Und junge Menschen interessieren sich doch
Ein Storytelling von Johannes Wick, Raban Bottke, Levin Kubeth, Lara Baumberger und Selina Breuer
Snapchat
Journalismus in zehn Sekunden
Journalismus in zehn Sekunden
von Levin Kubeth
Der Satiriker Jan Böhmermann hat vor ein paar Wochen Twitter boykottiert und sich daraufhin aus Trotz bei dem Instant-Messaging Dienst Snapchat angemeldet. Er gab kund: „So scheiße ist es hier gar nicht“. Um Snapchats Ruf geistert ein Vorurteil: Snapchat – ein Nacktbild-Messenger für Jugendliche.
Ja, Snapchat hat viele junge Nutzer. Sechzig Prozent der Konsumenten sind, nach Angaben des Unternehmens, zwischen dreizehn und vierunddreißig Jahre alt (USA). Sie reizt es, vom Handy Bilder oder Videos mit kurzen Texten an Snapchat-Freunde zu schicken. Das Besondere: Die Nachrichten unter dem Logo eines gelben Geistes lösen sich sofort auf oder sind höchstens 24 Stunden sichtbar.
Das junge Alter der Snapchat-Nutzer und die Tatsache, dass es täglich über zehn Milliarden Videoaufrufe über Snapchat gibt und damit mehr als bei Facebook, ist interessant für große Medienhäuser. In Deutschland hat Snapchat rund zweieinhalb Millionen aktive Nutzer.
Die Frage, ob Medien Snapchat als wichtigen Zugang für Jugendliche gebrauchen können, ist noch nicht geklärt, aber einiges spricht dafür. Hier kommt die „Story“-Funktion dem Journalismus zugute: Dabei lassen sich Fotos und Videos aneinanderreihen, um eine Geschichte zu erzählen, welche die Abonnenten vierundzwanzig Stunden lang anschauen können.
Die Politik nutzt Snapchat – zumindest in den USA. Bernie Sanders und Hillary Clinton haben im Wahlkampf über den gelben Geist auch junge Wähler erreicht. Der Vorteil an Snapchat ist, so scherzte Clinton einmal, dass sich die „Snaps“ selbst zerstören – im Gegensatz zu ihren E-Mails. In Deutschland haben die Junge Union und die CSU einen Account. Das Europaparlament snappt ebenfalls regelmäßig.
Redaktionell sieht es noch mau aus, aber mehr und mehr Verlage nutzen Snapchat. Die „Bild“, „Bento“ (Jugendseite von „Spiegel Online“) und das „Funkhaus Europa“ snappen einigermaßen regelmäßig über die aktuelle Nachrichtenlage.
Das amerikanische Technikportal „The Verge“ stellt schon eine kleine Snapchat-Redaktion. Verschiedene Spezialisten präsentieren dort Produkte oder Updates.
Snapchat hat sich seine engen Grenzen gesetzt. Diese kreativ auszunutzen, ist aber das, was den Dienst ausmacht. Auf achtzig Zeichen reduziert, können Nutzer Bilder und Videos mit Text versehen. Die Länge der Videos ist auf zehn Sekunden begrenzt. Jeder muss also im Voraus überlegen, was er wie darstellen will, damit der Satz am Ende des Snaps nicht unterbrochen wird.
Vorteil der kurzen Snaps: simpel und authentisch
Den Vorteil sieht der Journalist und Blogger Richard Gutjahr (Snapchat: richardgutjahr) in der „Nähe und Unmittelbarkeit“, die man mit Snapchat erreicht. Da man Videos in Snapchat nur geringfügig nachbearbeiten kann, stellen sie mit ihrer simplen Art die Dinge authentisch dar. Gutjahr ist wohl der Snapchater in Deutschland, der sich die meiste Mühe gibt. Seine Geschichten gleichen einem Kunstwerk. Deshalb wurde er in der Kategorie „Snapchat“ auch als Blogger des Jahres ausgezeichnet.
In Snapchat gibt es keinen „Gefällt-mir“-Button, retweetet wird auch nicht. Das sollte aber kein Grund dagegen für Medienhäuser sein. Nutzer bekommen dafür eine Ansicht, wer und wie viele Personen jeden einzelnen Snap gesehen und ein Bildschirmfoto aufgenommen haben. Dadurch bekommen die Nutzer einen Überblick, wie die Snaps angekommen sind. Wird die Zuschauerzahl von Beitrag zu Beitrag kleiner, weiß der Nutzer, dass das Gezeigte weniger gut ankam; bleiben die Zahlen konstant, kann er das als Erfolg sehen.
Bei einem Gespräch Anfang März war Matthias Streitz, zuständiger Chef für Mobiles bei „Spiegel Online“, noch unschlüssig, ob Snapchat profitabel für seine Nachrichtenseite sein könnte. Für eine professionelle Nutzung wäre ein Produktionsteam von Nöten. Er beobachtet zwar mit Interesse, wie US-Medien mit dem Dienst umgehen und glaubt, dass Snapchat eine tolle Möglichkeit sei, smartphonegerechte Geschichten zu erzählen, fand vor vier Monaten aber Live-Dienste wie „Periscope“ oder „Facebook-Live“ interessanter für Journalisten. „Spiegel Online“ hat mittlerweile einen eigenen Account.
