Unser Handwerk
Unser Handwerk
Das Handwerk boomt
Kapitel 1 Wirtschaftsfaktor Handwerk: Selbstbewusst & gut im Geschäft Von Benjamin Wagener
Kapitel 1 Wirtschaftsfaktor Handwerk: Selbstbewusst & gut im Geschäft Von Benjamin Wagener
Ich mache das nur, weil ich mit dem Zimmerer auch bei großen Sachen zusammenarbeite“, gibt der Handwerker zu. „Da verdiene ich dann wesentlich mehr. Ich kann mir gerade die Projekte aussuchen – und so ein Reihenhaus fällt da bestimmt nicht drunter.“
Unmissverständliche Worte, die eine Entwicklung eindrucksvoll demonstrieren: Es läuft im Handwerk – in Deutschland, aber vor allem auch in Baden-Württemberg und Bayern. „Das erste Quartal 2017 war das erfolgreichste seit der deutschen Einheit“, erklärt Hans Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks (ZDH), im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Vor allem das Baugewerbe ist mehr als zufrieden mit der Konjunktur. Laut einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Konjunkturbericht des ZDH bezeichnen 92 Prozent der Betriebe ihre Geschäftslage als gut oder zumindest befriedigend.
Auch insgesamt, über alle Zweige des Handwerks hinweg, erreicht der Geschäftsklimaindex im ersten Quartal ein neues Allzeithoch. Knapp drei Viertel der Betriebe melden steigende Umsätze, 77 Prozent ausgelastete Kapazitäten.
Das deutsche Handwerk stabilisert mit diesen Zahlen die deutsche Wirtschaft: Schließlich sind fast 20 Prozent aller Unternehmen der Bundesrepublik Handwerksbetriebe, fast 15 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer sind bei Zimmerern und Elektrikern, Schreinern, Frisören oder Bäckern beschäftigt. Auch wenn die volkswirtschaftliche Bedeutung des Handwerks in den vergangenen zehn Jahren etwas gesunken ist: Zwischen 2008 und 2013 wuchs die gesamte Wirtschaft um 14,6 Prozent, während das Handwerk im selben Zeitraum nur um 7,6 Prozent zugelegt hat.
Der Schreiner
Kapitel 2 Betriebsgrößen im Wandel: Kleine Krauter und mittelständische Betriebe Von Marlene Gempp
Kapitel 2 Betriebsgrößen im Wandel: Kleine Krauter und mittelständische Betriebe Von Marlene Gempp
Jahrelang hat der Handwerker alle Aufträge alleine abgearbeitet, seit Oktober vergangenen Jahres arbeitet ein Geselle für ihn. „Jetzt ist es doch eine Erleichterung. Zum Beispiel beim Einbau einer Haustür. Alleine ging das schon auch, ich musste mir eben immer kreativ etwas ausdenken und Hilfsmittel benutzen“, sagt Benk. Den Vorteil in einem ganz kleinen Betrieb sieht der Schreiner in der Flexibilität, seinen Alltag selbst zu gestalten und darin, sein eigener Chef zu sein. „Das Unternehmen ist ganz individuell von mir geformt worden.“ Natürlich würde seine Arbeit aber auch durch die Aufträge der Kunden und zeitliche Beschränkungen gestaltet werden. Wenn er zum Beispiel in einer Schule etwas reparieren soll, geht das nur in den Ferien. Urlaub macht er dann später oder gar nicht: „Wer selbstständig ist, muss dazu bereit sein 14 bis 16 Stunden am Tag zu arbeiten.“
Doch Jürgen Benk ist ein sehr untypischer Soloselbstständiger im Handwerk. Denn als Schreiner hat er einen Meisterbrief. Viele seiner Kollegen in anderen Gewerken sind dagegen nach der Handwerksreform im Jahr 2004 in die Selbstständigkeit eingestiegen. Damals wurde die Meisterpflicht für viele Berufe aufgehoben. Das Ziel sei gewesen, mehr Betriebsgründungen und damit mehr Arbeitsplätze zu schaffen, erklärt Georg Hiltner, Geschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz: „Letztlich hat sich herausgestellt, dass es in vielen zulassungsfreien Gewerken zwar viele Neugründungen gab, etwa im Fliesenlegerhandwerk, dass diese Betriebe aber nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen haben.“ Ein Fliesenleger ohne Meisterbrief zum Beispiel dürfe keine Lehrlinge ausbilden. Dadurch sei der Nachwuchs zurückgegangen.
Interview mit ZDH-Vorsitzenden Hans Peter Wollseifer
Kapitel 3 ZDH-Präsident: „Kunden brauchen Geduld“ Von Benjamin Wagener
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Herr Wollseifer, wie läuft es beim deutschen Handwerk?
Das Handwerk ist hervorragend ins Jahr 2017 gestartet: Das erste Quartal 2017 war das erfolgreichste seit der deutschen Einheit. Beim Umsatz, der Geschäftslage und Beschäftigung und – was besonders erfreulich ist – auch bei den Investitionen liegen die Zahlen deutlich über den Ergebnissen der Vorjahre. Die Handwerksbetriebe beurteilen ihre aktuelle Geschäftslage besser als je zuvor in einem ersten Quartal. 90 Prozent unserer Betriebe sagen, ihnen geht es gut und sie sind zufrieden.
Wie wichtig ist das Handwerk für die deutsche Wirtschaft?
Das Handwerk ist Mittelstand par excellence. Abgesehen von der volkswirtschaftlichen Bedeutung übernehmen wir gesellschaftspolitische Verantwortung und sind der Dienstleister und Versorger der Nation. Als Handwerk sind wir in allen Bereichen des täglichen Lebens tätig und verortet, von A wie Augenoptiker bis Z wie Zweiradmechaniker. In allen Regionen sichern Handwerksbetriebe Ausbildung und Beschäftigung. So leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand Deutschlands, stabilisieren die Wirtschaft und fördern maßgeblich den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Geht es allen Branchen gut oder gibt es auch welche, die Probleme haben?
Besonders gut läuft es bei den Bau- und Ausbaugewerken, mittlerweile aber auch wieder im Kraftfahrzeughandwerk. Auf dem Bau gibt es Auftragsreichweiten von mehr als zehn Wochen. Und obwohl die Betriebe bereits an ihren Kapazitätsgrenzen arbeiten, brauchen unsere Kunden derzeit schon etwas Geduld. Ein großes Problem ist, dass uns die Fachkräfte und Lehrlinge fehlen, um alles bewältigen zu können.
Meisterpflicht
Kapitel 4 Streifall Meisterpflicht: Im Kampf um verlorene Titel Von Moritz Schildgen
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Diese Angst hat im Januar dieses Jahres eine neue Dimension angenommen. Die Europäische Kommission hat ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet zu prüfen, ob bestehende berufliche Zulassungsbeschränkungen gerechtfertigt sind. Die Argumente heute sind die selben wie der Handwerksnovelle von 2004. Es solle einfacher werden, Unternehmen zu gründen und über Grenzen hinweg beruflich tätig zu sein. Damals bezeichnete das Bundesamt für Arbeit die Situation als dramatisch. Die Arbeitslosigkeit lag bei über zehn Prozent, es mangelte an Ausbildungsplätzen und die Prognosen waren düster. Die Handwerksnovelle sollte im Zuge der Agenda 2010 des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) den durch verkrustete Strukturen unflexiblen deutschen Arbeitsmarkt wieder beleben – durch mehr Unternehmensgründungen, durch mehr Ausbildungsplätze.
Der aktuelle Vorstoß der Europäischen Kommission mit den selben Zielen, trifft in Deutschland auf eine geschlossene Front an Gegnern, von der Bundesregierung hin bis zu Vertretern des Handwerks – wie Harald Herrmann. Als Fliesenlegermeister und Präsident der Handwerkskammer Reutlingen sind für ihn die Ziele der Handwerksnovelle nicht erreicht worden – mehr noch, die Reform hätte überwiegend negative Folgen.
Zahlreiche Betriebe schließen
Wie von der Reform beabsichtigt ist die Anzahl der Fliesenlegerbetriebe im Handwerkskammerbezirk Reutlingen gewachsen – bis heute fast um das Fünffache, darunter viele Ein-Mann-Betriebe. Das habe zu dem Problem einer extremen Konkurrenzsituation geführt sowie zu einer für Herrmann besorgniserregenden Anzahl von Betriebsauflösungen. „Es kommen immer ungefähr so viele Betriebe dazu wie im gleichen Jahr wieder gelöscht werden. Und das ist eine ganz extreme Entwicklung, die auch nicht gut ist.“ Von 2004 bis 2016 sind das insgesamt gesehen über 1000 Löschungen. „Da sind bestimmt einige dabei, die in ein finanzielles Fiasko geschlittert sind“, ist sich Herrmann sicher. Für ihn und seine Handwerkskollegen ist der Grund dieser „nicht nachhaltigen“ Entwicklung eine mangelhafte Ausbildung. Auf der Meisterschule werden auch betriebswirtschaftliche Inhalte vermittlet, die nach Herrmann vielen, die sich nach 2004 selbstständig machen durften, fehlen würden.
