Vor 20 Jahren: Land unter am BodenseeWie das Jahrhundert-Hochwasser 1999 die Seegemeinden wochenlang in Atem gehalten hat
Lindau: Die Flut schwappt auf die Insel
Der kleine See beim Maria-Martha-Stift ist übergelaufen.
Tagelanger Regen und die Schneeschmelze in den Bergen haben den Pegel des Bodensees unaufhörlich ansteigen lassen - auf 5,68 Meter: Hochwasser.
Die Einsatzkräfte wissen schon jetzt:
Das Wasser wird weiter steigen.
Der Bodensee im Wohnzimmer
Bis zum Abend des 22. Mai errichten hunderte Einsatzkräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk (THW) und städtischem Bauhof einen Damm aus Sandsäcken.
Sie versuchen um jeden Preis zu verhindern, dass die Feuerwache und die Hauptstromverteilung der Stadtwerke Schaden nehmen.
In der Nacht zum Pfingstsonntag regnet es weiter. Hilfskräfte sichern nun ganze Häuserzeilen, Taucher setzen Luftkissen in die Kanalisation ein, damit dass Wasser nicht weiter in die Keller drückt.
In vielen Gemeinden am See herrscht Alarmbereitschaft
Besonders schlimm trifft es Langenargen, das acht Kilometer östlich von Friedrichshafen liegt.
Um sein Haus zu schützen, hat der Langenargener Roland Hertsch sich bereits zehn Tage vor Pfingsten mit Sandsäcken versorgt.
Er hat mit Hochwasser gerechnet - jedoch nicht in diesem Ausmaß.
Montag: Einsatzkräfte atmen zum ersten Mal durch
Die örtlichen Einsatzkräfte können kurz durchatmen und holen sich Hilfe von den umliegenden Feuerwehren.
Das Hochwasser bestimmt in den kommenden Wochen das Leben in Lindau und den Seegemeinden.
Unterwegs zu sein ist beschwerlicher als sonst, Händler und Gastronomen klagen über ausbleibende Kunden.
Bürger versuchen zu retten, was zu retten ist, und arrangieren sich mit der ungewöhnlichen Situation.
Der Regen geht, doch neue Probleme kommen
Sie müssen unzählige Keller trocken legen, versunkene Fahrzeuge bergen und mit Heizöl verseuchtes Wasser abpumpen.
Auf der Lindauer Insel wappnen sich die Einsatzkräfte für den Fall, dass der Wasserpegel weiter steigt.
Aus Schalwänden, Sandsäcken und Betonsteinen errichten sie eine 1,30 Meter hohe Schutzwand rund um die Hafenpromenade.
Während ihrer anstrengenden Arbeit ist es nicht mehr der Regen, der die Helfer behindert: Gaffer strömen auf die Insel.
Ein Sturm peitscht die Wellen hoch - mit fatalen Folgen
"Wir wussten, wenn ein Sturm aus dem Süden kommt, dann läuft die Innenstadt voll", sagt der Langenargener Roland Hertsch.
Um den Hafen dicht zu machen, errichten die Anwohner meterhohe Schutzwände.
Und tatsächlich: Am 2. Juni, zwei Wochen nach Pfingsten, rast ein Sturm mit Windstärke 11 über den östlichen Bodensee.
Das Problem: Der Sturm kommt aus einer völlig unerwarteten Richtung.
Slider: 20 Jahre nach dem Hochwasser
Ziehen Sie den Regler in der Mitte für einen Blick in die Vergangenheit nach rechts.
Auf die Insel fahren kaum noch Züge
Auf fünf Metern Länge werden die Schienen unterspült, zwei Züge kommen vor dem Holz zum Stehen. Zum ersten Mal in Deutschland ist der Zugverkehr durch Treibholz blockiert, wird die Lindauer Zeitung später berichten.
In den Waggons auf dem Damm müssen die Fahrgäste rund eine Stunde verharren, bis sie ein Ersatzzug in den Bahnhof bringt.
Nach vier Wochen ist der Einsatz beendet
Der Sturm reißt teilweise Ufermauern ein oder unterspült diese, knickt Bäume um, lässt Autos regelrecht absaufen und übergibt den Römerbadsteg in Lindau den Fluten.
In den Anlagen und Gebäuden der Stadt Lindau belaufen sich die Schäden auf mehr als eine Million Euro - und auch bei Privatleuten und Betrieben war viel zerstört.
Die gute Nachricht: Verletzt wurde bei dem Hochwasser niemand.
Nach 28 langen Tagen und Nächten ist Pfingsthochwasser vorüber.
100.000 Sandsäcke waren allein in Lindau verbaut worden, in Langenargen waren es 36.000. Weit mehr als 100 Pumpen sind zum Einsatz gekommen.
Viele freiwillige Helfer haben die Region vor Schlimmerem bewahrt.
Das Hochwasser hat Folgen für die ganze Region
In Immenstadt im Allgäu musste ein Krankenhaus evakuiert werden. In vielen Teilen der Region war Land unter. Nach Schätzungen soll das Hochwasser insgesamt Werte in Milliardenhöhe vernichtet haben.
Dies hat aber auch den Anstoß zur Verbesserung des Hochwasserschutzes gegeben. So arbeitet Lindau seit mehreren Jahren daran, die Stadt vor Überschwemmungen zu schützen. Für die Ach ist zum Beispiel der Bau eines Rückhaltebeckens in Oberreitnau fast abgeschlossen.
Insgesamt sind im bayerischen Allgäu inklusive des weiß-blauen Bodenseezipfels um Lindau herum 250 Millionen Euro in den Hochwasserschutz
investiert worden.
Impressum
Franziska Telser
Texte
Franziska Telser, Silja Meyer-Zurwelle, Uwe Jauss, Ruth Eberhardt
Fotos: Christian Flemming, Roland Hertsch, Peter Besserer, Ute Fetzer, Michaela Dahlhaus, Hermann Eggel, DPA
Videos:
Franziska Telser, Marcus Fey, Gerd Kubas
Verantwortlich
Yannick Dillinger
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