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Hochvogel: Der zerrissene Berg

Der Hochvogel: Gespaltene Persönlichkeit

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Hochvogel: Der zerrissene Berg







Eine Multimedia-Reportage von Andrea Pauly

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Die Alpen sind für viele Menschen etwas Unvergängliches. Ihr Relief erscheint zeitlos, sich dort zu bewegen, ist nicht nur Sport und Herausforderung, sondern auch eine Reise in eine andere Zeit: Wer fast 2000 Meter über dem Meer kleine, weiße Punkte im Gestein entdeckt, tritt auf die Überreste von Korallen, die einst im Meer wuchsen.

Beim Blick auf wilde Formationen und Steilwände voller Fugen und Falten wird deutlich, wie alt diese Landschaft ist.



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Am Hochvogel ist alles anders. Er ist nicht mehr zeitlos, unerschütterlich und überdauernd: Sein Gipfel wird zerbrechen und fallen, darin sind sich Geologen einig. Die Frage ist nur, wann. 

Wer auf dem Berg stehen will, wie er aus Büchern, von Fotos und Zeichnungen bekannt ist, muss sich beeilen. 

Für Tobias Ibele, promovierter Geologe, und Andrea Pauly, Reporterin von Schwäbische.de, war dies Grund genug, den vergänglichen Gipfel und seine Veränderung aus nächster Nähe zu betrachten. 

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Der Hochvogel ist einer der prägnantesten Berge der Allgäuer Alpen: Durch die beiden so genannten Schultern sieht er aus wie ein einfach gezeichneter Vogel. 

Mit 2592 Metern Höhe steht er zwar lediglich auf Platz 13 der Liste der höchsten Berge der Allgäuer Alpen.  
Trotzdem ist er wegen seiner relativ exponierten Lage und seines steilen Gipfels leicht auszumachen.

Seit 2014 hat der Hochvogel im gesamten deutschsprachigen Raum Berühmtheit erlangt, weil mehrere Risse seinen Gipfel spalten. Es droht ein gewaltiger Felssturz.
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Dass sich eine tiefe Kluft durch den Gipfel des Hochvogel zieht, ist seit mehr als 150 Jahren bekannt. Seit 2005 hat sie sich sichtbar vergrößert.

Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Spalte mit einem kleinen Sprung zu überwinden - daran ist mittlerweile nicht mehr zu denken. 

Nicht nur eine Felsspalte ist dort oben zu sehen, sondern mehrere. Und 2014 wuchsen diese Risse plötzlich sehr viel schneller.


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Das bemerkten auch zwei Bergwanderer. Sie schlugen Alarm.

Nachdem der Tiroler Landesgeologe die Situation aus der Luft begutachtet hatte, sprach er eine deutliche Warnung aus: Lebensgefahr. Der Bäumenheimer Weg, der auf der Südseite des Berges hinauf führt, ist seither gesperrt.

Dabei geht es nicht nur um den vorhergesagten Felssturz am Gipfel: Immer wieder lösen sich schon jetzt große Felspakete aus der Wand, die für Kletterer tödlich sein können.
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Sollte es zum erwarteten Felssturz kommen, ist es nicht der erste: Laut Hüttenchronik des Prinz-Luitpold-Hauses brachen am 27. Mai 1935 Tausende Kubikmeter Gestein von der Südwestflanke des Hochvogel ab. Auch 2005, 2007 und 2016 lösten sich große Gesteinsbrocken und stürzten ins Tal.  

Allerdings erwarten Geologen diesmal eine bisher nicht gekannte Größenordnung: Eine Viertelmillion Kubikmeter Fels könnte abbrechen - so viel wie nie zuvor am Hochvogel.

Diese Masse entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von mehr als 60 Metern. 


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Michael Krautblatter leitet das Forschungsprojekt am Hochvogel. Foto: TUM
Michael Krautblatter leitet das Forschungsprojekt am Hochvogel. Foto: TUM
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Michael Krautblatter, Professor an der Technischen Universität München (TUM) erforscht mit seinem Team die Bewegungen am Gipfel.