So sei der Meistertitel einer der Gründe, warum es Herrmanns Fliesenlegerbetrieb heute noch gibt, wie er sagt. Durch diesen habe er sich von der Konkurrenz abheben, Kunden qualitativ hochwertige Arbeit anbieten und seinen Betrieb wirtschaftlich führen können. Allerdings sei es für ihn einfach gewesen, sich selbstständig zu machen. Sein Vater hatte ebenfalls einen Fliesenlegerbetrieb, und so stand ihm als junger Meister mit 21 Jahren ein etablierter Kundenkreis offen. „Man braucht gewisses Kundenpotenzial, wenn man das nicht hat, ist es sehr schwierig“, gibt Herrmann zu.
Von Moritz Schildgen Pro: Der Meistertitel steht für gute Ausbildung Ein Kommentar
Von Moritz Schildgen Pro: Der Meistertitel steht für gute Ausbildung Ein Kommentar
In seinem vollen Umfang ist der Effekt dieser Entwicklung heute noch nicht eingetreten. Die Folgen sind offensichtlich: weniger Ausbildungsbetriebe, weniger Auszubildende. Weniger Auszubildende, weniger Nachwuchs. Weniger Nachwuchs, weniger Ausbildungsbetriebe. Ein Teufelskreis, der zu einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit führen wird. Jenes gravierende Problem, das unsere europäischen Nachbarn plagt und deren wirtschaftliche Entwicklung stark behindert. Nicht umsonst findet das deutsche System der Dualen Ausbildung weltweit Beachtung. Die Meisterpflicht trägt ihren Teil zur Sicherung dieses Systems bei.
Wer in Kauf nimmt, die Ausbildungssituation zu verschlechtern, der zerstört das Fundament unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Meistertitel steht für eine profunde Ausbildung und einen hohen Qualitätsstandard. Anstatt die Meisterpflicht abzuschaffen, um den Zugang zu Berufen zu erleichtern, sollte er europaweit eingeführt werden, um Wohlstand zu sichern – auch in Zukunft.
Von Andreas Knoch Contra: Ein Meisterbrief ist kein Garant für Qualität Ein Kommentar
Von Andreas Knoch Contra: Ein Meisterbrief ist kein Garant für Qualität Ein Kommentar
Ein Meisterbrief ist aber längst kein Garant für Qualitätsarbeit. In der Praxis der meisten Betriebe ist es sogar so, dass der größte Teil der Arbeit von Gesellen ausgeführt wird. Notwendig ist daher die kontinuierliche Qualitätssicherung bei den ausführenden Gesellen – nicht aber eine einmalige Meisterprüfung eines Betriebsleiters.
Ohne Zweifel müssen Verbraucher vor Gefahren geschützt werden. Doch gibt es dafür bereits ein ganzes Bündel an (DIN)-Vorschriften. Und Europa zeigt, dass es auch ohne Meisterzwang geht. In Frankreich werden ebenfalls Autos sicher repariert, auch in Spanien werden die Haare gut geschnitten, und auch in England errichten Zimmerer gute Dachstühle. Durch den Meisterzwang im Handwerk bleibt die gesamtwirtschaftliche Leistung hierzulande hinter ihren Möglichkeiten zurück, und die im Grundgesetz verankerte Berufsfreiheit wird ausgehöhlt.
Ausbildung
Kapitel 5 Die Zukunft der Ausbildung: Lehren aus den neuen Lehrlingen Von Marlene Gempp
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Die Digitalisierung ist im Handwerk längst angekommen. Für Lehrlinge bedeutet das: Die Ansprüche an sie haben sich geändert. In Zeiten der Digitalisierung muss ein Auszubildender noch mehr können als rein handwerklich arbeiten, sagt der Geschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz, Georg Hiltner: „Digitale Technik ist längst in allen Gewerken üblich. Je nach Beruf ist der Anteil an Digitalisierung sehr hoch, wie etwa im Anlagenbau.“
Auch in den anderen Gewerken müssen Handwerker mit immer mehr Digitalisierung zurechtkommen. Produkte entwickeln sich weiter und die Kunden kommunizieren mehr und mehr über das Internet. Ein Auftrag wird nicht mehr mit Stift und Papier handschriftlich aufgenommen, sondern trudelt per Mail im Büro ein. Der Anspruch an Auszubildende sei daher sehr hoch, sagt Hiltner. Auch Mathematik- und IT-Kenntnisse im Handwerk sind wichtig. Hier sind vor allem Abiturienten stark. „In erster Linie sprechen wir aber junge Menschen an, egal ob mit Abitur, Realschul- oder Werkrealschulabschluss. Im Handwerk gibt es verschiedene Bedarfe, da wird jeder fündig“, sagt Hiltner.
Neue Ansprüche an Lehrlinge
Die neuen Ansprüche an Lehrlinge zeigen: Den klassischen Weg von der Hauptschule über eine duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule ins Handwerk gibt es so nicht mehr. Mit welchem Schulabschluss die Auszubildenden ins Handwerk einsteigen, ist seit ein paar Jahren nicht mehr gesetzt. Erstmals hat es in Deutschland laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) im Jahr 2016 mehr Jugendliche mit einer Studienberechtigung als mit Hauptschulabschluss im Handwerk gegeben.
Rund 28 Prozent der Auszubildenden im dualen System hatten Abitur, 27 Prozent stiegen mit Hauptschulabschluss in die Ausbildung ein. Mittlere Reife und Abitur würden nach Einschätzung des DGB immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und das Handwerk muss es nun schaffen, die Bandbreite an unterschiedlichen Bewerbern und die Herausforderung der Digitalisierung in der dualen Ausbildung abzubilden. Mit verschiedenen dualen Ausbildungsformen möchten Hoch- und Berufsschulen sowie die Handwerksbetriebe nun diesen neuen Anforderungen begegnen.
Lehre plus Studium
Einen Weg sieht die Hochschule Biberach zum Beispiel darin, Ausbildung und Studium zu verknüpfen. Studentin und Auszubildende Jennifer Heinzmann ist eine der Teilnehmerinnen des Modells „Bauingenieur Plus“. An der Hochschule Biberach wird sie akademisch als Bauingenieurin ausgebildet, im Handwerksbetrieb Birk in Aitrach (Kreis Ravensburg) lernt sie den Beruf der Maurerin. Eine Mischung, die für sie viele Vorteile bringt, sagt Heinzmann: „Natürlich ist der ausschlaggebende Punkt der Praxisbezug. Außerdem ist es auch nicht schlecht, während des Studiums schon Geld zu verdienen.“
Insgesamt fünf Jahre dauert diese duale Ausbildung. Im Juli steht ihre handwerkliche Gesellenprüfung an, knapp ein Jahr später auch der Hochschulabschluss. Eventuell wird die 22-Jährige dann noch einen Master anschließen. Danach möchte sie als Bauleiterin auf dem Bau arbeiten. „Mir ist es wichtig, dann auch ernst genommen zu werden. Deswegen ist die Praxis, die ich jetzt mitbekomme, enorm wichtig für mich. Später weiß ich dann, wovon ich spreche“, sagt Heinzmann.
Auch ihr Chef Otto Birk ist vom Biberacher Modell überzeugt. Mehr als zehn Auszubildende lernen bei ihm in den Betrieben in Aitrach und Leutkirch. Drei der Maurerlehrlinge, inklusive Jennifer Heinzmann, sind bereits als „Bauingenieur Plus“ beschäftigt, ein weiterer kommt nächstes Schuljahr dazu.
„Für mich ist das ein Erfolgsmodell. Wir haben hochmotivierte junge Leute, die viel Wissen in ihr Ingenieursstudium mitnehmen können“, sagt Diplomingenieur Birk. Er denkt schon ein paar Jahre weiter: Wenn seine jetzigen Lehrlinge den Gesellenbrief in der Hand haben und mit dem Studium fertig sind, haben sie bei der Stellensuche vielleicht auch ihren Ausbildungsbetrieb im Blick. Dass ein ausgebildeter Bauingenieur vermutlich keine Maurerstelle annehmen wird, ist Birk bewusst: „Ich bekomme dann vielleicht keinen Maurer, dafür aber einen Bauleiter mit wahnsinnig viel Praxiserfahrung und Ahnung vom Beruf.“
Fackräftemangel
Kapitel 6 Der Fachkräftemangel: Die rare Ressource Mensch Von Moritz Schildgen
Kapitel 6 Der Fachkräftemangel: Die rare Ressource Mensch Von Moritz Schildgen
Zwar gebe es in Deutschland laut Agentur für Arbeit aktuell keinen flächendeckenden Fachkräftemangel, aber es gebe Engpässe in bestimmten Berufsfeldern wie der Pflege oder bei technischen Berufen. Der Mangel macht auch vor dem Handwerk nicht halt – und er könnte in fünf Jahren kritisch werden. So schätzt es jedenfalls Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz, ein. Dass es so weit nicht kommt, sei zwar zu schaffen, „aber nur mit großem Aufwand“.
