Zeitzeugen erinnern sichMein FranzoseGeschichten der Besatzungszeit
Gemeinsam mit Usern der Facebook-Gruppe „Friedrichshafen, damals, gestern, heute“ und Lesern der Schwäbischen Zeitung haben wir uns auf die Suche nach Zeitzeugen gemacht. Auf die Suche nach bedeutenden Personen oder besonderen Erlebnissen.
Die einzelnen Episoden haben wir zu einer einzigartigen Geschichte der Besatzungszeit zusammengefasst. Damit ihr endlich wieder sagen könnt: "Weißt Du noch?"
Die Anfangsjahre
Isolde Nimmerrichter Die schwierigen Anfangsjahre
Kurt JetterEin schwieriger Beginn
Sie wurden festgenommen und eingesperrt – über Nacht. Am nächsten Morgen habe einer der Soldaten sie nach draußen begleitet. „Er sagte 'promenade’ Wir dachten, wir dürften gehen und waren gerade um die Ecke, als er uns hinterherlief. Wir sollten nur einen Spaziergang machen und frische Luft schnappen.“ Jetter lacht. „Immerhin haben wir Essen bekommen, weil sich meine Mutter für uns einsetzte. Wir mussten das Geschirr spülen und die Zimmer saubermachen. Mittags dasselbe.“
Beim Spülen sehen die Jungs auf einem Schrank zwei Keksdosen. „Ich habe die erste runtergeholt. Die war noch original verpackt. Bei der anderen war nur noch der Boden bedeckt. Die haben wir dann gerade ganz leer gemacht.“ Noch heute kann Jetter über die Episode lachen.
Margarete Westerholt"Mademoiselle, repassez!"
Als ich von der Schule nach Hause kam sagte meine Mutter: "Am Güterbahnhof werden Kartoffeln aus einem Waggon geladen! Geh schnell hin, ob du welche kriegen kannst! Komm aber bald zurück, es gibt Dampfnudeln!" Ich fuhr mit meinem Rad gleich nach der Schule zum Güterbahnhof. Dort wurden unsere Pässe kontrolliert. Da ich in der Eile meinen Ausweis vergessen hatte, wurde ich mit vielen anderen in einen kleinen Raum verwiesen, der sich schnell füllte. Ein französischer Soldat kam mit einem großen Laib Weißbrot von dem er dicke Scheiben abschnitt und an die vielen Leute jeglichen Alters verteilte. Dazu gab es Most zu trinken.
Als der kleine Raum knallvoll war, wurde ich als Erste aufgerufen: "Venez, Mademoiselle." ("Kommen Sie") Ich wurde in einen großen Schlafsaal geführt, auf den Betten lagen einige Soldaten in ihren Uniformen. Mir wurde ganz mulmig. Am Ende des langen Saales stand ein Tisch mit einer Decke belegt, ein Bügeleisen und eine Schüssel Wasser. Der Soldat hielt mir eine Hose hin: "Mademoiselle, repassez!" ("Bügeln Sie!")
Ich tat mein Bestes und bügelte die Hose, bis ein zweiter Soldat ebenfalls mit einer Hose da stand. Aber der Erstere sagte: "Assez" ("Genug") und ich durfte mit meinem Fahrrad nach Hause radeln. Meine Mutter sorgte sich natürlich bereits, weil ich so lange weg blieb. Aber es ging ja alles gut."
Der Aubau
Gert SchwarzDer Aufbau von Wohnraum...
Isolde Nimmerrichter...und ersten Freundschaften
Gert SchwarzDer Arbeitgeber - CRAS
wieder zurück in die USA zu transportieren.
Die kriegsbeschädigten Fahrzeuge wurden bis ins kleinste Teil repariert. Alles wurde ausgetauscht, Geld spielte keine Rolle, die Firma musste nichts verdienen oder Gewinn machen. Sie wurde vom deutschen Staat finanziert (Wiedergutmachung, Reparationszahlung): Es wurde ein jährlicher Etat für Material und Lohnkosten zur Verfügung gestellt. Die Mitarbeiter wurden aus diversen Industriebetrieben, vor allem Maybach-Motorenbau, per Militärbefehl in das CRAS-Werk beordert um dort weiter zu arbeiten - sie wurden bei Maybach nie offiziell entlassen. Die Soldaten und Offiziere hatten ja keine Ahnung von Fahrzeugbau und benötigten daher deutsche Fachkräfte.
