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Momentesammler

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Gesund bleiben: Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung ist das für 87 Prozent der Deutschen die Grundbedingung für Glück. Elisabeth Bernhard ist nicht gesund. Sie leidet an Demenz. Macht sie die Krankheit samt Begleiterscheinungen zu einem unglücklichen Menschen? Ortstermin im Seniorenzentrum St. Vinzenz in Wangen.

Von Yannick Dillinger
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Roland Haug über sein Glück bei der Arbeit mit Dementen

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Roland Haug leitet das Haus St. Vinzenz in Wangen seit zwei Jahren. Es ist Winter und es ist kalt. Zu kalt für ein Gespräch im sonst so farbenprächtigen Garten, in dem auch Elisabeth Bernhard an schönen Tagen gerne auf einer der Holzbänke sitzt. Roland Haug begrüßt uns im weiten Foyer.

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Roland Haug über Glück von Dementen: 

"Menschen mit Demenz erleben Glück – vielleicht sogar intensiver als gesunde Menschen. Das Ziel in unserer Betreuung ist es, den Bewohnern möglichst viele Glücksmomente zu bescheren. Natürlich gibt es Momente, in denen ein Mensch unglücklich ist. Da können wir dann auch nicht einfach so Unglück in Glück verwandeln. Vielmehr ist es in solchen Situationen unsere Aufgabe, das Unglück zu reduzieren." 
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Eine Demenz ist eine degenerative Erkrankung des Gehirns, die mit Defiziten in kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten einhergeht und zu Beeinträchtigung sozialer und beruflicher Funktionen führt.  An Demenz leiden in Deutschland 1,5 Millionen Menschen. Die Zahl steigt laut Experten bis 2050 auf rund drei Millionen. 
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Der Weg zu Elisabeth Bernhard führt über ein Treppenhaus aus kaltem Beton. Es ist dunkel. Bauschick der 1970er-Jahre. Elisabeth Bernhard erwartet uns im Wohnzimmer. Sie sitzt alleine an einem Tisch – wie viele hier. Sie lacht – wie manche hier.

Sie freue sich über Besuch, sagt sie. Seit vier Jahren wohnt sie in St. Vinzenz – gemeinsam mit 17 anderen Menschen in einem räumlich getrennten Bereich speziell für Menschen mit Demenz. Ihre blauen Augen funkeln immerfort. Aber ist sie glücklich?
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    Elisabeth Bernhard:

    "Mir geht es richtig gut,
    wenn ich reden kann und
    mir jemand zuhört. Reden
    ist mein großes Hobby.
    Nähen oder Fernsehen mag
    ich dagegen überhaupt nicht.
    Ich könnte den

    ganzen Tag einfach nur
    reden. Damit bleibe ich wach
    im Kopf. Reden macht mich
    glücklich."
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Früher haben vor allem die Einkaufsausflüge nach Ravensburg Elisabeth Bernhard glücklich gemacht. Oder das Umsorgen der Kinder. Heute liebt sie es, mit Menschen im Wohnzimmer der Wohngruppe zu sitzen und zu erzählen. Von ihrem Leben. Vom Leben der Anderen. Von ihren Kindern, die sie, wie auch viele Verwandte und Bekannte, regelmäßig besuchen.

Nachfrage bei einem der beiden Söhne...
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Sohn von Elisabeth Bernhard:

"Unsere Mutter ist hier glücklich. Sie hat ihre Erkrankung angenommen. Sie hadert nicht. Man muss aber auch sagen, dass sie mit ihrer Verfassung eine positive Ausnahme ist. Vielen geht es nicht mehr so gut. Sie kann im Gegensatz zu anderen Bewohnern im Seniorenzentrum wenigstens noch Bitte und Danke sagen.


Unsere Mutter wollte nie ihre Eigenständigkeit aufgeben. Dann kam der Parkinson und ein Schlaganfall. Und irgendwann ging es nicht mehr anders. Der Schritt ins Seniorenzentrum war anfangs schwierig. Auch für uns Angehörige. Doch schon nach wenigen Tagen haben wir unsere Mutter kaum wiedererkannt. Sie strahlt seitdem jeden Tag solch einen Optimismus aus, erzählt viel und – ja: Sie ist glücklich."