Aus Sicht des Handwerks ergibt sich folgende Situation: Immer weniger Menschen in Deutschland stehen als potenzielle Fachkräfte zur Verfügung. Immer mehr entscheiden sich für eine akademische Laufbahn. Die Handwerksbetriebe brauchen aber mehr Fachkräfte, also Mitarbeiter, die im Gegensatz zu ungelernten Hilfskräften das Handwerk von Grund auf gelernt haben, um die Nachfrage nach solide gezimmerten Dachstühlen, fachgerecht verlegten Elektrokabeln und knusprig gebackenem Brot zu befriedigen.
Und das Problem hat sich innerhalb weniger Jahre verschärft, wie eine Umfrage von 2011 und 2015 unter allen Betrieben der acht baden-württembergischen Handwerkskammern belegt: 28 Prozent der Betriebe wollten vor zwei Jahren Fachkräfte einstellen – 2011 waren es 23,5 Prozent. 62 Prozent der Betriebe klagten, dass trotz starker Bemühungen kein geeignetes Personal zu finden ist – 2011 hatten das nur 38 Prozent so erlebt.
Alte Techniken
Kapitel 6Seltene Handwerksberufe: Retter alter Fertigkeiten Von Benjamin Wagener
Ausbildungsberuf Büchsenmacher Ein Videoreport von Andrea Pauly
Digitalisierung im Handwerk
Kapitel 8 Herausforderung Digitalisierung: Baggern per Mausklick Von Moritz Schildgen
Kapitel 8 Herausforderung Digitalisierung: Baggern per Mausklick Von Moritz Schildgen
Und doch wäre sein 2013 gegründetes Start-up ohne den Einsatz von Computern und Software nicht so erfolgreich und schnell gewachsen. Davon sind der 36-Jährige und seine Ehefrau Geraldine mehr als überzeugt.
Vor zwei Jahren war der zehn Mann starke Handwerksbetrieb an einem kritischen Punkt. Verwaltung, Planung, Kalkulationen – „da habe ich noch alles selbst gemacht“, erzählt Johann Betcher, Vater von drei Kindern. 18-Stunden-Tage wären keine Seltenheit gewesen. Da habe er nicht nur den Entschluss gefasst, „dringend notwendige“ Programme zu kaufen, um die Arbeit zu erleichtern. Auch Auftritt und äußeres Erscheinungsbild des Unternehmens sollten eine ansprechende Form annehmen. Werbung und Marketing – „das muss alles ordentlich sein“, sagt Geraldine Betcher.
Gemeinsam mit einem Grafikbüro aus Reutlingen, das Gründer unterstützt, habe man das Firmenlogo kreiert und den Internetauftritt gestaltet. Heute umfasst die Homepage von Betchers Unternehmen Blog-Einträge, Drohnenbilder und Videos; die Fahrzeuge wie die Kleidung der Mitarbeiter haben ein einheitliches Aussehen. Dazu ist Johann Betcher auf Facebook vertreten.Das Beispiel des Heidenheimer Unternehmens zeigt, wie die Digitalisierung im Handwerk Einzug hält, wie Betriebe die neuen Techniken für sich nutzen – und vor allem, wie digtal affine Handwerker Konkurrenten abhängen, die keine Homepage haben und nicht per E-Mail erreichbar sind. Dabei geht es nicht nur um Marketing und Kundenkommunikation, sondern vor allem auch um die digitale Optimierung von Verwaltung und Produktion.
Ohne Verwaltungssoftware, sagt Johann Betcher, käme auf jeden vierten Mitarbeiter eine Vollzeitkraft im Büro. Insgesamt arbeiten derzeit 17 Mitarbeiter, nicht alles sind 100-Prozent-Stellen, in dem Zimmerei- und Holzbaubetrieb, darunter vier Lehrlinge und zwei Meister. Und gerade die Meister, die teuersten Arbeitskräfte, hätten früher oft und viel Büroarbeit machen müssen, weil sie die nötige betriebswirtschaftliche Ausbildung haben, so Betcher. Dank der Digitalisierung habe man die Zeit der Meister im Büro auf 30 bis 40 Prozent reduzieren können. Unterstützt werden sie dabei von zwei Halbtagskräften. „Deshalb haben wir ja alles umgestellt“, sagt Geraldine Betcher, „damit er mehr draußen sein kann. Das ist es, was er liebt.“ Und vor allem ist Johann Betcher dort für sein Unternehmem am wertvollsten. Als nächstes plant er, iPads auf Baustellen zu verwenden, um irgendwann völlig papierfrei zu arbeiten. Auch in eine digitale Zeiterfassung, am besten per Smartphone, will Betcher investieren.
GPS statt Pflöcke und Schnüre
GPS statt Pflöcke und Schnüre
Wachsen soll sein Unternehmen allerdings nicht, Simon Haag will die Betriebsgröße von rund 250 Mitarbeitern – knapp 130 davon am Standort Neuler (südwestlich von Ellwangen), der Rest verteilt sich auf die Standorte Glauchau (Sachsen) und Rommelshausen (östlich von Stuttgart) – halten. Der Grund dafür sei die zunehmende Geschwindigkeit bei technischen Innovationen. „Da wollen wir vorne mit dabei sein und das Tempo halten“, erklärt Haag. Gleichzeitig personell zu wachsen, erscheine ihm nicht sinnvoll. Mit der Digitalisierung komme „eine Riesenwelle auf uns zu. Wir müssen Prozesse umstellen“, ist er sich sicher. Um „vorne mit dabei zu sein“, hat der Geschäftsführer von Haag-Bau, das sein Vater Eduard Haag als Ein-Mann-Unternehmen 1970 gegründet hat, bereits viel investiert. Einen Bagger mit der neuesten Technik auszurüsten, koste 60 000 Euro, vier von 16 Baggern sind schön ausgerüstet. Der Prozess der Digitalisierung wird niemals aufhören“, sagt Haag.
Vor wenigen Jahren wurde der Verlauf einer Straße, die es zu bauen galt, noch mit Pflöcken und Schnüren markiert, erzählt Simon Haag. Heute seien alle notwendigen Informationen und Pläne dank eines kleinen Computers auf dem Bagger samt Satellitenortung verfügbar. Um millimetergenau zu arbeiten, müssten die Satellitendaten noch präzisiert werden – durch Georeferenzierung, heißt anhand bekannter Orte und Bezugspunkte. Haag nutzt dazu Technik der amerikanischen Firma Trimble, eines Anbieters integrierter geodätischer Systeme. So weiß der Baggerfahrer ganz genau, was Haag im Büro geplant hat und wo zu graben ist. Kommt es zu Abweichungen, beispielsweise wenn ein großer Stein erfordert, dass man Abwasserrohre und -anschlüsse ein paar Meter weiter weg als geplant platziert, werden die Pläne mit den Daten des Baggers aktualisiert. Dann wissen auch ein paar Monate später die nächsten Bauarbeiter ganz genau, wo der Anschluss vergraben wurde und können dort weiterarbeiten.
Planänderungen hätten auch oft zur Folge gehabt, so Haag, dass Material fehlte, weil man mehr verbaut hat. Das habe man aber oft erst sehr spät bemerkt. Dann musste man ganz schnell jemanden losschicken, der ein paar Meter Rohre kauft. Jetzt gibt die Software sofort an, dass mehr Material benötigt wird und es kommt zu keinem überraschenden Engpass. Doch trotz aller digitaler Unterstützung sei man insgesamt nicht schneller geworden, sagt Simon Haag. Zwar habe sich die Zeit auf der Baustelle verkürzt, aber dafür dauere nun die Vorbereitungsphase länger. Positiver Effekt dabei ist laut Haag, dass man durch die verkürzte Bauzeit weniger anfällig sei für Störungen aller Art wie zum Beispiel schlechte Witterung.
Der nächste Schritt für Simon Haag ist das teilautonome Fahren der schweren Maschinen. Schon heute werde das Planierschild der Raupe vom Computer gesteuert. In Zukunft werden noch mehr Assistenzsysteme dafür sorgen, dass sich die Maschinen selbst am Plan entlangtasten und ihre Arbeit verrichten. So könne man einem Bagger beispielsweise einen „digitalen Käfig“ zuweisen, in dem er sich dann bewegen und arbeiten kann. Der Baggerführer ist dann kein Fahrer mehr, sondern übernimmt die Rolle eines Überwachers. In Zukunft werde es auch möglich sein, komplette Bauprojekte zu simulieren, so Haag. Dann gebe es nicht nur einen dreidimensionalen Plan der Baustelle, sondern mit Zeit und Kosten kämen dann eine vierte und fünfte Dimension dazu. Dann wisse man in der Planungsphase bereits, zu welchen Zeitpunkt welche Kosten auf der Baustelle entstehen.
