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Der Tag der PARTEI

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Der Tag der PARTEI

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Bier trinkt das Volk

Lautstark schiebt sich der Mob durch die Straßen Erfurts, vorbei an stehenden Autos und Straßenbahnen. Die meisten Menschen darin tragen Sonnenbrillen, hellgraue Anzüge, rote Krawatten, einige haben grüngefärbte Haare, andere sind voll behängt mit glitzernden Orden.
Fast alle tragen eine Armbinde, auf der in roten Lettern steht: „Die PARTEI“. Sie lassen Bier in sich fließen und grölen: „Nie, nie, nie wieder Erfurt“, und die Gesichter der am Straßenrand stehenden Passanten fragen: „Was wollen die eigentlich?“
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Alles und nichts, wollen sie, und das irgendwie. Auch die anderen Schlachtrufe geben nur vage Auskunft: „Irgendwas, irgendwas, irgendwas“ oder „Bier trinkt das Volk“ oder „Wir wollen keine – Demoreime“.
Gelegentlich scheint es gar etwas wahllos zu werden, als die scheinbar wütende Menschenmenge an einer roten Ampel stehenbleibt und skandiert: „Wir gehen nur bei Grün – Vorbild geben!“
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Die Transparente sind da etwas konkreter in den Forderungen: „Petry ausweisen, von Storch frisieren“ oder „Ostdeutsche Wirtschaftsflüchtlinge stoppen“ oder „Die endgültige Teilung Deutschlands“.
Ja, der Mauerbau, der sei das Vernünftigste gewesen, was Deutschland je fertig gebracht habe, finden jedenfalls die Mitglieder der Partei „Die Partei“. Und deshalb fordern sie, dass sie wieder aufgebaut wird: „Mauerbau – das war schlau .“
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Wenige Stunden nach der Demonstration beginnt dann der eigentliche Grund der Zusammenkunft: Der sechste Bundesparteitag der Partei „Die Partei“, der bezeichnender Weise in der ehemaligen Parteischule der SED stattfindet, die in Erfurt immer noch für Veranstaltungen wie diese genutzt wird. Hier, im Auditorium Maximum, offenbart sich die Seele der Partei.
Auf den ersten Eindruck wirkt es wie ein großer Kostümball. 399 Mitglieder haben sich akkreditiert. Sie entstammen allen Altersklassen, allen Milieus und allen Orten Deutschlands. Was sie eint: Der Wille zur humoristischen Anarchie. Sie wollen an der politischen Willensbildung des Landes mitwirken und zwar mit den realen und legalen Mitteln der Demokratie: als echte Partei. Ihre Waffe: Satire.
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Billiger Spaß oder teures Vergnügen

18.408 Mitglieder zählt „Die Partei“ aktuell, erklärt Bundesschatzmeister Norbert Gravius. Das mache sie zur neuntstärksten Partei in Deutschland. Dafür, dass sie 2004 von Redakteuren der Satirezeitschrift „Titanic“ mal eben so aus Spaß gegründet wurde, ist das eine beachtliche Größe.
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Das sehen jedenfalls die Parteigranden so. Martin Keller (rechts im Bild), seines Zeichens "Die Partei"-Bundesgeschäftsführer, Landesschatzmeister in Baden-Württemberg und Ehrenvorsitzender der Hintner-Jugend (das ist die Nachwuchsorganisation, die nach Parteivorstand Thomas Hintner benannt wurde) sagt: „Vor 10 Jahren hatten wir gar keine Orga. Jetzt geht es nicht mehr ohne.“
In Baden-Württemberg sind etwa 2300 Mitglieder registriert. Das sollen mehr sein, als die Piraten gegenwärtig verzeichnen. Sein Geld verdient Keller als Softwareberater. In die Partei stecke er etwa zwei bis drei Arbeitsstunden die Woche, doch der jährliche Rechenschaftsbericht fordere ihm gut 50 Stunden ab. „Hinter den Kulissen hört der Spaß auf“, gibt Keller zu, „aber damit wir die Dinge machen können, die Spaß machen, braucht es halt auch harte Arbeit“.
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Nein, mit „Dingen, die Spaß machen“, meint Keller keine Witze. Die Partei mache keine Witze, keine Comedy, sie mache Satire und die müsse man Ernst nehmen. Insofern sei „Die Partei“ auch keine Spaßpartei. Ohne ein Mindestmaß an Sachverstand gehe Satire ziemlich schnell nach hinten los: „Wenn du das Thema nicht begreifst“, sagt Keller, „kannst Du keine Satire machen“.
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Im Auditorium Maximum, in dem die Luft bald dünn wird und nach Bier und Schweiß riecht, wird dennoch ziemlich viel gelacht. Ein Spruch folgt dem nächsten. Die Sitzung des Parteitags wird zu einer Arena, in der alles erlaubt ist, was lustig oder böse gemeint ist.
Das könnte man als die Basis der Partei „Die Partei“ bezeichnen. Diese Basisparteiler grölen, skandieren, trinken und lachen ununterbrochen. Bei manchen Teilnehmern gerät es fast zum Zwang: Möglichst laut und möglichst daneben. Hier ist es nicht die Satire, die keine Grenzen hat, sondern der Spaß.