Ihre Messungen am Hochvogel haben gerade gezeigt, dass sich ein Teil des abbrechenden Fels wieder auf den stabilen Gipfel zu bewegt. Wie kann das sein?
 

Man muss sich das vorstellen wie einen wackelnden Zahn in seiner Fassung. Der Fels bewegt sich nicht nur in eine Richtung, sondern kann auch eine Drehbewegung bekommen. Wenn es Bewegungen an der Seite gibt, kann sich eine andere Stelle dadurch verschieben.

Was passiert aktuell oben am Gipfel ?

Ein Seitenspalt öffnet sich gerade am stärksten: Dieser Querriss öffnet sich dreimal so schnell wie die anderen. Durch die verschiedenen Risse gehen wir davon aus, dass sich der Gipfel in sechs Blöcke teilen wird, die zwischen 8000 und 140.000 Kubikmeter haben. So kommen wir auf insgesamt 260.000 Kubikmeter, die fallen könnten. Der Fels ist die ganze Zeit in Bewegung. Es stürzen schon jetzt als Folge der Verschiebungen ab und zu Brocken ab, die so groß sind wie ein VW Bus. 

Wird der Gipfel fallen?  

Fallen wird er auf jeden Fall. Es ist nur eine Frage der Zeit. Seit 2014 messen wir, wie schnell sich die Risse öffnen. Zur Zeit sind es ein bis zweieinhalb Millimeter im Monat. Das ist zwar etwas langsamer als in den Jahren zuvor, aber es ist hochgradig unwahrscheinlich, dass es sich stabilisiert. Man muss sich das vorstellen wie einen Wetterbericht: Ich kann nicht sagen, wie das Wetter in einem Jahr ist. Aber drei Tage vorher ist eine Prognose viel sicherer.

Drei Tage vorher wird es also absehbar sein, falls der Gipfel abbricht?

Wir erwarten, dass sich die Bewegungen zwei, drei Tage vorher stark beschleunigen. Seit dem 17. Oktober 2019 haben wir ein neues System, das jede Stunde Daten sendet. Wir sehen die Bewegungen ganz genau. Interessant ist, dass sich der Hochvogel nach starken Niederschlägen zwei, drei Tage lang deutlich mehr bewegt. In dieser Zeit brechen auch viele Felsbrocken ab. Die Auslösung des Felssturzes könnte also auch durch eine Woche mit starken Niederschlägen oder durch ein leichtes Erdbeben passieren.  

Wie tief ist der Hauptriss im Hochvogel?  

Von oben sieht man zehn, teilweise 20 Meter in die Tiefe. Eigentlich ist der Spalt aber 50 bis 60 Meter tief. Das sieht man beim Blick in die Spalten nicht, weil uns lose Felsbrocken die Sicht versperren. Das, was den Fels derzeit noch zusammenhält, ist das Gestein in dieser Tiefe. Das zeigt uns die Seismik. Immer wenn der Fels in dieser Tiefe an einer Stelle bricht, gibt es ein Geräusch ab. Die Geophone zeichnen diese Schwingungen auf und wir hören ein Knacken im Berg.  

Der Hochvogel ist kein massiver Fels, sondern besteht aus unendlich vielen einzelnen Schichten. Bricht er deshalb?  

Der Hochvogel ist gerade deshalb so schön, weil er wie ein Matterhorn aussieht. Aber dadurch muss er viele Spannungen aushalten. Das ist sehr anstrengend für den Berg, vor allem im steilen Gipfel.

Was passiert nach dem Felssturz? Wird der verbleibende Gipfel instabil sein?

Was nach dem Felssturz stehen bleibt, hat noch mehr Spannung als jetzt. Denn wenn die gesamte Masse heruntergestürzt ist, fehlt für die andere Seite das Widerlager. Dann kann es sein, dass durch die Spannung neue Risse und Spalten entstehen. Wie sicher der Gipfel dann noch ist, müssen wir dann sehen. Aber wer den Hochvogel noch so erleben will, wie er bisher aussieht, sollte bald hochgehen.    