Doch die Digitalisierung bringt nicht nur Positives mit sich. Sie schafft auch neue Abhängigkeiten von der Technik, wie Simon Haag erfahren musste. Probleme mit der Datenübertragung seitens seines Internetanbieters hätten seinen Betrieb schon einmal für einen ganzen Tag lahmgelegt. Die Digitalisierung trägt außerdem zum Fachkräftemangel bei, wie Analysen des Bundesamtes für Arbeit genauso zeigen wie Umfragen der Handwerkskammern. So mangelt es an nach neuesten technischen Standards ausgebildeten Fachkräften – vor allem in Handwerksbetrieben. Und nicht zuletzt auch deswegen, weil die Industrie sich ebenfalls um sie bemüht.
Ängste der Handwerker
Ängste der Handwerker
Deutschlands oberster Handwerker, Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, ist dennoch optimistisch: „Es geht kein Weg daran vorbei, dass die Digitalisierung auch das Handwerk grundlegend verändert. Das birgt Risiken, aber nach unserer Auffassung und auch der der Betriebe überwiegen die Chancen. Wir unterstützen sie dabei, diese Chancen zu nutzen“, sagt Wollseifer im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Und Unterstützung wünschen sich die Handwerker laut der Studie „Handwerk 2025“ in Zusammenhang mit der Digitalisierung nicht nur bei der Entwicklung und Umsetzung passender Strategien, sondern auch bei der Aus- und Weiterbildung, bei der Vernetzung der Betriebe und bei der zielführenden Nutzung ihrer Daten zur Wertschöpfung.Nur wenn das sichergestellt ist, werden Trendsetter wie Johann Betcher oder Simon Haag zur Regel – und die Digitalisierung entwickelt sich für das Handwerk zum Segen. Und nicht zum Fluch.
Der digitale Bagger Ein Videoreport von Christian Schellenberger
Neue Perspektiven im Handwerk
Kapitel 9 Betriebe fördern Frauen, Studienabbrecher und Menschen mit Behinderungen von Marlene Gempp
Kapitel 9 Betriebe fördern Frauen, Studienabbrecher und Menschen mit Behinderungen von Marlene Gempp
Rund 30 Kilometer weiter arbeiten Anna Schweizer, Anna Steur und Ina Nann ebenfalls in einer Werkstatt. Die drei Frauen sind beim Malerbetrieb Kaiser in Lindau angestellt. „Wenn wir zu einem Kunden kommen, stutzen die oft zuerst, wenn eine Frau kommt“, erzählt Malermeisterin Steur. Wer einen Handwerker bestellt, erwartet wohl immer noch einen kräftigen Mann an der Haustür. Die Skepsis lege sich aber immer recht schnell, wenn die Arbeit gut erledigt wird, sagen die drei Malerinnen. Auch unter ihren 15männlichen Kollegen seien sie als gleichwertig akzeptiert, bestätigt ihr Chef, Malermeister Ulrich Kaiser: „Jeder macht dieselbe Arbeit. Und das Betriebsklima ist angenehmer, wenn ein gemischtes Team zusammenarbeitet.“ Im September steigt eine weitere Frau als Auszubildende ein. Der Kreishandwerksmeister hat bayernweit Kontakte zu anderen Malerbetrieben und beobachtet, dass immer mehr Frauen in sein Handwerk kommen: „In den vergangenen zehn Jahren sind 20 bis 30 Prozent Frauen unter den Auszubildenden eingestiegen.“
Dieser Trend zeichnet sich laut Handwerkskammer Ulm zwischen Jagst und Bodensee in allen Gewerken ab: Jeden fünften Betrieb in der Region führt eine Frau, rund 25 Prozent der Auszubildenden sind weiblich. Die Handwerkskammer erwartet, dass diese Zahl in den nächsten Jahren auf ein Drittel ansteigt. Nachholbedarf bestehe aber klar noch auf dem Bau, sagt Dominik Maier, Fachbereichsleiter für Nachwuchswerbung der Handwerkskammer Ulm: „Da wollen wir gegensteuern, zum Beispiel mit dem Girls Day, an dem Mädchen Handwerksberufe ausprobieren können. Unser Ziel ist, die Handwerksberufe noch ausgewogener zu gestalten.“ Bei Informationsveranstaltungen der Handwerkskammer sei ihm in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass immer mehr Mädchen dazukommen. Das gestiegene Interesse habe auch etwas mit dem Wandel der Berufsbilder im Handwerk zu tun, sagt Maier: „Die Hemmschwelle, ins Handwerk einzutreten, ist auch für junge Mädchen geringer geworden, da mittlerweile viel mit Technik und Computern unterstützt wird. Die körperlich schwere Arbeit hat in vielen Berufen abgenommen, Frauen haben da keinen Nachteil mehr.“
Für Malerin Anna Steur ist dies ebenfalls ein Grund, warum immer mehr junge Frauen sich für ein Handwerk wie ihres interessieren: „Die körperliche Arbeit hält sich in Grenzen. Klar ist es zu Beginn schwer, 25Kilogramm Putz oder volle Farbeimer zu heben. Aber man gewöhnt sich dran.“
Die Schneiderinnen aus Langenargen und die Malerinnen aus Lindau zeigen: Das Handwerk ist keine Männerdomäne mehr. Seit einigen Jahren steigt die Quote von Frauen im Handwerk und besonders die Zahl der Betriebsleiterinnen: Rund 30 000 handwerkliche Betriebe in Baden-Württemberg werden von Frauen geführt. Mittlerweile liegt der Anteil der Frauen im Handwerk nach Angaben der Handwerkskammer Ulm bei mehr als 30Prozent – und damit höher als in der Industrie. Diese Offenheit hat einen Grund: Das Handwerk braucht dringend Fachkräfte. Deshalb öffnen sich die Arbeitgeber nicht nur verstärkt für Frauen, sondern bieten auch Studienabbrechern und Menschen mit Handicap vermehrt Ausbildungsmöglichkeiten an. „Der Bedarf an Fachkräften ist einfach da. Das Handwerk ist absolut offen dafür und bietet viele flexible Möglichkeiten für Menschen mit einem Handicap“, erklärt die Betriebsberaterin für Inklusion der Handwerkskammer Ulm, Sonja Ruetz.
Die flexiblen Möglichkeiten im Handwerk haben auch die Frauen in der Langenargener Schneiderei überzeugt. Für sie ist ein weiterer Aspekt bei ihrer Berufswahl besonders wichtig gewesen: Job und Familie miteinander vereinbaren zu können. Die Arbeitszeiten und das Ausbildungsmodell seien im Handwerk flexibler und bei einem Team aus vier Mitarbeiterinnen könne man gut über individuelle Anpassungen sprechen, sagt Schneidermeisterin Keller. Ihre beiden letzten Auszubildenden haben jeweils 25 Wochenstunden gearbeitet.
Diese sogenannte Teilzeitausbildung sei ein möglicher Weg, um das Handwerk für Frauen attraktiv zu machen, sagt Dominik Maier von der Handwerkskammer Ulm: „Das ist natürlich für alle eine Möglichkeit, für Männer und für Frauen. Die Teilzeitausbildung richtet sich aber gezielt an Frauen, die nach einer Geburt wieder arbeiten möchten.“ Dabei müsse dann im Betrieb abgesprochen werden, ob die Ausbildung halbtags oder zeitlich ganz flexibel absolviert werden kann, je nach Branche.
„Die Handwerksbetriebe können leichter auf die einzelnen Mitarbeiter eingehen als ein großes Industrieunternehmen.“ Das Modell habe noch viel Potenzial, erklärt Maier: „Der Bedarf an guten Lehrlingen ist definitiv da im Handwerk. Deswegen öffnen sich die Betriebe für neue Ausbildungsmodelle.“ Wie viele Lehrlinge derzeit im Gebiet der Handwerkskammer Ulm eine Teilzeitausbildung machen, dazu liegen noch keine Zahlen vor. Das Thema Teilzeitausbildung sei allerdings noch zu unbekannt.
Meisterinnen ihres Fachsvon Marlene Gempp
Dass das Handwerk offen für besondere Modelle der Ausbildung ist, davon ist auch Betriebsberaterin Ruetz überzeugt. Sie ist die Ansprechpartnerin für Betriebe in der Region der Handwerkskammer Ulm, die Menschen mit Behinderung ausbilden und beschäftigen wollen. „Mein Auftrag ist es, mehr Betriebe für die Arbeit mit Menschen mit Handicap zu sensibilisieren“, erklärt Ruetz.
Gerade begleitet sie zum Beispiel Bernd Moll. Der 32-Jährige hat eine Lernbehinderung und schließt im Juli seine Lehre in der Zimmerei Gaiser in Oggelshausen im Landkreis Biberach ab. Dafür wird er im Juli das Modell eines Dachstuhls anfertigen müssen. Wenn er die Prüfung schafft, möchte er weiter als Ausbaufacharbeiter in der Zimmerei Gaiser arbeiten. „Mir macht das Werkeln in der Werkstatt und das Arbeiten mit Holz sehr viel Spaß. Es ist schön, wenn man abends sieht, was man gearbeitet hat“, sagt Moll. Zu seinen täglichen Aufgaben in der Werkstatt gehören unter anderem Sägen, Hobeln, Material umladen, Gabelstaplerfahren und Aufräumen.
