Die Fleischwölfe
Die FleischwölfeDie Nationalmannschaft der Metzger
Handwerk
„Für unser ehrenwertes Handwerk der Metzger!“ Wenn ein Dutzend Menschen –
die meisten davon Metzgermeister wie aus dem Bilderbuch – diesen
Schlachtruf aus voller Brust in den gekachelten Raum des
Bildungszentrums des Fleischerhandwerks brüllen, dann wackelt die Luft.
Im wahrsten Sinne des Wortes bis die Schwarte kracht, weil jede Menge
Schwein auf den Tischen verteilt liegt. Handelt es sich bei diesen
Männern und der einzelnen Frau doch um die offizielle Deutsche
Nationalmannschaft, die im März zur Metzgerweltmeisterschaft in die
nordirische Hauptstadt Belfast fährt.
Die Fleisch-Hochleistungssportler
Und wie bei jeder ernsthaften Disziplin geht es auch bei den Metzgern nicht ohne: üben, üben, üben.
An diesem Tag in Augsburg probt die Mannschaft
zum ersten Mal komplett unter Wettkampfbedingungen. Später in Belfast gilt‘s
dann: Die sechs Fleisch-Hochleistungssportler müssen ein halbes Rind, ein
halbes Schwein, ein Lamm und fünf Hähnchen innerhalb von drei Stunden und
fünfzehn Minuten in 100 Spezialitäten verwandeln. Küchenfertig und natürlich
auch appetitlich fürs Auge angerichtet.
Werner Braun
Werner Braun, der stellvertretende bayerische
Landesinnungsmeister, führt voller Stolz durch die Reihen der mit Fleisch
beschäftigten Spitzenathleten. Er ist so eine Art Teamchef, ein Beckenbauer der
Fleischermotivation. „Die Juroren in Belfast bewerten die Arbeitsweise, die
Sauberkeit, die Wertschöpfung und die Zeit“, erklärt der stämmige Mann in Weiß.
Darüber hinaus können sich die Teilnehmer in Einzelwertungen hervortun – zum
Beispiel in der Disziplin „Auslösen“.
Michael Moser
Mit heiligem Ernst ist Metzgermeister Michael Moser (Bild) aus
Landsberg am Lech gerade dabei, eine Schweinehälfte mit kurzen, präzisen und
ansatzlosen Schnitten grob zu zerlegen. Wer ihn fragt, warum die gestandenen Meister bei diesem
ganzen aufwändigen Brimborium mitmachen, erzählt er eine Geschichte: „Ich
erinnere mich, wie ein Metzgerkollege und ich vor ein paar Jahren zum
Oktoberfest gegangen sind.“ Mehr aus Spaß und um die Mädels ein bisschen zu
ärgern, hätten sie von sich behauptet, sie seien von Beruf Leichenbestatter.
„Und da hat eine gesagt: ,Wenigstens keine Metzger!‘“ Damit ist die ganze
Misere des Berufstands, das „Blut-, Schweiß- und Tränenimage“ mit einer kurzen
Formel auf den Punkt gebracht. Das Fleischerhandwerk hat ein ernstes Problem in
der öffentlichen Wahrnehmung, gegen das die „Fleischwölfe“ mit aller Macht ankämpfen wollen.
Matthias Endraß
„Wenn wir nichts machen, dann gibt’s uns in zehn Jahren nicht
mehr. So einfach ist das“, sagt Matthias Endraß (rechts im Bild) aus Bad Hindelang im Allgäu,
während er mit geschickten Bewegungen Fleisch auslöst. Der Fleischermeister
ärgert sich: „Wenn’s mit dem Arbeiten auf dem Bau nicht klappt, dann kann man’s
ja als Metzger probieren. Da müsse man ja nichts können“, spöttelt er. Mit
dieser Denke kämen die Bewerber, wenn’s denn überhaupt welche gibt, daher.
„Dabei wissen die Leut’
gar nicht, was das für ein geiler Job ist.“ Im Beruf
des modernen Metzgers seien ein Haufen andere enthalten: Koch,
Veranstaltungsmanager, Verkäufer oder Grillmeister.