Es gilt als sicher, dass die Felsbrocken ins unbesiedelte Weittal auf der Südwestseite fallen. Doch dort gibt es einen Bach. Wie hoch ist die Gefahr für Murgänge, also Geröll- und Schlammlawinen?

Nach unseren Berechnungen könnten Murgänge im schlimmsten Fall, also wenn alle Teile auf einmal abbrechen, die Straße von Hinterhornbach treffen, aber keine Gebäude. Man muss schon genau schauen, was in den Jahren danach passieren kann. Das Hornbachtal könnte eine Zeitlang unpassierbar sein, vielleicht aber auch nur nach starken Niederschlägen.

Die Warnung vor Felsstürzen fällt eigentlich nicht in den Aufgabenbereich einer Universität. Warum ist der Hochvogel für Sie so interessant?  

Weil wir uns keinen Ort vorstellen können, der besser geeignet wäre, um herauszufinden, wie zuverlässig Frühwarnsysteme sind. Der Hochvogel ist das ideale Beispiel. Wir haben die ganze Bandbreite: Der drohende Felssturz ist von der Größe und der Zugänglichkeit her interessant, außerdem haben wir die ganze Kette mit möglichen Murgängen. Am Hochvogel können wir alles lernen. Wir versuchen, herauszufinden, wie man so etwas vorhersagen kann. Denn an vielen Punkten in den Bergen drohen schon neue Gefahren.
Wir untersuchen am Hochvogel auch, wie sich Wetter, Blitzeinschläge oder Ausfälle auf die Messungen auswirken. Von solchen Informationen wird essentiell abhängen, wie viele Berge man zukünftig in den Alpen offen lassen kann. Und wenn wir das jetzt verschlafen, bekommen wir nicht so schnell wieder die Chance. Die gibt es höchstens einmal in zehn Jahren.  

Wo ist die Gefahr von Felsstürzen denn besonders hoch?

Generell im Bereich des Permafrost, das ist in den Alpen alles über 2800 Meter. Es geht um große Bereiche in den Österreicher, Schweizer und französischen Alpen.
Michael Krautblatter leitet das Forschungsprojekt am Hochvogel. Foto: TUM
Michael Krautblatter leitet das Forschungsprojekt am Hochvogel. Foto: TUM
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Eine Nacht am Hochvogel

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Der Hochvogel ist Gegenstand eines der berühmtesten Texte in der Alpin-Literatur. Hermann Freiherr von Barth-Harmating  (1845 - 1876) widmete ihm eine ausführliche Beschreibung mit dem Titel "Eine Nacht am Hochvogel", die in der Sammlung "Aus den Nördlichen Kalkalpen" (1874) nachzulesen ist. Darin beschreibt er den Hochvogel mit begeisterten Worten:  

"Oft schon hatte ich von beherrschender Gipfelhöhe Sie erblickt, die unvergleichlich großartige Pyramide, mit ihrem schlanken Haupte, ihren regelmäßig gebauten Schultern, den Namen rechtfertigend, den Sie seit alten Zeiten führt; taucht Sie empor vor dem Wanderer inmitten des Kreises ihrer Felsentrabanten, so luftig klar, so kühn in den Himmel hineinstrebend, wohl möchte man besorgen, daß im nächsten Augenblicke der Riesenvogel seine Fittiche entfalten und sich aufschwingen werde in den blauen Äther.

Und nur auf den freien Höhen der Berge wird der Besucher der Allgäuer Alpen dieses Anblickes gewürdigt; hartnäckig entzieht dieses ihr erhabenstes Bild sich den Augen des bequemen, an die Talstraße sich haltenden Touristen."

Barth, der ein ambitionierter und stolzer Bergsteiger war, erklomm den Gipfel - sogar zweimal. Und er wusste bereits vor dem ersten Aufstieg, dass ihn dort oben ein Riss im Gestein erwarten würde. Schon damals war der Hochvogel dafür in der Bevölkerung bekannt. 

