Eine Trasse, die nie gebaut wurde
Die Bodensee-AutobahnDie Geschichte einer Trasse, die nie gebaut wurde - und die B31-Fahrer so sehr entlasten würde
Sie war als Teilstück der geplanten A98 vom badischen Lörrach bis zum oberbayerischen Irschenberg gedacht, die zugleich das Verbindungsstück zur geplanten bayerischen Voralpen-Autobahn sein sollte. Für viele Autofahrer, die auf der B31 [hier im Video] zwischen Stockach und Lindau regelmäßig im Stau stehen, bleibt die nie gebaute Autobahn ein Reizthema.
Ein multimedialer Rückblick auf eines der umstrittensten Bauprojekte am Bodensee von Simon Siman und Andrea Pauly
Chronik, Teil I
Wie alles begann
Wie alles begann
1960: Das Regierungspräsidium Südbaden soll eine Verbindungsstraße zwischen dem Raum Freiburg/Basel und Bodensee prüfen. Ein Gutachter schlägt zwei Trassenführungen vor: Die nördliche Variante führt von Stockach an Winterspüren vorbei durch das Billafinger Tal und umgeht Salem im Norden Richtung Bermatingen. Markdorf soll im Süden umfahren werden.
Die seenahe Variante sollte durch das Nesselwanger Tal führen, nördlich des Neuweihers entlang, und den Tülfinger Wald südlich zwischen Mühlhofen und Oberuhldingen umgehen. Anschließend sollte die Trasse südlich von Grasbeuren und Ahausen verlaufen.
1964: Die Gutachter empfehlen den südlichen Trassen-Verlauf, um die bestehende B31 am Ufer zu entlasten. Im Konzept ist vorgesehen, dass die Schnellstraße vom Schwarzwald bis zum Bodensee bereits bis 1972 befahren werden soll.
1965: Die Gesamtstrecke wird in den Generalverkehrsplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen.
1970: Im Ausbauplan für die Bundesfernstraßen taucht die Bodensee-Autobahn erstmals unter dem Namen A22 (später A98) auf. Die Abschnitte der Bodensee-Autobahn werden mit unterschiedlicher Wichtigkeit eingestuft. Die Teilstrecke zwischen Singen und Überlingen bekommt die höchste Dringlichkeitsstufe. Zwischen Überlingen und Esseratsweiler dagegen kann aus Sicht der Planer erst später mit dem Straßenbau begonnen werden.
1975: In der Fortschreibung des Bedarfsplans werden die Prioritäten für den Bau der Bodensee-Autobahn als Teil der A98 neu definiert und abgestuft. Konkret heißt das: Für die ausufernden Planungen der 1960er Jahre ist kein Geld da. Die Regierung entscheidet, 30 bis 40 Prozent der geplanten neuen Autobahn wieder zu streichen.
Dafür oder dagegen?
Der Politiker Rudolf Bindig kämpfte gegen die A98
„Der Autobahnmörder“
Der Sozialdemokrat musste er sich damals entscheiden: pro A98 oder pro Umgehungsstraße für die B31? Er entschied sich gegen die Bodensee-Autobahn. Das führte zu teils heftigen Reaktionen.
Klicken oder tippen Sie auf den Play-Button, um seine Erinnerung zu hören.
Eine Entscheidung mit Folgen
Rudolf Bindig erinnert sich im Video an die Reaktionen der Menschen auf seinen Widerstand gegen die A98 und erklärt, warum er damals die Entscheidung traf.
Chronik, Teil II
Der Anfang vom Ende
Der Anfang vom Ende
1978: Die Gemeinde Überlingen stimmt im Bürgerentscheid mit 70 Prozent (5033 Stimmen) gegen eine seenahe Autobahn.
1979: Befürworter der Bodensee-Autobahn, darunter 19 von 23 Gemeinden des Bodenseekreises, gründen die „Aktionsgemeinschaft A98“. Gleichzeitig organisieren sich die Gegner der Autobahn in mehreren Bürgerinitiativen entlang des Nordufers.
1980: Der Streit in der Region ist der Regierung in Bonn nicht verborgen geblieben. Und so bedient sie sich eines Kniffs: Sie nimmt die Bodensee-Autobahn als „nicht entscheidungsreif“ aus dem Bedarfsplan. Stattdessen soll die B31 am Bodenseeufer neue Umgehungen enthalten und ausgebaut werden.
1985: Der Ministerrat entscheidet sich gegen die Bodensee-Autobahn. Eine zusätzliche Bundesstraße zwischen Stockach und Lindau zur B31 bei Eriskirch ist ihm wichtiger. Das ist auch der Standpunkt des Innenministeriums. Die Voralpenautobahn in Bayern ist zu diesem Zeitpunkt schon aufgegeben. Die Bedeutung der Bodensee-Autobahn als Lückenschluss zwischen Ost und West fällt damit weg.
Die A98 spielt seither im Bedarfsplan für den Bundesverkehrswegeplan keine Rolle mehr.