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Elisabeth Bernhard berichtet detailliert vom Allgäu der Nachkriegszeit, von den Geschäften in Ravensburg, von ihrem Aufwachsen als Tochter einer Gastwirtsfamilie. Geselligkeit hat die 76-Jährige von klein auf genossen. Ganz so wie heute, 70 Jahre später, im Wohnzimmer des Seniorenzentrums St. Vinzenz. Dort, wo es dann plötzlich doch passiert: Sie verwechselt die Namen ihrer Kinder. Grund zum Ärgern? Grund für Scham? Nichts dergleichen. Elisabeth Bernhard lacht – und steckt ihre Gäste damit an.
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Nach einer in jeder Hinsicht guten halben Stunde müssen wir uns von Elisabeth Bernhard verabschieden. Sie könnte noch stundenlang weiterreden. Und wir ihr noch stundenlang zuhören. Doch die anderen Bewohner des ersten Obergeschosses sollen nicht weiter gestört werden. Elisabeth Bernhard drückt allen zum Abschied fest die Hand, lacht und verrät einen Schönheitstipp: „Lachen auch Sie immer viel. Das hält Sie schön – innerlich und äußerlich.“

Das Gespräch über Glück und Unglück im Alter und in der Krankheit führen wir im Erdgeschoss weiter. In Roland Haugs Büro.

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Wie viele schöne Momente entstehen denn, wenn Menschen mit Demenz auf Angehörige treffen?

Haug: "Das ist unterschiedlich und hängt oft davon ab, wie das Verhältnis in früheren Zeiten war. Dinge, die zum Teil jahrzehntelang zurückliegen und vielleicht dafür verantwortlich sind, dass es Missstände gibt, die können wir hier kaum aufarbeiten. Es sind aber oft genau diese Erinnerungen, die bei dementen Menschen auch viele Jahre später noch für unglückliche Momente sorgen."


Ist es für Menschen mit Demenz irgendwann auch eine Form von Glück, sich an solche Dinge nicht mehr erinnern zu können beziehungsweise zu müssen?

Haug: "Je länger solche Verletzungen zurückliegen, desto präsenter sind sie. Das ist ja oft die Schwierigkeit in der Demenz, dass Dinge in der Krankheit aufgearbeitet werden, die für uns oder auch die Angehörigen überhaupt nicht mehr präsent sind. Für uns ist es daher wichtig, möglichst detailliert über die Biografie der Bewohner Bescheid zu wissen."

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Ist es für manchen Kranken aber auch das größte Glück, nicht mehr leiden zu müssen, loslassen zu können, zu sterben?

Haug: "Tatsächlich erleben wir viele Menschen, die sehr erlöst wirken, wenn es auf die letzte Reise geht. Wir haben aber auch immer wieder das Thema Unerledigtes und Ungeklärtes, das unglücklich macht – bis zur letzten Lebensphase. Das kann so etwas Banales wie ein nicht geregelter Nachlass sein. Oder auch etwas Tiefgehendes, wie dass das Kind seit Jahren in Australien wohnt und seit längerer Zeit kein Kontakt mehr bestand. Menschen sehnen sich kurz vor ihrem Tod sehr häufig danach, die Kinder doch nur noch einmal sehen zu können. Wenn dies dann noch geschieht, können Menschen loslassen und vielleicht auch glücklich gehen."

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Was Glück und Unglück im Seniorenzentrum St. Vinzenz in Wangen für Menschen mit Demenz und den Leiter bedeuten können, haben wir mittlerweile verstanden. Doch wie gehen Pflegekräfte damit um? 120 arbeiten hier am und mit Patienten. Viele sind jung, stehen am Anfang ihrer beruflichen Karriere, freuen sich über glückliche Momente der Bewohner, bekommen hautnah aber auch die dunklen Stunden mit... 
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Multimedia-Umsetzung: Yannick Dillinger
Texte: Yannick Dillinger
Audioaufnahme: Yannick Dillinger
Videos: Mark Hildebrandt
Fotos: Mark Hildebrandt / dpa

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