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Vormittags noch wird der Spaß dennoch erst einmal außer Kraft gesetzt. Bei den offiziellen „Kaderschulungen“ lernen die neuen Teilnehmer, wie das Logo der Partei richtig zu verwenden ist, wie das mit Bildrechten für Plakate eigentlich so ist und wer für Aktionen haftet: Jedes Parteimitglied selbst, weshalb ein schlechter Scherz für den Einzelnen schnell ein teures Vergnügen werden kann.
Während dieser Vorträgen merken die Spaßparteiler jedenfalls, auf was für einem sachlichen Fundament auch satirisch gemeinte Aktionen stehen sollten. Spätestens bei der Erläuterung, wie eine offizielle Reisekostenabrechnung korrekt ausgefüllt wird, zieht die Gravitation unermüdlich an Augenlidern und Köpfen. „Langweilig“, schreit es da stumm aus den Gesichtern der Parteisoldaten.
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Verantwortung verlangt Ernsthaftigkeit

Wie Ernst der Spaß werden kann, zeigt sich, wenn auf dem Weg zur Pointe Unfälle geschehen. Das musste beispielsweise der 22-jährige Max Braun (dieses Mal Bildmitte) feststellen, der als Kandidat der Partei „Die Partei“ 2014 in den Karlsruher Stadtrat gewählt wurde, und zwar mit dem Wahlkampfslogan: „Braun wählen aus Überzeugung.“
„Ich wollte eigentlich gar nicht in die Politik“, gibt der Student zu, der mit dem Wahlergebnis kurzerhand sein Studium auf Eis legen musste, „aber jetzt bin ich halt hier.“ Tja, dumm gelaufen?
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Zusammen mit zwei Kollegen der Piraten und zwei Kollegen der Karlsruher Liste ist er nun Mitglied der KULT-Fraktion, die nun die viertstärkste Kraft im Stadtrat bildet. „Ich mache schon auch mal satirisch gemeint Anträge“, sagt er, „aber ich bin einer von 48 Stadträten. Meine Stimme ist viel zu wichtig, als dass ich sie nur zum Spaß wegwerfen würde.“ Seine mangelnde Erfahrung wolle er mit Verantwortungsgefühl wett machen. Er sitzt im Jugendhilfe-, im Sozial- und auch im Sportausschuss. Es gebe auch Kollegen der großen Volksparteien im Stadtrat, die in keinem einzigen Ausschuss säßen und nur noch an den Ratssitzungen teilnehmen würden.

Neben Karlsruhe ist „Die Partei“ noch in zwei weiteren baden-württembergischen Stadträten vertreten: In Tübingen mit Markus Vogt alias „Häns Dämpf“ und in Freiburg mit Simon Waldenspuhl.
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Mit wachsenden Mitgliederzahlen wachsen auch die zur Verfügung stehenden Mittel. „Ich kann stolz verkünden: Wir haben Geld“, sagt Schatzmeister Norbert Gravius.

Damit sein Bericht nicht zu dröge wird und die Trunkenbolde die Zahlen auch wirklich mitbekommen, greift er auf ein rothaariges Nummerngirl zurück: Knapp 113.000 Euro bekam die Partei 2015 von der Bundeskasse ausbezahlt. Die Gesamteinnahmen beliefen sich auf etwa 164.000 Euro, bei Gesamtausgaben von etwa 73.000 Euro.
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Mittlerweile beschäftigt „Die Partei“ sogar einen Mini-Jobber. Was noch nicht so rund läuft: Der Mitgliedsbeitrag kostet jährlich zehn Euro. Heruntergebrochen bekommt „Die Partei“ aber nur 2,16 Euro pro Mitglied überwiesen.