Philipp Sontag
Mit einem mächtigen Donnern lässt Philipp Sontag (rechts im Bild) von der
gleichnamigen Metzgerei in Kißlegg ein halbes Rind auf die Arbeitsfläche
rauschen. Der Geruch von Fleisch hängt in der Luft. Der mächtige Kerl mit dem
roten Bart freut sich, wenn ihn jemanden einen Verrückten nennt. „Wir brauchen
viel mehr Verrückte, um etwas zu bewegen.“ Auf dem Rücken seines weißen
Gewandes steht „Herr der Rinder“. Es sei eine Schande, wie das Handwerk in der
Vergangenheit abgewirtschaftet habe. Je weniger traditionelle Handwerksmetzger,
umso mehr anonyme Fleischfabriken. „Und eine Aufzucht mit fragwürdigen
Tierschutzbedingungen“, sagt Sontag, in dessen mächtigen Händen die
Rinderhälfte viel kleiner wirkt als sie tatsächlich ist.
Philipp Sontag erklärt, was er zu tun hat
Dirk Freiberger
Auf die Idee mit der WM Teilnahme sind die Metzger gekommen,
als sie sich in Augsburg zu einer Weiterbildung zum Fleisch-Sommelier getroffen
haben. Dirk Freyberger (Bildmitte) aus Nürnberg hat die Initiative ergriffen, und die
Mannschaft zusammengestellt. Auch so ein Verrückter: „Die Tradition der
Deutschen Metzger ist das Nonplusultra“, antwortet er auf die Frage, welche
Chancen die Nationalmannschaft im Belfast habe. Bei der letzten WM im Jahr 2016
haben die Franzosen gewonnen. „Die sind in der Ausbildung ähnlich strukturiert
wie wir in Deutschland.“ Die Fleischer gehörten zu den ältesten Handwerken
überhaupt. „Wir wollen den Stolz zurück ins Handwerk bringen!“
Carmen Walcher
An dieser Mission arbeitet auch die einzige Frau in der
Mannschaft: Carmen Walcher (rechts) aus Babenhausen. Sie hat als
Fleischereifachverkäuferin die Liebe zum „ungeheuer kreativen“ Beruf entdeckt.
Dann kam die Weiterbildung zur Fleisch-Sommelière, inzwischen ist sie
Fachlehrerin und bildet den Nachwuchs aus. Sie ist – ganz ihrer Statur
entsprechend – für die feineren Arbeiten zuständig. Für das Garnieren, das
Anrichten, das Präsentieren. Auf einer großen Tafel im hinteren Teil des Raumes
bestückt sie nach und nach die Platten mit den fertigen Spezialitäten:
verschiedene Variationen von gefüllten Braten. In die Luft ragende zarte
Hühnerbeine. Mächtige Steaks und gefüllte Brüstchen. Von den Würsten jedweder
Art ganz zu schweigen. Und immer wieder, wenn es gerade ein wenig zu ruhig in
dem Trainingsraum zu werden droht, brüllt einer den Schlachtruf: „Für unser
ehrenwertes Handwerk der Metzger!“
Carmen Walcher kümmert sich um die filigrane Arbeit
Sie wollen gewinnen
Natürlich wollen die Athleten gewinnen, sie wollen kämpfen.