...Ich konnte es kaum erwarten, dem vielgenannten Gipfel nahe zu kommen, von dessen gefährlichen Absonderlichkeiten die Leute draußen so viel zu erzählen wußten. Die Scharte "Am Balken", wo man auf die Schwarzwasserseite übertreten sollte, ein Weg, der mir in der pythischen Ausdrucksweise beschrieben worden war, "man muß ihn eben genau kennen" – das Eisfeld, über welches man Stufen hauen müsse (ich glaubte es zwar nicht, hatte aber vorsichtshalber doch eine Hacke bei mir)
die Kluft, welche das Felsenmassiv des Gipfels mitten durchreiße und welche nur an einer einzigen Stelle durch einen gewagten Sprung übersetzt werden könne,
- das waren lauter Dinge, die meine Neugierde in hohem Grade anregten und mit ungewohnter Hast meine Schritte vorwärtstrieben.






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Tour auf den Hochvogel

Um den Riss im Hochvogel zu betrachten, gehen Tobias Ibele und Andrea Pauly gemeinsam auf eine Tour zum Gipfel und um den Berg herum: drei Etappen, 2800 Höhenmeter hinauf und wieder hinunter. Die Drei-Tages-Tour bezeichnet Ibele als "konditionell eher anspruchsvoll". 

Doch bei dieser Bergwanderung geht es nicht allein darum, den Gipfel sicher zu erreichen, über Felsstufen und schmale Pfade den Weg nach oben zu finden. 

Das Besondere an der Tour ist, dass niemand weiß, wie lange es noch möglich sein wird, den Gipfel so zu erleben und dort oben zu stehen.

Wenn die Spitze des Hochvogels zerbrochen ist, wird dieser Berg anders sein. Das Weittal, das auf dem Weg der beiden liegt, ist dann möglicherweise nicht mehr zugänglich. Und die charakteristische Form des Hochvogels wird Vergangenheit sein. 





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Weil der kürzeste Weg zum Gipfel - der Bäumenheimer Weg ab Hinterhornbach auf der österreichischen Seite - gesperrt ist, geht es von der Nordseite aus zum Hochvogel.

Ein Pendelbus fährt von Hinterstein (865 Meter NN) bei Bad Hindelang zum zehn Kilometer entfernten Giebelhaus. Von dort führt ein Teerweg eine Dreiviertelstunde lang leicht bergan, dann erst beginnt der eigentliche Zustieg zum ersten Etappenziel, der Prinz-Luitpold-Hütte auf 1846 Metern.


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Zwei Wege führen vom Prinz-Luitpold-Haus zum Hochvogel: die westliche Route im Schatten des Wiedemerkopfes, die östliche Route durch die Balkenscharte und den Kalten Winkel.
Auch von Hinterhornbach aus über die Schwabegghütte und den Fuchsensattel ist der Weg auf den Gipfel nach wie vor möglich.

Deshalb hätten sich auch die Übernachtungszahlen nicht spürbar verändert, sagt  Hüttenwirt Christoph Erd. Und auch einen "Tourismus" zum Riss gebe es nicht, sagt er mit Blick auf die Zahlen aus den Vorjahren. 
 
Er sieht den drohenden Felssturz mit Gelassenheit - auf den Hüttenbetrieb werde er sich nicht groß auswirken, schon allein, weil viele seiner Gäste auf anderen Routen unterwegs sind - und der Weg auf den Hochvogel ja nach wie vor möglich ist.

"Wir sind nur gespannt, ob es passiert, wenn wir heroben sind", sagt Christoph Erd.

Einzelne, kleinere Felsstürze haben sich auch im Sommer 2019 schon ereignet - sie waren auch im Prinz-Luitpold-Haus zu hören.  
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Von der Prinz-Luitpold-Hütte führt die Tour am nächsten Morgen über das frisch verschneite Kar auf der westlichen Route unterhalb der Kreuzspitze hinauf zum Hochvogel-Gipfel (2592).