Mit viel Motivation sei er bei der Arbeit, freut sich sein Chef, Zimmerermeister Roland Gaiser. „Unser Team ist mittlerweile eingespielt. Es braucht aber natürlich viel Geduld und vor allem viel Kommunikation untereinander, damit alles klappt“, erläutert der Chef. „Ich schreibe Bernd alle Arbeitsanweisungen noch mal genau auf, damit er weiß, was zu tun ist.“ Manchmal sei es auch schwer, Kunden auf einer Baustelle zu vermitteln, warum der eine Auszubildende nicht die gleichen Aufgaben erledigen könne wie der andere Lehrling oder der Meister. „Es ist eine Herausforderung für unseren Betrieb, aber man darf nicht nach vier Wochen den Kopf in den Sand stecken“, sagt der Zimmerer. Auch der zweite Auszubildende im Betrieb, Joshua Glaser, schätzt Bernd als zuverlässigen Kollegen: „Man braucht manchmal Geduld, aber es macht Spaß mit ihm zusammen zu arbeiten. Der Vorteil in einer Werkstatt ist, dass man sich gegenseitig bei der Arbeit zuschauen und voneinander lernen kann.“
Nach dem regulären Unterricht in der Berufsschule in Ravensburg fährt Bernd Moll zweimal die Woche nach Biberach zum Förderunterricht. Für Sonja Ruetz ist das ein weiterer Beweis für seine Motivation, die Ausbildung zu schaffen.
Motiviert ist auch Aaron Hofmann. Frustriert und unzufrieden mit seinem Elektrotechnikstudium hatte er sich nach neuen beruflichen Perspektiven umgesehen. Statt einer theoretischen wünschte er sich eine praktische Ausbildung. Der 21-Jährige hatte zunächst ein Elektrotechnikstudium aufgenommen, weil er nach dem Abitur noch nicht richtig wusste, was er arbeiten wollte. Seit Herbst macht er nun eine Ausbildung in der Flaschnerei Stelzer in Ellwangen. „Ich habe ein paar Praktika in der Region gemacht und der Beruf des Flaschners hat mir dann am meisten zugesagt.“
Er ist einer von drei Lehrlingen im Betrieb, die jeweils einen anderen Schulabschluss mitbringen: Hauptschule, Mittlere Reife und Abitur. „Der schulische Abschluss steht bei mir nicht im Vordergrund. Wichtiger sind mir Werte wie Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit und Vertrauen auf der Basis von Ehrlichkeit“, erklärt Betriebsleiter Peter Stelzer. Die Bewerbung von Studienabbrecher Hofmann habe ihn gefreut: Das Team werde durch ihn bereichert.
Dass ehemalige Studenten im Handwerk neue Perspektiven bekommen, hat auch Michaela Lundt von der Handwerkskammer Reutlingen festgestellt. Sie hat im vergangenen Jahr vier Studienabbrecher in Handwerksbetriebe vermittelt. „Ein Studienabbrecher fühlt sich oft, als habe er versagt. Ich sage dann immer, dass sie um eine Erfahrung reicher sind und dafür wissen, was sie wirklich wollen“, erzählt die Beraterin der Handwerkskammer, die auch für Lehrstellenvermittlung zuständig ist. Oft müsse sie auch mit Eltern sprechen, die es nicht verstehen können, wenn ihre Kinder eine akademische Laufbahn aufgeben, um ins Handwerk einzusteigen. „Die Hauptsache ist doch, dass der junge Mensch seine Arbeit gern macht und damit auch gut in seinem Job ist. Alle ehemaligen Studenten, die ich bisher begleiten durfte, waren sehr glücklich in ihrer handwerklichen Ausbildung.“
Vermutlich gibt es noch viel mehr Studienabbrecher, die auch ohne Beratung der Kammer ins Handwerk wechseln, sagt Beraterin Lundt. Manche Studenten würden sich Inspiration holen und dann auf eigene Faust nach einer Ausbildung suchen. Oft kämen sie eher in größeren mittelständischen Firmen unter: „Kleinere Betriebe befürchten, dass Studienabbrecher nach ihrer Ausbildung weitermachen wollen und doch noch an die Hochschule gehen, anstatt im Betrieb zu arbeiten.“ Aber genau da liege auch eine Stärke: Die Handwerkskammer hofft, dass ehemalige Studenten im Handwerk potenzielle Betriebsnachfolger werden.
Handwerker als Zulieferer
Kapitel 10 Im Geschäft mit den Großen Von Andreas Knoch
Kapitel 10 Im Geschäft mit den Großen Von Andreas Knoch
Lindenmann – mit gut 200 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von etwas mehr als 30 Millionen Euro – hat sich über die Jahre von einem kleinen Handwerksbetrieb zu einem Unternehmen weiterentwickelt, in dem Industriestandards gelten. Eine Transformation, die viele Firmen im Südwesten durchlaufen haben, und die wesentlich für die wirtschaftliche Stärke Baden-Württembergs verantwortlich zeichnet.
Gut ein Viertel der rund 18600 Betriebe im Bezirk der Handwerks-kammer Ulm sind im sogenannten Business-to-Business-Geschäft tätig – bedienen also vornehmlich die Unternehmens- und nicht die Privatkundschaft. Der Prozentsatz, der in anderen Kammerbezirken ähnlich ausfällt, ist in den vergangenen Jahren gestiegen, da die Industrie ihre Fertigungstiefe verringert und immer mehr Aufträge und Dienstleistungen an kleine, leistungsfähige Betriebe vergibt. Lediglich Schlüsseltechnologien verbleiben im Konzern. Davon profitiert das Handwerk – sei es in der Einzelfertigung, bei Kleinserien oder als Systemlieferant. Und haben sich die Betriebe als Zulieferer oder Dienstleister für die Industrie erst einmal bewährt, kommt Geschäft manchmal eben auch von alleine.
„Bei Bosch sind wir bevorzugter Lieferant. Hat man diesen Status einmal erreicht, wird man als Zulieferer im Konzern weiterempfohlen“, erklärt Lindenmann. So passiere es dann, dass Auftragsanfragen hereinkommen, ohne dass ein Vertriebsmitarbeiter unterwegs ist und bei potenziellen Kunden Klinken putzt.
Gnadenloser Preiskampf
Allerdings, das gibt Lindenmann zu, ist das Geschäft mit den Großen in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. „Um einen Auftrag zu gewinnen muss man bei drei Punkten ganz vorne sein: Preis, Preis und nochmals Preis“, erklärt der Unternehmer. Qualität und Liefertreue werden vorausgesetzt. Gewachsene Kundenbeziehungen zählen wegen des ständigen Personalwechsels in den Einkaufsabteilungen weniger.
Viele Konzerne schreiben ihre Aufträge heute europa- oder sogar weltweit aus. Um im Wettbewerb mit Niedriglohnländern bestehen zu können, müssen die deutschen Zulieferer permanent besser werden. „Wir müssen jährlich rund drei Prozent mit den Preisen runter – und das schon seit Jahren. Parallel dazu steigen die Löhne und die Kosten für Strom und Werkzeuge. Unter dem Strich müssen wir jährlich also sechs bis acht Prozent rationalisieren“, beschreibt Lindenmann die Anforderungen an sein Unternehmen.
Obendrauf kommen strategische Konzernentscheidungen – etwa solche, einen bestimmten Prozentsatz der Vorprodukte im Ausland einzukaufen. Das klappt mal mehr, mal weniger gut. So hatte ein Großkunde Lindenmann im vergangenen Jahr angekündigt, etliche Baureihen nach Ungarn zu verlagern. Doch daraus wurde zunächst nichts. „Wir sind von 15 Prozent niedrigeren Erlösen im laufenden Jahr ausgegangen. Stattdessen wird es nun wohl ein Viertel mehr, und wir arbeiten seit Monaten an der Kapazitätsgrenze“, sagt Lindenmann. Flexibilität ist neben preislicher Konkurrenzfähigkeit eine zweite Eigenschaft, die im Geschäft mit Großkonzernen notwendig und unerlässlich ist.
Zukunftschance Smart Homes
Kapitel 11 Das Handwerk setzt aufs Internet der Dinge Von Moritz Schildgen
Kapitel 11 Das Handwerk setzt aufs Internet der Dinge Von Moritz Schildgen
„Alles, was heute möglich ist“, hat Jöchle an moderner Gebäudetechnik eingebaut – beim Firmensitz des Oberschwaben sieht es genauso aus. Doch damit Privathaus und Firma samt Büros und Fertigungshalle ohne Lichtschalter an der Wand auskommen und es trotzdem immer hell genug ist, braucht es einiges an Technik – Armin Jöchle braucht das Internet der Dinge. Also das System, das alle Gegenstände durch Miniaturcomputer miteinander vernetzt.
20 Prozent teurer als ein herkömmliches Eigenheim ist ein solches Smart Home, bei dem Licht, Heizung, Jalousien, Stereoanlage untereinander kommunizieren und Informationen austauschen. Baut man aber zum Beispiel eine Alarmanlage in ein herkömmliches Haus ein, mit allen nötigen Geräten und Datenkanälen, verringert sich der preisliche Abstand zu einem Smart Home schnell wieder, sagt Jöchle.