Die Firma CRAS wurde hauptsächlich mit neuen Maschinen ausgestattet, die alten Maschinen und Bauteile der deutschen Industrie hatten die Franzosen konfisziert und nach Frankreich geschippt. Das hatte Vor- und Nachteile: Die Franzosen hatten nun die alten Maschinen. Die Deutschen mussten neue Maschinen anschaffen und waren deswegen auf dem neuesten technischen Stand.
Die Franzosen waren zwar zu dieser Zeit "die Herren im Haus", es gab jedoch keine besonderen
Probleme mit dem Zusammenleben. Manchmal demonstrierten sie ihre Siegermacht: Bei einer
PKW-Fahrt mit Militärkennzeichen beispielsweise gab es die Order, wegen einer deutschen Polizeikontrolle nicht anzuhalten. Ebenso gab es keine Strafe wegen Flurschaden, wenn ein Panzer oder Militär-Laster von der Straße ins Feld abging."
Klaus PeilerWeihnachten in der CRAS
"Da mein Vater bei den stationierten Franzosen in der C.R.A.S. beschäftigt war, gab es im Dezember immer wieder mal einen Karton mit Navel-Orangen. In dieser damaligen Zeit! Süß, saftig, reif und das Ganze zum sattessen. Unvergessen bis heute.
Das absolute Highlight im Vorschulalter war für mich jedoch die „Französische Bescherung“. Jedes Jahr hat die C.R.A.S. die Familien ihrer deutschen Mitarbeiter zu einem weihnachtlichen Nachmittag in die dortige Kantine eingeladen. Ein riesiger, über und über bunt geschmückter Weihnachtsbaum, brennende Kerzen auf den festlichen Tischen, Lebkuchen, "Brödla" und heißer Kakao für uns Kinder - so viel man wollte oder konnte. Wie im Schlaraffenland. Dazu französische und deutsche Weihnachtslieder. Und zum krönenden Abschluss ging auf der kleinen Bühne der Vorhang auf und es zeigte einen riesigen Berg aus verpackten Geschenken. Diese waren mit Schleifchen und Bändern verziert, waren lang und schmal, groß und klein. Man konnte deshalb nicht abschätzen, was drin ist. Die Spannung wuchs für uns Kinder. Als dann der französische Saint Nicolas mit seiner lautem Geschell hinter dem bunten Berg hervorkam und anschließend jedem Kind ein Päckchen übergab, da war Bescherung.
Der Heimweg, damals natürlich zu Fuß, der dann bereits im Dunkeln war, erhöhte die Spannung nochmals und führte zu einer enormen Vorfreude.
Ich gehörte nämlich zu denjenigen, welche ihr Geschenk erst zuhause ausgepackt haben.
Heute ich den Französischen Verantwortlichen nach wie vor sehr dankbar für diese Erlebnisse.
Zeit für Freunde
Walter Münich Pater Priasso
1998 stirbt der Pfarrer. „Die Qualität dieser Freundschaft musste einmalig bleiben, aber die Kontakte zum Konvent des Wallfahrtsklosters von Laghet, dem Altersruhesitz des Geistlichen, und zu gemeinsamen Freunden in Nizza sind lebendig geblieben“, so Münich.
Gerhard Weiss Von Panzern und Süßigkeiten
Martine BourSchule in der Besatzungszeit
Eine dieser französischen Jugendlichen war Martine Bour. Mit knapp elf Jahren wird sie 1961 ins Gymnasium „Pierre Brossolette“ nach Konstanz geschickt. Jeden Morgen haben Bour und andere Schüler zwischen zehn und 17 Jahren einen Schulweg von rund zwei Stunden: Mit „beschlagnahmten deutschen Bussen, uralt und ohne Heizung“ ging es nach Meersburg, mit Fähren, die „nicht besser waren“, nach Konstanz und von dort wiederum mit Bussen zur Schule – und abends zurück. „Die Fahrten waren im Winter absolut kein Vergnügen. Die Strecke hab ich fünf Jahre lang gemacht“, erinnert sich Bour.