Die Route ist nichts für Unerfahrene.

Es liegt Neuschnee. Einige Stellen sind mit Stahlseilen versichert, am Übergang von der Schulter zum eigentlichen Hochvogel-Gipfel erinnern Trittstufen im Fels und Griffe an einen Klettersteig. Die letzten 100 Höhenmeter erfordern Koordination und Trittsicherheit.

Schon kurz vor dem Gipfel zeigt sich, dass der Berg nicht so einsam und unbeobachtet ist wie andere: Neben dem Aufstieg zum Gipfelkreuz ist ein Koffer mit Messgeräten an den Berg gegurtet.  
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Still ist es auf dem Hochvogel. Nur der Wind pfeift. Wolken ziehen vorbei, geben immer wieder den Blick auf ein grandioses Alpenpanorama frei. Das Gipfelkreuz scheint unerschütterlich zu stehen.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Der obere Teil des Berges ist stetig in Bewegung.

Davon zeugen zahlreiche Kabel, Messgeräte und Technikkoffer, die am Fels befestigt sind. Solarpanels sorgen für Strom, rote Farbe markiert Messpunkte, Schilder weisen auf Lebensgefahr hin, Plaketten informieren über die Untersuchungen der Technischen Universität München.

Vom großen Hauptspalt ausgehend zweigen weitere Risse ab und zerteilen den Berg.
Geologe Tobias Ibele nimmt einen losen Stein und lässt ihn in ein kleines Loch fallen. Bis er den Aufschlag hört, zählt er mehrere Sekunden. "60 Meter tief", rechnet er nach. Das passt zu den Messungen seiner Münchner Kollegen.

Tief unten im Berg liegt an den Schicht- oder Kluftflächen Fels auf Fels. Die Schwerkraft zieht die talseitige Felsmasse nach unten, die nur in wenigen Bereichen mit der bergseitigen Felsmasse verbunden ist. Auf diesen Verbindungen herrschen große Spannungen. Brechen sie, stürzen die Felsmassen zu Tal.

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Nach dem Eindruck vom Gipfel geht es hinab ins Tal - dorthin, wo die Menschen leben, die von dem Trubel um den möglichen Felssturz in den vergangenen Jahren am meisten mitbekommen haben.

Der Weg führt auf der Ostseite des Hochvogels über den "Kalten Winkel". Dort liegt oft das ganze Jahr hindurch Schnee. Der Hang ist steil, die Füße rutschen durch weichen Neuschnee  auf dem darunter liegenden gefrorenen Altschnee. Nachdem  das Schneefeld durchquert ist, führt der Pfad durchs Geröll erst bergab, dann wieder bergauf durch das Fuchskar. 

Über den Fuchsensattel (2039 m) geht es in einem Bogen zurück auf die Südost-Seite des Hochvogels und von nun an immer bergab an der Schwabegghütte vorbei (1699 m) in Serpentinen nach Hinterhornbach (1101 m), dem Ziel der zweiten Etappe
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Das Dörfchen Hinterhornbach liegt direkt am Fuße des Berges. Doch die Einwohner und Gäste blicken ohne Sorge zum brüchigen Gipfel. Es gilt als sicher, dass das Dorf beim Felssturz ausschließlich Staub abbekommen wird. Gefahr besteht nicht. 

Ebenso wie im Prinz-Luitpold-Haus hat sich auch dort nicht viel geändert - lediglich die Tagesausflügler seien weniger geworden, seit der Bäumenheimer Weg gesperrt ist, sagt Gastwirtin Petra Lechleitner. 
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Die dritte Etappe führt am südlichen Fuß des Hochvogels durch das Hornbachtal. An dessen Ende geht es über Grasflanken und über Felsstufen hinauf zum Hornbachjoch (2020 m, im Bild). 