Jöchles Kunden wollen ihr Zuhause aber in erster Linie nicht bequemer, sondern sicherer machen – zum Beispiel mit einer Videoüberwachung. Sie wollen auf ihrem Smartphone sehen, wer an der Tür klingelt – und zwar auch wenn sie nicht daheim weilen. Ist es der Postbote, können sie ihm dann sagen, er soll das Paket beim Nachbarn abgeben. Ist es der Nachbar, der netterweise das Paket entgegengenommen hat, besteht die Möglichkeit, die Tür per App zu öffnen und ihn hereinzulassen. Mit installierten Kameras und Bewegungsmeldern können Hausbesitzer Einbrecher auf frischer Tat ertappen oder auch prüfen, ob die Putzfrau richtig putzt – eine Möglichkeit, auf die Jöchle selber nicht zurückgreift. „Unsere Putzfrau macht einen sehr guten Job, die muss ich nicht überwachen“, sagte er.
Das Internet der Dingevon Anna Kratky
Fluchtpunkt Handwerk
Kapitel 12 Die Integration von Asylbewerbern von Ludger Möllers
Kapitel 12 Die Integration von Asylbewerbern von Ludger Möllers
Dandosch und Hallak sind angelernte Betriebshelfer in der handwerklich geführten Backstube am nördlichen Stadtrand von Ulm, von der aus fast 50 Filialen beliefert werden. Wenn die beiden jungen Männer, sie sind 25 und 23 Jahre alt, von ihren Fluchterfahrungen berichten, werden die Bilder des Jahres 2015 wieder wach. Hallak, er stammt aus dem syrischen Aleppo, hat sich über die Balkanroute zu Fuß nach Deutschland durchgeschlagen: „Meine Familie lebt dort noch.“ Auch Dandoschs Eltern sind in Syrien geblieben, sie leben in Idlib.
Nicht nur mit den beiden Syrern hat Staib gute Erfahrungen gesammelt, auch sind drei seiner neun Auszubildenden in der Backstube Flüchtlinge. „Wir sind keine Gutmenschen“, betont Staib, „aber wir finden schlicht keine Lehrlinge.“ In den 1990er-Jahren habe es in der Berufsschule Ulm rund 100 Bäckerlehrlinge gegeben, im letzten Ausbildungsjahr seien es gerade einmal 25 gewesen. „Wir suchen für unsere Bäckerei jedes Jahr vier bis sechs Lehrlinge und konnten diese offenen Lehrstellen die letzten Jahre nicht besetzen“, so Staib. Im Jahr 2014 habe sein Betrieb sogar nur einen geeigneten Lehrling gefunden. Die Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen sei für seinen Betrieb ein logischer Schritt: „Wir werden das auch wieder so machen!“
Zwischen Alb und Bodensee werden laut Handwerkskammer 32 Migranten als Bäckerlehrlinge in mehreren Betrieben ausgebildet. Das Bäckerhandwerk biete sich für Asylbewerber an, weil die Sprache nicht so im Vordergrund stünde und die Gefahren im Gegensatz etwa zum Elektrikerberuf überschaubar seien. „Wenn was schiefgeht, ist halt das Brot schwarz“, sagt Bäckerei-Geschäftsführer Marcus Staib. Aber egal ob Elektro, Feinwerk oder Bau – Bedarf gibt es an vielen Stellen.
Das Handwerk reißt sich seit Jahren um Fachkräfte, nicht nur im Bäckerhandwerk sind Azubis Mangelware. Derzeit seien in der Ulmer Region allein 988 Ausbildungsplätze unbesetzt, berichtet Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Ulmer Handwerkskammer. Die Nachfrage der Asylbewerber nach Ausbildungsplätzen sei aber noch überschaubar, sagt Mehlich. Immerhin konnten im gesamten Südwesten 2016 mehr junge Flüchtlinge in Ausbildungen vermittelt werden als 2015. Bis Ende 2016 hatten rund 1000Flüchtlinge einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Insgesamt haben sich 1850 Geflüchtete bei der Regionaldirektion Baden-Württemberg um eine Lehre beworben.
Damit ist der Südwesten deutschlandweit führend: „Im Jahr 2016 lernten knapp 4600 junge Leute aus den acht häufigsten Asylzugangsländern im Handwerk, ein Zuwachs von über 2900 Personen binnen drei Jahren“, sagte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Etliche weitere Tausend junger Menschen mit Bleibeperspektive befinden sich nach Wollseifers Angaben in Praktika, in Ausbildungsvorbereitungskursen oder Berufsorientierungsmaßnahmen. „Die ersten, die vor ein paar Jahren gekommen sind, sind mittlerweile auch schon Facharbeiter. Das ist gut so. Flüchtlinge sollen ja nicht von den Sozialsystemen leben müssen, sondern sollen sich einbringen, arbeiten und ihren Beitrag zu unseren Sozialsystemen leisten. Der überwiegende Teil will das übrigens auch.“ Neben eigennützigen Motiven – dem Mangel an Nachwuchs – fühlt sich das Handwerk verpflichtet, die Flüchtlingsthematik zu lösen: „Da sind Menschen aus Kriegsgebieten gekommen und haben Schutz gesucht“, sagt ZDH-Präsident Wollseifer: „Wir als Handwerk sehen uns nicht als reine Wirtschafts-, sondern auch als tragende Gesellschaftsgruppe.“ Aus diesem Selbstverständnis heraus sähen die Betriebe es als humanitäre Verpflichtung und Aufgabe an, hier zu helfen.
Asylbewerber im Handwerkvon Michael Scheyer
Problem Betriebsnachfolge
Kapitel 13 Die Suche nach dem neuen Chef von Benjamin Wagener
Kapitel 13 Die Suche nach dem neuen Chef von Benjamin Wagener
Jürgen Rudeck steht mit diesem Dilemma nicht alleine da: Bis 2020 suchen nach Angaben des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) rund 180000 Handwerksbetriebe eine Nachfolge – und wie der Lackierermeister aus Grünkraut haben viele Betriebschefs Kinder, die das Unternehmen der Eltern nicht übernehmen wollen. Ein Problem, nicht nur für die Inhaber selbst, denn mit einer Geschäftsaufgabe geht für die gesamte Wirtschaft ein Verlust von Know-how, Wertschöpfung – und vor allem von Arbeits- und Ausbildungsplätzen einher. „In ländlichen Regionen geht auch ein Stück Lebensqualität verloren, wenn der letzte Bäcker schließt oder der örtliche Heizungsbauer den Betrieb einstellt“, sagt Roman Gottschalk, Leiter des Zentrums für Betriebsnachfolge (ZEN) der Handwerkskammer Ulm.
Im Bereich der Handwerkskammer Ulm gibt es rund 2200 Betriebe, deren Chefs älter als 60 Jahre alt sind. Friseure stellen mit 238 die meisten alten Betriebsinhaber – vor Elektrotechnikern (192), Kraftfahrzeugtechnikern (144), Installateuren und Heizungsbauern (132) sowie Tischlern (113). Das heißt aber nicht, dass das Friseurhandwerk jetzt die größten Nachfolgesorgen hat. „Im Schnitt haben alle die gleichen Probleme“, sagt Gottschalk. Zwar könne man grundsätzlich schon feststellen, dass Bäckereien und Metzgereien oftmals etwas intensiver nach einem Nachfolger suchen müssen, als beispielsweise ein Metallbauunternehmen mit CNC-Technik. „Das Gewerk ist aber nicht der einzige Aspekt“, erläutert Gottschalk. „Wichtig sind ebenfalls eine ausgeglichene Personalstruktur, gute Lage und Stammkunden, eine attraktive Produktpalette und die Rentabilität des Betriebes.“
Die Energiewende
Kapitel 14 Das Handwerk als Schrittmacher von Andreas Knoch
Kapitel 14 Das Handwerk als Schrittmacher von Andreas Knoch
Gerade im Handwerk richtet sich der Blick der Unternehmen mehr und mehr auf den effizienten Verbrauch des Rohstoffs Energie. Denn Effizienz bedeutet Kosteneinsparungen. Studien der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) dokumentieren einen mittleren Anteil der Energiekosten von rund fünf Prozent an den Gesamtkosten kleiner und mittelgroßer Unternehmen. Die erwarteten Kosteneinsparpotenziale von Maßnahmen des Energiemanagements liegen im zweistelligen Prozentbereich.
Ökologie und Ökonomie
Energieeffizienz als Beitrag zu mehr Kosteneffizienz und größerer Wettbewerbsfähigkeit, das ist die Formel, mit der sich immer mehr Handwerksbetriebe dem Thema nähern. Doch ihr Engagement geht weit über reine ökonomische Interessen hinaus. Jede Maßnahme für eine bessere Energieeffizienz ist gleichzeitig eine Investition in das Wohlergehen unseres Planeten. Jedes Engagement bedeutet auch, soziale Verantwortung wahrzunehmen und einen Beitrag zum nachhaltigen Schutz der Umwelt zu leisten.