Sie berichtet von einem Abend im Winter: An der Ecke Kepler-/Prielmayerstraße warten Eltern auf ihre Kinder, die nicht kamen. „Der See war tagsüber gefroren und total zugeschlossen. Wir standen in Konstanz herum, bis der Bus, der uns von Friedrichshafen abholen sollte, den See umfahren hatte – und dann zurück. Wir kamen sehr spät nach Hause und man kann sich nicht vorstellen, wie wir gefroren haben. Niemand hat unsere Eltern benachrichtigt, es gab kein Telefon und keinen Nachrichtendienst.“
Jacques GrimaldiDie neue Heimat
Und plötzlich ist es Liebe
Konstanze und Jean-Jacques CormierAus Freundschaft wird Liebe
Der Abschied 1992 war für uns sehr traurig, hatten wir doch ein Stück französische Kultur, Freunde und französische Lebensart verloren“, sagt Konstanze Cormier. „Wir vermissten die Bälle der Deutsch-Französischen Gesellschaft, wo die französischen Soldaten in Galauniformen tanzten. In der Stadt waren keine blauen Autokennzeichen mehr zu sehen. Die Franzosen fehlten.“ Im September haben Konstanze und Jean-Jacques Cormier ihren 40. Hochzeitstag gefeiert. „Wie wäre unser beider Leben wohl ohne die französische Garnison verlaufen?“, fragt sie.
Liane und Frédéric DhalleineÜber Liebe und Heimat
„Ich hoffe, dass unsere Geschichte bezeugen kann, dass Kontakte unter verschiedenen Völkern nicht nur möglich, sondern auch bereichernd sein können und eine Versöhnung immer möglich ist, auch nach langen und schwierigen Konflikten“, schreibt sie.
Im Februar 1976 sei sie mit einer Freundin am französischen Kino auf dem Maybachplatz vorbeigegangen.
Sie schauen sich die Plakate an, können aber keine Spielzeiten finden. Sie gehen weiter Richtung Stadtmitte und bemerken vor ihnen drei Franzosen in Zivil. Liane nimmt ihren Mut zusammen und fragt nach den Spielzeiten der Kinofilme. „Da drehte sich Frédéric um, um mir freundlich Auskunft zu geben. Jeder ging dann weiter seiner Wege. Ich selber allein ins Kino an diesem Abend...“, berichtet Liane weiter.
Einige Tage später sei sie wieder mit der Freundin unterwegs gewesen. Um ein Eis zu essen, gehen die beiden ins „Rialto“ in die Friedrichstraße. Erneut trifft sie Frédéric. Ab diesem Moment treffen sie sich öfter. „Aus der anfänglichen Freundschaft wurde Verliebtheit.“
Heute leben Dhalleines in Hesdin, doch die Nähe zu Friedrichshafen ist geblieben. „Ich komme immer gerne. Es ist nicht leicht, die Heimat zu verlassen. Meine Großeltern, meine Eltern und meine Freunde haben mir immer sehr gefehlt, aber ich bin auch in Frankreich glücklich geworden. Ich habe das auch einmal in einem Gedicht festgehalten...“
Der Abschied
Katharina und Christian MeyerDer Abschied
Immer wieder gibt es sportliche Veranstaltungen: Die Athleten des VfB, darunter auch Meyer, machen Aktionen mit den Soldaten: Sport, Wettkämpfe, Laufwettbewerbe.
Eine der bedeutendsten Aktionen: Der Staffellauf nach Paris 1992. Mit dem Lauf wollte man die Verbundenheit mit den französischen Soldaten demonstrieren. Mehr als 20 Staffelläufer werden am ersten Mai im Pariser Rathaus empfangen (Foto der damaligen SZ-Ausgabe). Nie habe ein Sportereignis für solch einen politischen Wirbel gesorgt, wird der Organisator und Leichtathletik-Chef Rudi Könitzer in der damaligen Ausgabe der SZ zitiert. Wenige Tage vor dem Start habe der französische Verteidigungsminister die Beteiligung französischer Soldaten untersagt und die Pariser Polizei habe im letzten Moment signalisiert, dass sie wegen Verkehrsprobleme am Mai-Feiertag keine Polizeieskorte für die letzte Etappe durch die Innenstadt stellen könne.
Der Lauf ist umstritten und bedeutend: Unter anderem habe die Pressestelle des Vatikans ein Telefax geschickt, in dem der Papst seinen Segen aussprach. Der Bischof von Verdun habe der Staffel den Namen „Friedensstaffel“ gegeben. Im Rathaus übergibt Könitzer eine Liste mit 5200 Unterschriften von Häfler Bürgern, die mit ihrem Namen ihre Sympathie zu den Franzosen bekundeten.
Andy WinnerNach all den Jahren
Impressum
Besonderen Dank an alle Zeitzeugen
Text: Anja Reichert
Fotos: Privat, Archiv und Anja Reichert
Videobearbeitung: Alexander Kurreck, Marcus Fey
Filmproduktion: Sportkreis Bodensee, Copyright 1992.