Ein schmaler Pfad schlängelt sich westlich des Hochvogels am teilweise steilen Berghang entlang, immer im Schatten des Großen Wilden und mit Blick auf den berühmten Grasberg Höfats. An der Wildenfeldhütte ist der tiefste Punkt erreicht. Von dort geht es wieder hinauf zum Himmeleck (2145 m).

Von diesem Bergrücken aus führen zahllose Serpentinen immer bergab zurück zum Ausgangspunkt am Giebelhaus.

Neun Stunden dauert es, den Berg von Süd nach Nord zu umrunden.


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Der Weg auf der Südseite des Hochvogels führt am Ausgang des Weittals vorbei.

Sollte der Gipfel wie erwartet in mehrere Teile brechen und diese ins Tal stürzen, werden sie dorthin fallen. Dort ist bisher der Großteil der Blockstürze gelandet.

Der unbesiedelte Taleinschnitt hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter mit Geröll und Gestein gefüllt. Was vom Berg fällt und mitgerissen wird, kommt dort zum Liegen. 

Sollte es beim Felssturz zu einer Lawine aus Geröll und Schlamm, einem so genannten Murgang,  kommen, wird dieser Ort der gefährlichste sein. 
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Mit einem Geologen am Gipfel

Der im Ravensburger Land aufgewachsene Tobias Ibele war als Student zuletzt auf dem Hochvogel, damals bei Schnee und Eis im Januar. 

Mittlerweile lebt und arbeitet Ibele als selbstständiger Geologe in der Schweiz. Seit die Entwicklung am Hochvogel 2014 bekannt wurde, hat er sie interessiert verfolgt.

Als er selbst wieder auf dem gespaltenen Berg steht, zeigt er sich beeindruckt von der massiven Veränderung: „Mit dem Riss von damals hat das nichts mehr zu tun."



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Der Hochvogel besteht aus Hauptdolomit. Aus der Nähe ist deutlich zu sehen, dass der Fels keine kompakte Masse, sondern voller Risse und Spalten ist.
Der ganze Berg ist buchstäblich zerklüftet: "Überall gibt es Schichten mit Fugen dazwischen und Klüfte, die von Schichtfuge zu Schichtfuge das Gestein zerteilen", erläutert Tobias Ibele.

Das tonnenschwere Gewicht des Gesteins lässt die Schichten stabil aufeinander und aneinander ruhen – undurchdringlich sind sie aber nicht: An verschiedenen Stellen läuft an Klüften und Spalten Wasser aus dem Berg. 
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Wo heute die Alpen sind, war einst ein Meer. Dort lagerte sich vor 200 Millionen Jahren eine Sedimentschicht nach der anderen ab. Durch die Bewegung der Kontinentalplatten wurden die Schichten zusammen- und übereinander geschoben. So entstanden vor 65 Millionen Jahren die Vorgänger der heutigen Alpen.

Doch die einzelnen Berge sind nicht in die Höhe gewachsen – sie sind das, was seither den Umwelteinflüssen standgehalten hat. "Die Atmosphäre wirkt auf die durch Einengung verdickte Erdkruste wie ein Hobel", erklärt Tobias Ibele. Wo heute Täler sind, haben Wind, Wasser und Schwerkraft die Gesteinsschichten nach und nach abgetragen. Dazwischen blieben die Berge als Reste zurück.

"Man muss sich das vorstellen wie bei einem Steinmetz. Die Gestaltung der Gipfel geschieht nicht durch Modellieren, sondern durch Wegnehmen", sagt Tobias Ibele. 

Manchmal kommt es dabei zu skurrilen Formationen - wie im Bild der "Balken", ein einzelnes Felstürmchen, das in der Balkenscharte der Erosion Widerstand geleistet hat. 
Wer den Hochvogel über die Balkenscharte besteigen will, kommt an ihm vorbei.
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Geologe Dr. Tobias Ibele erklärt im Video, warum es gerade am Hochvogel zu Felsstürzen kommt.