Entwurf und Beschluss
Nach fünf Jahren ist die Autobahn gar nicht mehr im Bedarfsplan eingezeichnet. Stattdessen sollen schnellstmöglich Umgehungen an der B31 gebaut werden, im späteren Plan markiert durch die roten Bögen an der B31.
Der Visionär
Martin Mahle hat eine Idee
Martin Mahle hat eine Idee
Seine Forderung: Eine unterirdische Autobahn von Lindau bis Stockach. Simon Siman hat mit ihm gesprochen.
Warum hat Sie das Thema Bodensee-Autobahn so umgetrieben, dass Sie ihr eine verkehrspolitische Denkschrift gewidmet haben?
Mahle: Ich bin gebürtiger Lindauer und habe dort bis zu meinem 25. Lebensjahr gelebt. Meine Schwiegermutter lebt in Langenargen. Ich kenne die Verkehrssituation seit meiner frühen Kindheit und weiß um die katastrophalen Verhältnisse auf den Straßen in der Region – nicht nur für Autofahrer, sondern auch für die Radler, die an der Bundesstraße entlangfahren. Die gesamte Verkehrssituation entlang des Bodensees ist katastrophal. Die Projekte, die dort angegangen werden, sind nur Kleinkram und helfen alle nicht. Alleine der Stau zu den Messe-Zeiten ist unerträglich.
Warum sind die Hürden in der Region für einen Autobahn-Bau so hoch?
Mahle: Wir sprechen ja nur von dem Teilstück von Lindau nach Stockach. Ende der 1960er Jahre war der Bedarf von der Verkehrssituation her offenbar nicht so groß wie heute. Mit der Zeit wurde das Thema dann durch alle Fachkongresse und politischen Diskussionen hindurch zerredet. Dann ist die Zersiedelung der Landschaft enorm stark fortgeschritten. Um eine oberirdische Autobahn zu bauen, müsste man heute Enteignungsmaßnahmen durchführen. Das ist alles unmöglich. Für mich ist es mittlerweile undenkbar, dass eine oberirdische Autobahn gebaut wird.
Gibt es denn eine Alternative?
Mahle: Die bestehende Alternative ist die B31, über die man oft nur sehr zähflüssig von Lindau nach Stockach kommt. In der Mitte der Strecke, bei Friedrichshafen, führt der Weg durch die Stadt. Für mich wäre die einzig denkbare Lösung eine unterirdische Autobahn, für die ich im Buch auch argumentiere.
Wie soll das aussehen?
Mahle: Nördlich von Lindau müsste man sich durchgraben bis Stockach. Das Gestein und die Geologie lassen dies problemlos zu. An manchen Stellen müsste aufgrund der Gewässer sicherlich 20 bis 30 Meter tiefer gebohrt werden, aber das ist technisch alles möglich. Die Schweizer haben den Gotthard-Tunnel gebohrt. Die Österreicher sind noch am Brennertunnel dran. Es gibt viele real existierende Beispiele für gelungenen Tunnelbau. Ich habe die Kosten dafür auf etwa vier Milliarden Euro geschätzt und mich dabei an Referenzwerten ähnlicher Bauprojekte orientiert.
Glauben Sie, dass das Projekt aufgegriffen wird?
Mahle: Ich habe keine Hoffnung, dass noch mal etwas gebaut wird. Der Projekt-Umfang ist zu teuer. Man braucht Zuschüsse von Bund und Land und die verantwortlichen Politiker haben offenbar kein Interesse mehr an dem Projekt - oder zu viel Angst. Im Bundesverkehrswegeplan spielt die Bodensee-Autobahn seit Jahren keine Rolle mehr. Von Freiburg bis Singen wird ein autobahnähnliches Teilstück in der Planung erwähnt, aber mehr auch nicht. Der Abschnitt der Bodensee-Autobahn bleibt das größte Sorgenkind.
Martin Mahle: Das Phantom – die Bodensee-Autobahn: Eine verkehrspolitische Denkschrift, 2016, ISBN: 978-53762-025-1
Gescheiterte Projekte
In guter GesellschaftWeitere unvollendete Autobahnprojekte in der Region
Die Luftaufnahme zeigt das Autobahndreieck Neu-Ulm: das einzige Autobahndreieck Deutschlands ohne Autobahnen. Denn anders als bei der Bodenseeautobahn fielen andernorts auch Bauprojekte dem Rotstift zum Opfer, die schon deutlich weiter fortgeschritten waren.
Hier erfahren Sie mehr darüber.
Kult
Die Wiederkehr des Kult-Stickers
Doch für seinen Oldtimer-begeisterten Bruder und dessen Sammlung alter Busse und VW-Käfer wollte er den berühmt-berüchtigten Auto-Aufkleber wieder aufleben lassen.
Für die ganze Geschichte zum Kultsticker klicken Sie hier.
Impressum
Impressum
Andrea Pauly und Simon Siman
Fotos:
Andrea Pauly
Martin Mahle
Roland Rasemann
dpa
privat
Videos:
Andrea Pauly
Karten:
Rudolf Bindig
Verantwortlich:
Yannick Dillinger
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