So wie sie jeden Tag in ihren eigenen Betrieben kämpfen, gegen die
Billigfleischkonkurrenz, die ein Kilo Schweinefilet für unter zehn Euro
verschleudert. „Gestern hat unser Nachbar ein Rind zu Fuß bei uns angeliefert
zur Schlachtung“, sagt Matthias Endraß. Metzgerhandwerk sei – so paradox sich
das für Vegetarier anhören möge – Tierschutz. „Auch darum geht’s uns“, betont
Philipp Sontag aus Kißlegg. Zu wissen, dass es Lebewesen sind, die wir da
essen. Respekt haben. Dieses Leben zu würdigen und nicht zu verramschen. Und
wieder der Satz: „Je weniger Handwerksmetzger, umso mehr Fleischfabriken.“
Rockstars von morgen
Die letzte Stunde vor dem Ende des Trainings ist
angebrochen. Die Präsentationsfläche wird immer voller. Sven Tholius steht
derweil an der Gewürzwaage und schwärmt vom Zusammenhalt, der das gemeinsame
Projekt WM entfesselt habe. Der Hamburger ist das einzige Nordlicht in der
Mannschaft. Zuständig nicht nur für die richtige Würze, sondern auch für das
Marketing. Motivationstrainer im Brotberuf, spezialisiert auf die
Metzgerbranche, die es mehr als brauchen könne. Mit verschwörerischer Stimme
sagt er: „Die Metzger von heute sind die Rockstars von morgen.“ Was die Köche
mit ihrem Image-Wandel schon hinter sich hätten, käme jetzt bei den Metzgern.
Seine Idee war es, jeden einzelnen Teilnehmer professionell und dem jeweiligen
Typ entsprechend fotografieren zu lassen. Auch das Musikvideo, das die Truppe
abgedreht hat, geht auf seine Initiative zurück.
Internationaler Austausch
„Auf
den internationalen Austausch freue ich mich besonders“, sagt Philipp Sontag (zweiter von rechts) .
Am 20. und 22. März wird’s dann ernst: Der Wettkampf unter zwölf Nationen. Die
Mannschaft rechnet mit Kosten – alles in allem – von 50 000 bis 80 000 Euro. Zu
gewinnen gibt es zwar kein Geld, aber jede Menge Berufsehre. Und ein bisschen
Hoffnung, dass mit dem selbstbewussten Auftritt auch wieder mehr potenzieller
Nachwuchs einen Beruf ergreift, von dem die Metzger sagen, er sei einer der
kreativsten, verantwortungsvollsten und spannendsten überhaupt.
Es geht um die Wurst
World Butcher's Challenge
Michael Moser sagt: „Durch die Talsohle sind wir durch.
Unsere Aktionen zeigen erste Wirkung.“ Doch bis er diesen Satz sagen konnte,
hat ihn das viel Mühe gekostet. Viel Überzeugungsarbeit auf allen Kanälen –
gerade im Internet und auf den sozialen Netzwerken. „Inzwischen funktioniert
die Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Seine Lehrlinge machten allein dadurch Werbung
für den Job, in dem sie anderen davon erzählten.
Ob die „World Butcher‘s Challenge“, wie die WM
offiziell heißt, das traditionelle deutsche Fleischerhandwerk, so wie es vor 50
Jahren noch jedes kleine Dorf kannte, wird retten können, bleibt offen. Aber
sie wären nicht die Fleischwölfe, die jungen Wilden, wenn sie es nicht mit
aller Kraft versuchen würden.
Einschätzung
Die FleischwölfeImpressumDie Nationalmannschaft der Metzger
Text: Erich Nyffenegger
Fotos & Videos: Michael Scheyer
Chefredaktion
Yannick Dillinger
Kontakt
www.schwäbische.de
Karlstraße 16
88212 Ravensburg
Telefon: 0751 / 2955 5555
online@schwaebische.de
Fotos & Videos: Michael Scheyer
Chefredaktion
Yannick Dillinger
Kontakt
www.schwäbische.de
Karlstraße 16
88212 Ravensburg
Telefon: 0751 / 2955 5555
online@schwaebische.de
Feingeschnitten 01
Feingeschnitten 02
Feingeschnitten 03
Feingeschnitten 08
Feingeschnitten 04
Feingeschnitten 09
Feingeschnitten 05
Feingeschnitten 10
Feingeschnitten 14
Feingeschnitten 06
Feingeschnitten 11
Feingeschnitten 07
Feingeschnitten 12
Feingeschnitten 13
Scrollen, um weiterzulesen
Wischen, um weiterzulesen
Wischen, um Text einzublenden