7000 Strafgefangene verlassen laut Statistischem Landesamt  jährlich Baden-Württembergs 17 Justizvollzugsanstalten (JVA) und 19 Außenstellen. Mit dem Tag der Entlassung endet die Zuständigkeit der JVA und damit auch der strukturierte Alltag hinter Gefängnismauern. Der Haftentlassene muss von nun an Entscheidungen selbst treffen und Verantwortung übernehmen.

Das ist nicht immer leicht, doch der Wiedereinstieg in die Gesellschaft sollte gelingen, sagen viele, die im Feld des Vollzugs und der Straffälligenhilfe tätig sind: Gerade in Baden-Württemberg gebe es mit rund 40 Bewährungshilfevereinen, Sozialberatungen, Jugendhilfen oder Wohltätigkeitsvereinen ein flächendeckendes Netz an Hilfesystemen, das straffällig gewordene Menschen und Haftentlassene unterstütze, sagt etwa Horst Belz, Mitglied der Steuerungsgruppe des „Netzwerks Straffälligenhilfe Baden-Württemberg“. „Wir erreichen zwar nicht alle – manche kommen zur staatlichen Bewährungshilfe, andere brauchen es nicht –, aber die, die um Hilfe bitten, denen wird in Baden-Württemberg besser geholfen als in jedem anderen Bundesland.“

Zudem bereiten bereits in den Vollzugsanstalten verschiedene Resozialisierungsprogramme den Straftäter auf das Leben in Freiheit vor. „Das ist der Kern unserer Aufgabe“, sagt Thomas Mönig, Leiter der JVA Ravensburg. Ein zentraler Aspekt dabei sei Arbeit, Beschäftigung und Qualifizierung. Zudem gibt es in vielen Anstalten Anti-Gewalt-Training, Therapien, Kletterkurse – das Angebot ist groß.

Doch sei es keine Frage, dass der Schritt vom Gefängnis in die Freiheit ein sehr großer Schritt sei, so auch Thomas Mönig.
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Nicht jeder schafft diesen Schritt vom Gefängnis in die Freiheit. Plötzlich sind die stabilisierenden Faktoren, die Regeln und Einschränkungen im Alltag weg, die Hürden zu groß. Nicht jeder bittet um Hilfe. Viele sind mit Behördengängen, Wohnungs- und Jobsuche überfordert. Die Rückfallquote ist hoch: Etwa jeder Dritte wird laut Bundesjustizministerium in den ersten drei Jahren nach seiner Haft erneut straffällig.
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Die Motivation, etwas zu ändern

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Erst nach seiner letzten Haft sah auch Rainer ein, dass es ohne Hilfe nicht geht. Das Problem: Der Alkohol. Schon im Gefängnis wurde er auf eine Therapie vorbereitet und im April 2012 schließlich in die Therapie-Einrichtung nach Wilhelmsdorf gebracht. Dort begann für ihn eine neunmonatige stationäre Suchttherapie mit anschließender Resozialisierungsphase. Seitdem trinke er keinen Alkohol mehr. „Irgendwann hat es klick gemacht“, sagt Rainer. Warum das nicht schon früher passiert ist, kann er sich nicht erklären.
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 Er entschied, sich um einen Platz in der „Sozialpädagogischen Wohngemeinschaft“ in Weingarten zu bewerben. Die Einrichtung ist Mitglied im „Netzwerk Straffälligenhilfe Baden-Württemberg“ und bietet straffällig Gewordenen ein Zimmer und eine sozialpädagogische Beratung und Betreuung. Sein Anschreiben lag damals auch auf dem Tisch von Sozialarbeiter Rudi Buck-List, der zu diesem Zeitpunkt bereits knapp 20 Jahre in dem Beruf arbeitete.
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Trotz seiner Erfahrung musste er bei Rainers Lebensgeschichte schlucken: „Stuttgarter Hooligan-Szene, Alkohol, es war das volle Programm“, erinnert sich Buck-List. Damals habe er sich gefragt: „Warum will er ausgerechnet jetzt was ändern? Warum soll es jetzt plötzlich in eine andere Richtung gehen?“ Doch Rainer bekam die Chance und einen Platz in der Einrichtung. Ein Jahr lebte er in der Wohngemeinschaft, führte viele Einzelgespräche mit Buck-List.
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Anders als die Wohnungssuche treibt Rainer die Suche nach einer Arbeit seit Jahren um und das, obwohl Experten aus Vollzugsanstalten, Straffälligenhilfe, Sozialarbeit und Agentur für Arbeit, die Chancen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und ein geregeltes Leben zu beginnen durchaus positiv bewerten. „Der Arbeitsmarkt hier ist gut im Gegensatz zum Wohnungsmarkt“, sagt Buck-List. Vor allem im Bereich des Handwerks seien die Arbeitgeber gerade jetzt bereit, Straffällige einzustellen.


Rainer ist gelernter Maurer, hat jahrelang in der Logistik gearbeitet und nach seiner letzten Entlassung in drei Jobs: Einmal hat er die Stelle gekündigt, weil ihm die Tätigkeit zu eintönig war. Sein zweiter Arbeitgeber teilte ihm nach sechs Wochen mit, dass er nicht ins Team passe. Er wechselte in die Altenpflege, machte eine Weiterbildung zum Pflegeassistenten und wollte nun eine Ausbildung zum Altenpfleger machen. Am Morgen wurde ihm mitgeteilt, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert werden würde.
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Er versucht, optimistisch zu sein. Er wird wieder eine Bewerbung schreiben. Für einen Job in der Industrie: „Irgendwas. So dass erst mal wieder ein Jahr vorbeigeht und dann nächstes Jahr mal schauen.“ Seine Wünsche für die Zukunft sind bescheiden...

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Autor
Anja Reichert

Fotos / Fotomontagen
dpa, Anja Reichert

Grafiken und Videos
Anja Reichert

Verantwortlich
Yannick Dillinger

Kontakt
www.schwaebische.de
Karlstraße 16
88212 Ravensburg
online@schwaebische.de
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