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Die Definition der verschiedenen Abbrüche von Fels ist abhängig vom Volumen und Geschwindigkeit: 

  • Steinschlag: Davon ist die Rede, wenn sich einzelne, kleinere bis größere Steine lösen und herabfallen oder -rollen. 
  • Blocksturz: Wer in den Bergen unterwegs ist, sieht oft vereinzelt liegende, mehrere Kubikmeter große Felsblöcke am Ende von Rinnen oder auf Flächen. Sie haben sich aus Felswänden gelöst und sind mit Geschwindigkeiten von bis zu 110 Stundenkilometern herabgerollt, gefallen oder gesprungen.
  • Felssturz: Der Abbruch eines großen Gesteinspaketes - wie am Hochvogel zu erwarten - ist als Felssturz definiert. Dabei geht es um Massen von mehreren Hunderttausenden Kubikmetern, die mit einer Geschwindigkeit von 35 bis 145 Kilometer pro Stunde in die Tiefe stürzen.
  • Bergsturz: Wenn sich mehr als eine Million Kubikmeter Gestein vom Bergmassiv lösen, ist die Rede von einem Bergsturz.
  • Murgang: Dabei handelt es sich um eine Lawine aus Schlamm und Geröll. Sie entsteht, wenn sich der Untergrund durch zu viel Wasser löst und das Gemisch aus Geröll und Wasser mit Geschwindigkeiten von bis zu 60 Stundenkilometer bergab rauscht. Weil ein Murgang große Mengen an Geröll und Gestein transportieren kann, hat er Potenzial für große Zerstörung.
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Der Klimawandel wirkt sich auch auf die Berge aus. Die Gletscher schmelzen, aber auch Permafrost - Eis, das in Hochlagen ganzjährig in Gesteinsspalten und im Boden gefroren ist und diese zusammenhält - taut. Dadurch werden ganze Bergflanken instabil.

Aber spielt Permafrost auch eine Rolle bei der Veränderung am Hochvogel?  

"In den Alpen beginnt Permafrost oberhalb 2500 bis 2800 Meter Höhe – je nach Exposition - als Faustregel überall dort, wo es Gletscher gibt", sagt Geologe Tobias Ibele.

Am Hochvogel gibt es zwar im "Kalten Winkel" auch im Spätsommer noch zu Eis umgewandelten Altschnee. "Aber eigentlich befinden wir uns hier nicht im Permafrost-Gebiet." 

Dass sich die Risse im Hochvogel-Gipfel erweitern und Felsmassen abzustürzen drohen, hat laut Ibele vor allem mit den extremen Wetterbedingungen der Hochlagen zu tun. "Starke Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht, Sommer und Winter sowie eindringendes Wasser schwächen auf die Dauer exponierten Fels, so dass es irgendwann zu Abbrüchen kommt", sagt der Geologe. "Ob sie als Steinschlag, Felssturz oder Bergsturz niedergehen, ist eher eine Frage der Größe."



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Tobias Ibele betrachtet die Veränderung zum Teil aus geologischer, zum Teil aus philosophischer Sicht.
"Wir erleben den Gestaltungsprozess, wie sich die Berge verändern", sagt er. 
Dass die Menschheit aktuell dabei zuschauen kann, wie sich ein markanter Gipfel der Alpen möglicherweise deutlich verändert, sei auch ein Privileg. "Wir könnten die letzte Generation sein, die den Berg noch erleben kann, wie er auf Fotos, Bildern und Karten zu sehen ist. Das könnte in kurzer Zeit schon Geschichte sein."

Das führt zu weiteren Fragen:

"Wie alt ist der Berg? Ist er erst der Hochvogel, seit er die drei Zacken hat, die ihn wie einen Vogel aussehen lassen? Und ist er nicht mehr der Hochvogel, wenn sein Gipfel sich verändert hat?"

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Texte, Fotos, Videos und Umsetzung:
Andrea Pauly

Grafik:
David Weinert

Verantwortlich:
Chefredakteur Dr. Hendrik Groth
Schwäbische Zeitung
Karlstraße 16
88212 Ravensburg 

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