Die spitzzüngigen Parteisoldaten scheinen eine schlechte Zahlungsmoral zu haben.
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Der Parteiführer

Die politische Krönung empfing „Die Partei“, als ihr Parteivorsitzender Martin Sonneborn 2014 in das Europäische Parlament gewählt wurde. Seither habe die Zahl der Parteimitglieder laut Martin Keller auch wieder stark zugenommen. Sonneborn ist das Gesicht der Partei „Die Partei“ und deren Zugpferd.
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Im normalen Leben würden wohl die wenigsten vermuten, dass der 51-Jährige der Vorsitzende einer Partei ist. Mit seiner schlaksigen, krummen Körperhaltung, dem schütteren Haar, den einfachen schwarzen Schuhen und dem dunkelgrauen, hängenden Anzug wirkt er eher wie das genaue Gegenteil eines lautstark polternden Parteichefs.

Nein, Sonneborn spricht leise und überlegt. Auf den ersten Blick jedenfalls versprüht er das Charisma eines sorgfältig stilisierten Beamten.
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Doch wenn Sonneborn das Auditorium Maximum betritt, stehen seine Parteisoldaten auf, jubeln und pfeifen und feiern ihren großartigen Parteivorsitzenden. Erzeugt der frenetische Jubel das Charisma oder ist das umgekehrt? Es scheint fast so, als wandele Parteichef Sonneborn auf den Fußstapfen altbekannter Diktatoren der Geschichte und Gegenwart, die nicht unbedingt mit ihrem Erscheinungsbild hätten punkten können, es aber trotzdem verstanden, Massen aufzustacheln.

Realsatire? Ausgerechnet die Partei, die schneller als ihr Schatten Hitler-Vergleiche verschießt, huldigt in Ehrerbietung ihrer Führungspersönlichkeit.
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In Brüssel haben die rechtspopulistischen Politiker Udo Voigt und Jean-Marie Le Pen ihren Sitz ganz in der Nähe von Sonneborn. „Ich sitze inmitten des Abschaums des Parlaments und fühle mich da sehr wohl“, erklärt Sonneborn, der seine E-Mails lange Zeit mit „Sitznachbar von Beatrix von Strolch“ unterschrieb.

Seine Antworten sind immer eine Mischung aus Wahrheit und Satire, bei der der Zuhörer selbst entscheiden muss, wo die Grenze verläuft. Sind Sie Politiker oder Satiriker? „Ich würde sagen, es ist eine Politik, die mit satirischen Formen arbeitet“, erklärt er sich, „das macht sie so gefährlich“.
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CDU-Kollegen würden ihn als frech und faul bezeichnen. Sonneborn entgegnet, dass er einen hohen Unterhaltungswert habe: Zuletzt machte Sonneborn auf sich reden, als er den türkischen Präsidenten Tayyip Recep Erdogan im Parlament als den „Irren vom Bosporus“ bezeichnete. Ihm zufolge sei die Rede bereits über 3,5 Millionen Mal im Internet abgerufen worden.

Türkeiurlaube könne er gerade keine machen. Politisch blickt er sowieso lieber auf einen anderen Flecken der Erde. „Ich bin in der Delegation für Verhandlungen mit der Halbinsel Korea, weil ich lernen will von Kim Jong Un. Ich glaube, dass unsere Demokratie so ein bisschen daran krankt, dass man Beschlüsse nicht auch mal brutal durchsetzen kann.“

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Abgeguckt hat Sonnenborn sich schon einiges: Am Mikrofon vor dem versammelten Parteiheer strafft sich sein Rücken, er streckt seine Hand weit von sich (Handfläche nach oben) und stimmt seine Gefolgschaft auf die bevorstehende Vorstandswahl ein.
Am Ende wehren Sonneborn und seine Vorstandskollegen die Angriffe aus der Parteibasis erfolgreich ab. Der Bundesvorstand wird mit 86 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
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Impressum

Text, Videos & Fotos:
Michael Scheyer

Verantwortlich:
Yannick Dillinger

Kontakt:
schwaebische.de
Karlstraße 16
88212 Ravensburg
online@schwaebische.de

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Schwäbische Zeitung 2016 - alle Rechte vorbehalten



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