Ein Beispiel, wie Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand gehen, ist die Theo Beutinger GmbH aus Bad Saulgau (Landkreis Sigmaringen). Theo Beutinger, Chef des Fachbetriebs für Lackierungen und Beschriftungen, hat sich mit dem Thema Energieeffizienz bereits auseinandergesetzt, als an die Energiewende noch längst nicht zu denken war, als noch nicht einmal Energiesparen sonderlich viele Anhänger hatte. Schon Mitte der 1980er-Jahre rüstete der umtriebige Handwerker seine Lackieranlagen für die Wärmerückgewinnung um, blieb über die Jahre mit diversen Energie- und Umweltprojekten am Ball und setzte 2013 eine umfassende energetische Modernisierung um.
„Seitdem erzeugen wir Strom und Wärme mit einem Blockheizkraftwerk in Kombination mit einer Photovoltaikanlage“, erklärt Beutinger. Die gewonnene Energie wird sowohl in den Trocken- und Lackierkabinen als auch in den restlichen Betriebs- und Büroräumen genutzt. Die im BHKW anfallende Wärme ist der eigentliche Gewinn für den Handwerker, denn Lackierbetriebe haben ganzjährig einen hohen Wärmebedarf. Bei 70 Grad Celsius müssen die Farbschichten auf den lackierten Karosserien und Teilen über mehrere Stunden trocknen – ein energiefressendes Prozedere.
Mit der Umrüstung gelang es Beutinger, nicht nur die Energiekosten fast zu halbieren. Auch die Ökobilanz des Betriebes spricht für sich: Allein 42 Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid spart das BHKW im Vergleich zur alten Energieerzeugung. „Mit der Modernisierung sind wir heute energieneutral. Der Betrieb produziert in etwa so viel Energie, wie er verbraucht“, sagt der Firmeninhaber, der sich trotz seines Umweltengagements „konservativ“ verortet.
Beutingers Ziel, möglichst wenig Energie zu verbrauchen, möglichst viel Energie selbst zu erzeugen und Ressourcen mehrfach zu verwerten, brachte dem Unternehmen den renommierten Umweltpreis Baden-Württembergs in der Kategorie Handwerk ein.
Gleichwohl: Das Potenzial energieeffizienter Prozesse wird nach wie vor von vielen Firmen unterschätzt. „Die mit Abstand höchsten Einsparpotenziale gibt es regelmäßig bei thermischen Prozessen, etwa bei der Vermeidung oder Nutzung von Abwärme. Ein erhebliches Potenzial schlummert auch in den Druckluftsystemen vieler Unternehmen, und im Dienstleistungssektor sind es oftmals die Beleuchtungssysteme“, weiß Roman Zurhold, Projektleiter der Initiative Energieeffizienz der Deutschen Energie-Agentur.
Die Höhe der Einsparpotenziale ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Einige generelle Aussagen können aber dennoch getroffen werden: „Wegen der in den vergangenen Jahren erzielten Technologiesprünge lassen sich bei Beleuchtungssystemen bis zu 70 Prozent des Energieverbrauchs einsparen, bis zu 50 Prozent sind bei Druckluftsystemen möglich und rund 30 Prozent bei Pumpen-, Kälte- oder Lüftungssystemen“, so Zurhold.
Meisterliche Handwerker
Kapitel 15 Von Welt- und Europameistern von Andreas Knoch
Kapitel 15 Von Welt- und Europameistern von Andreas Knoch
Ein Jahr später, im Juni 2003, kommt es zum erneuten Aufeinandertreffen der beiden Zimmerleute: bei den Worldskills, den Weltmeisterschaften der Berufe, in den Messehallen der Genossenschaft Olma in St. Gallen. Und wieder ist es Schoch, der sich anfangs, mit dem Heimvorteil als Schweizer im Rücken, an die Spitze der Wettbewerber setzt. Doch Ströhle, der 23-Jährige aus Nellingen im Alb-Donau-Kreis hält dagegen. Über vier Tage liefern sich die beiden Handwerker ein packendes Duell auf Augenhöhe. Unter den strengen Blicken von erfahrenen Juroren und begleitet von mehr als insgesamt 100000 Zuschauern, die den zwölf Zimmerleuten penibel auf die Finger schauen, wird gezeichnet und gemessen, gesägt und gehobelt, geprüft und gepasst, gebohrt und geschraubt.
Habe ich alles richtig gemacht? Komme ich ohne Nachbearbeitung und damit ohne Punktabzug aus? Und vor allem: Passt am Ende alles zusammen? Ist das Projekt, eine komplizierte Dachkonstruktion die einem Fachwerkhaus im Kleinformat ähnelt, maßhaltig und sauber gearbeitet, ohne Spalten und ohne Verzug? Fragen, die Ströhle vier Tage lang immer wieder durch den Kopf schießen. Der Schweiß fließt mitunter in Strömen, permanente Konzentration bis in die Haarspitzen. Dann die Erlösung: 549 Punkte bekommt Ströhle für sein Modell. Platz eins. Weltmeister. Zusammen mit Stefan Schoch, der 551 Punkte einsammelt.
Beruflicher Spitzensport
Die Worldskills – das ist beruflicher Spitzensport. Das ist ein internationales Kräftemessen in mehr als 40Disziplinen, ein Leistungsvergleich zwischen Maurern, Bäckern, Schweißern, Elektrikern, Frisören, Floristen, Köchen, Modellbauern. Und das ist eine Veranstaltung, auf der das deutsche Handwerk – allen voran die Zimmerer – beständig vorne mitmischt. Bei der letzten Auflage im brasilianischen Sao Paulo trat Simon Rehm in die weltmeisterlichen Fußstapfen von Jochen Ströhle. Bei den Austragungen 2013 und 2011 in Leipzig und London erkämpften die deutschen Zimmerer jeweils dritte Plätze. Und auch in diesem Jahr, in Abu Dhabi, hofft das deutsche Team auf vordere Plätze. „Denn trainiert wird auf einem Leistungsniveau, vergleichbar mit dem olympischen Spitzensport“, ist Huber Romer, offizieller Delegierter des Team Germany, guter Dinge.
Die Zukunft des Kfz-Handwerks
Kapitel 16 Was passiert mit den Autoschraubern? von Michael Kroha
Kapitel 16 Was passiert mit den Autoschraubern? von Michael Kroha
Dass diese Revolution auch nicht vor dem Handwerk haltmacht, dessen ist sich auch Paul Doliwa aus Ludwigsburg bewusst, obwohl er gar kein Kfz-Handwerker ist.Paul Doliwa ist Fachinformatiker. Schon in der Schule habe ihn seine Lehrerin immer um Rat gefragt, wenn es Probleme mit der Technik gab. „Das hat mich schon immer interessiert“, sagt der 26-Jährige.
Doch inzwischen arbeitet er nicht mehr in einem reinen IT-Unternehmen. Seine Fähigkeiten werden in einer Autowerkstatt in Waiblingen im Rems-Murr-Kreis gebraucht. „In den Autos wird es in Zukunft immer mehr Elektronik geben“, sagt Doliwa. „Für die Fehlerdiagnose braucht man funktionierende Laptops. Da ist es aber oft nicht damit getan, diese nur ans Auto anzuschließen.“
Dass ein Fachinformatiker in einer Kfz-Werkstatt mitarbeitet, dieses Phänomen kennt Daniel Rösch vom Verband des Kraftfahrzeuggewerbes Baden-Württemberg bisher noch nicht. Ihm ist aber sehr wohl klar, dass die Autos der Zukunft komplexer werden: „Der Computer wird mehr Funktionen übernehmen“, sagt Rösch. „Das Onboard-System wird wichtiger als der Schraubenschlüssel.“ Angst und bange wird ihm vor dieser Entwicklung aber nicht. Die Kfz-Handwerksbetriebe hätten sich bereits in der Vergangenheit immer gut auf Veränderungen eingestellt und sich angepasst. 2003 entstand zum Beispiel aus den Berufen Kfz-Mechaniker und Kfz-Elektroniker die Mischform Kfz-Mechatroniker.
Fehler oft in der Elektronik
Vorbei scheinen aber die Zeiten, in denen der Mechaniker die Motorhaube aufmacht und mit nur drei Handgriffen das Auto wieder zum Laufen bringt. Es braucht Laptops, die richtige Software und das Know-how, um das Problem zu erkennen und später auch zu lösen.
Denn oft liegt der Fehler in der versteckten Elektronik, nicht in der Mechanik. Besonders häufig betroffen sind die vielen Steuergeräte, die von Marke zu Marke unterschiedlich aufgebaut sind. Weil viele Werkstätten aber nicht die passende Software haben, um das Steuergerät zu überprüfen, werde es oft einfach nur durch ein neues ersetzt, sagt Fachinformatiker Doliwa: „Doch das kostet viel Geld, ist unnötig teuer.“
In der Werkstatt in Waiblingen gibt es deshalb für jede Marke mindestens einen Laptop mit der entsprechenden Steuergeräte-Software. Und anstatt das nur teilweise defekte Steuergerät komplett auszutauschen, wird es aufwendig repariert. Wie, das will Werkstattchef, Tomasz Gorski, nicht im Detail verraten. „Das ist mein Patent“, sagt der gebürtige Pole. Seit drei Jahren lebt der 43-Jährige in Deutschland, seit einem Jahr werkelt der Kfz-Techniker in seinem „kleinen Labor“ im Schwabenland. Sein Wissen hat er sich auch über Internetforen und Schulungen im Ausland beigebracht.
Im Autoland Deutschland sei das Angebot an Fortbildungen in diesem Bereich begrenzt. Nach eigenen Angaben gebe es bundesweit nur drei weitere freie Werkstätten, die diese Art der Reparatur anbieten. Zu hoch seien die Anforderungen, zu viel teures Equipment werde benötigt, um die Elektronik zu reparieren. Viele Aufträge gelangen deshalb auch über Google und Ebay in die Werkstatt im Waiblinger Industriegebiet. Viele Kunden kommen aus der Schweiz, aber auch aus Chile, Brasilien, der ganzen Welt.
Die Anforderungen seien stetig gestiegen, und sie werden weiter steigen.Dessen ist man sich nicht nur im Kfz-Handwerk bewusst. Von Realitätsverweigerung könne deshalb keine Rede sein, meint Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks: „Jeder vierte Betrieb nutzt die moderne Technologie für die Produktion.“
Auch autonomes Fahren oder E-Mobilität werden das Kfz-Handwerk nicht überflüssig machen. „Der Beruf des Kfz-Mechatronikers wird sich weiter ändern, aber seine Berechtigung behalten.“ Zumal auch in der Werkstatt in Waiblingen nicht nur Fachinformatiker arbeiten, sondern auch Mechaniker, die das defekte Steuergerät zur Reparatur ausbauen und später wieder einbauen.
Wie aber das Auto der Zukunft – und damit auch das Kfz-Handwerk der Zukunft – genau aussehen wird, wagt niemand zu prophezeien. Auch nicht Karl-Heinz Goller, Ausbildungsleiter der Handwerkskammer Reutlingen: „In den nächsten 15 bis 20 Jahren wird noch so viel kommen, das können wir uns heute gar nicht vorstellen.“ Die Anforderungen würden insgesamt jedoch nicht zunehmen. Gewisse Dinge würden eher zur Routine übergehen: „Man muss nicht mehr können, sondern nur andere Dinge“, so der Ausbildungsleiter. „Vielleicht kommt aber auch etwas ganz anderes.“
Das Ende der kleinen Schrauber
In Ulm im Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) entsteht eine mögliche Zukunft des Automobils. Dort werden neue Batterien entwickelt. „Es wird spannend durch den Wechsel“, sagt Werner Tillmetz, Leiter des ZSW. Vor knapp 40 Jahren hätte es für Elektrogeräte wie Fernseher noch Handwerker gegeben. Die gebe es jetzt nicht mehr. „Und im übertragenen Sinne werden solche Dinge beim Auto auch passieren“, sagt Tillmetz. Bei Elektroautos würden Aufgaben wie beispielsweise der Ölwechsel wegfallen. Mitarbeiter, die mit Hochvoltleitungen zu tun haben, müssten dafür aber bestimmte Schulungen durchlaufen. „Das kostet viel Geld“, sagt Tillmetz.
Kleine freie Werkstätten werden sich diese Entwicklung nicht mehr antun können, so seine Prognose. Doch dass „Do-it-yourself-Autoschrauber“, wie Daniel Rösch sie nennt, bei der Entwicklung auf der Strecke bleiben, macht dem Kfz-Verband nichts aus. Im Gegenteil: Rösch hofft sogar, dass diese weniger werden. Der Grund: Die Sicherheit der Autos muss gewährleistet werden und dies gelinge am besten über zertifizierte Handwerker.Gorski will hingegen bald seine Werkstatt in Waiblingen vergrößern. Er ist sich sicher, dass auch mit Blick auf autonomes Fahren die Arbeit mit Steuergeräten nicht abnehmen wird. Sie werde zwar schwieriger, denn die Geräte sollen kleiner, aber mit noch mehr Leistung ausfallen.
Zusammen mit einem Kollegen will er auch ein Tesla-Auto kaufen, um herauszufinden, wie dort die Steuergeräte funktionieren und aufgebaut sind. Denn das, so glaubt er, „wird die Zukunft sein“.Doch ähnlich wie das Unternehmen Tesla, das aus dem Nichts – also ohne Automobilhistorie – entstanden ist, könnten auch Unternehmen wie Google in den Markt eintreten. „Weil sie Geld haben ohne Ende, können sie einfach sagen: ,Ich kauf mir jetzt eine Autofirma’“, so Tillmetz. Mit ihren Angeboten wie Google Maps hätten sie beste Voraussetzungen für autonomes Fahren.
„Das sind neue Themen, die die Menschen dazulernen müssen“, so Tillmetz. Darauf müsse sich auch das Kfz-Handwerk bei zunehmender Elektrifizierung einstellen: Der Umgang mit Computern wird umfangreicher und komplexer. „Da hinken wir hinterher“, sagt der Leiter des ZSW. In vier oder fünf Jahren, so glaubt er nämlich, werde E-Autofahren – wie jetzt zum Beispiel schon im US-Bundesstaat Kalifornien – zum Hype werden. Ein Aussterben des klassischen Handwerks sieht er durch die Veränderungen dennoch nicht: „Eine Welt ohne Handwerker würde nicht funktionieren.“
Das KFZ-Handwerk im Wandelvon Michael Kroha
Das Serviceproblem
Kapitel 18 Die Suche nach dem guten Handwerker Von Andreas Knoch
Kapitel 18 Die Suche nach dem guten Handwerker Von Andreas Knoch
Nach Informationen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks müssen Verbraucher in den Bau- und Ausbaugewerken wie etwa im Bereich Sanitär, Heizung und Klima, bei den Fensterbauern und bei den Elektrikern derzeit bis zu zehn Wochen auf einen Termin warten. Neben der hohen Nachfrage leiden genau diese Gewerke auch stark unter dem Fachkräfte- und Nachwuchsmangel. Sie können offene Stellen nicht besetzen und so auch nur weniger Aufträge abarbeiten, als es die Kunden gerne hätten. Auch wenn die Verfügbarkeit regional unterschiedlich ausfallen kann: Bauherren sollten frühzeitig, mindestens drei Monate vor dem geplanten Termin beginnen, entsprechende Betriebe zu kontaktieren.
Nähe ist wichtig
Doch damit fängt das eigentliche Problem für viele Bauherren erst an. An wen wende ich mich mit meinem Bauvorhaben? Über das Internet, wird einem vielfach suggeriert, sei die Suche nach einem passenden Handwerker heutzutage ein Kinderspiel. Portale wie myhammer.de vermitteln Kontakte: Einen Auftrag mit der Beschreibung der Arbeiten in eine Maske eingeben, kostenlos und unverbindlich Angebote verschiedener Firmen einsammeln und das mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis auswählen.
Doch was sich theoretisch so einfach anhört, ist es in der Praxis nicht. Zum einen ist das billigste Angebot nicht automatisch auch das Beste. Zum anderen erschwert das Internet in gewisser Weise sogar die Suche nach dem passenden Handwerker. Während sich die Kunden früher durch die Gelben Seiten wühlten oder zum Dienstleister um die Ecke gingen, haben sie im Netzt einen viel größeren Aktionsradius. Damit steigt zwangsläufig auch die Gefahr, an den Falschen zu geraten oder am Ende zu viel zu bezahlen.
Um die Anfahrtskosten in Grenzen zu halten ist es ratsam, eine Firma in der Nähe zu beauftragen. „Nähe ist für Privatkunden ganz wichtig“, sagt Artur Strobel, Chef der gleichnamigen Holzbaufirma aus Ebenweiler (Landkreis Ravensburg). Zum einen wegen der Anfahrtskosten, die sich bei großen und langen Bauvorhaben schnell auf substantielle Beträge summieren können. Zum anderen wegen des Zugriffs. Denn mit der Entfernung zur Baustelle steigen in der Regel auch die Schwierigkeiten, bei Problemen schnell und unkompliziert Abhilfe schaffen zu können. Bauherren, so Strobel, sollten im Zweifel lieber ein paar Wochen länger warten und auf ortsansässige Firmen zurückgreifen.
Impressum
Impressum
Benjamin Wagener, Marlene Gempp, Moritz Schildgen, Andreas Knoch, Ludger Möllers, Michael Kroha
Fotos
Andreas Knoch, Marlene Gempp, Moritz Schildgen, Ludger Möllers, Derek Schuh, Michael Kroha, dpa, Colourbox, HWK Reutlingen, HWK Ulm, Birk Bau, Hochschule Ravensburg-Weingarten, HFM Mende, Lukas Unseld
Videos
Marlene Gempp, Andrea Pauly, Christian Schellenberger, Anna Kratky, Michael Scheyer, Michael Kroha, Zentralverband des Handwerks
Storytelling
Yannick Dillinger
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