Anders drückt das der Journalist Mario Sixtus bei Twitter aus: „Ich halte Snapchat journalistisch für einen überhypten Ort, auch wenn Menschen viel Zeit dort verbringen. Das tun sie auf dem Klo auch.“
Nachdem Jan Böhmermann doch nicht mehr auf Twitter verzichten konnte, beendete er seine kurze Snapchat-Karriere mit dem Standardvorurteil. „Hier bei Snapchat ist es nämlich scheiße. Nur Pimmel und …“ Dann waren die zehn Sekunden Aufnahmezeit schon vorbei.
Link: So snappt die deutsche Politik
Was Medien in Terrorzeiten mit uns machen
Was Medien in Terrorzeiten mit uns machen
Von Selina Breuer und Lara Baumberger
Die Studien der Psychologin Mary McNaughton-Cassill von der Universität Texas belegen, dass bestimmte Typen von Nachrichten emotionalen Stress verursachen. Erfolgsorientierte, ungeduldige und unruhige Menschen mit Charaktereigenschaften wie Reizbarkeit, Misstrauen oder Feindseligkeit sind besonders stressanfällig. Die größten Effekte erzielen dabei traumatische Ereignisse, die in Echtzeit zugestellt werden. „Es gibt so viele Nachrichten und Kanäle, die im Wettbewerb miteinander stehen und daher ständig versuchen, noch spektakulärer zu berichten”, erklärt McNaughton-Cassill.
Depressionen werden nicht nur durch genetische Faktoren oder beispielsweise frühkindliches Trauma ausgelöst. Eine wichtige Rolle spielt auch, wie Menschen die Welt wahrnehmen. Wer das Gefühl hat, kaum Einfluss auf sein Schicksal zu besitzen und dass jederzeit alles Mögliche passieren kann, wird leichter depressiv. Die schwerste psychologische Folge von Katastrophen ist die posttraumatische Belastungsstörung: Die Betroffenen werden von Erinnerungen an das Unglück verfolgt, wollen jedoch nicht daran erinnert werden und finden keine Ruhe.
Terrorangst macht manchen Menschen Herzprobleme
11. September 2001 − der Terroranschlag hat eine Kettenreaktion ausgelöst: Durch die Echtzeitberichterstattung waren viele vom posttraumatischen Stresssyndrom, einer Angststörung, betroffen. Die Bilder lassen den Fern-Zuschauer an dem traumatischen Geschehen teilhaben, sie geistern bis heute in den Köpfen vieler Menschen herum. Jürgen Margraf von der Universität Basel konnte nachweisen, dass in diesem Zeitraum in der Schweiz die Zahl der Behandlungen wegen Depressionen und Ängsten um etwa ein Drittel anstieg. Diese Krankheiten haben mehr Schäden angerichtet als die Anschläge selbst.
Nicht nur die Psyche reagiert auf schlechte Nachrichten empfindlich. Viele Menschen bekommen durch den Stress Herz- und Kreislaufprobleme, was eine Untersuchung belegte, die 2008 in den Archives of General Psychiatry erschienen ist. Besonders betroffen waren Menschen, die sich direkt nach der Katastrophe stark mitgenommen fühlten. Hatte jemand dauerhaft Angst vor Terroristen, vervierfachte sich sein Risiko für Herzprobleme.
Laut dem Wissenschaftler Jürgen Margraf sollte man sich des Einflusses von negativen Meldungen auf die eigene Psyche bewusst sein: „Man kennt ja das angenehme Gefühl im Urlaub, wo wir oft tagelang keine Meldungen erhalten und zufrieden und entspannt den Alltag genießen können. Das heißt natürlich nicht: nie wieder Tagesschau & Co. Aber der Mensch braucht auch Hoffnungsfrohes, Optimistisches, Lebensbejahendes, um seine Resilienz zu stärken.“
Über uns
Über uns
Das Ziel dieses Storytellings ist es, die Zusammenhänge von Politik und Medien unter Jugendlichen darzustellen und zu zeigen, welche Folgen der Medienkonsum hat.
Johannes Wick
Johannes Wick, Jahrgang 1998, interessiert sich für Politik und konnte nicht glauben, dass er damit einer Minderheit angehört. Besonders interessiert hat ihn, auf welche Art und Weise sich Jugendliche engagieren. Aus dieser Motivation heraus ist sein Artikel entstanden.
Raban Bottke
Raban Bottke, Jahrgang 1998, beobachtet schon länger die politische Teilhabe in seiner näheren Umgebung und war der Überzeugung, dass seine Generation in politischer Lethargie verfällt. Um das zu beweisen, beschäftigte er sich mit dem Engagement von Jugendlichen und wurde eines Besseren belehrt.
Levin Kubeth
Levin Kubeth, Jahrgang 1998, war selbst skeptisch gegenüber dem gehypten Dienst Snapchat. Nach einiger Nutzung sah er aber den Mehrwert, den Snapchat bietet, wenn man den richtigen Leuten folgt. Besonders fand er die vielfältigen Möglichkeiten zur Kreativität.
Lara Baumberger
Lara Baumberger, Jahrgang 1997, interessiert sich besonders für die zahlreichen positiven und negativen Einflüsse, die Medien auf die Psyche haben. Journalistisches Arbeiten war für sie eine neue Herausforderung, durch die sie vor allem gelernt hat, was Teamarbeit und Kommunikation bedeuten.
Selina Breuer
Selina Breuer, Jahrgang 1998, untersuchte in diesem Projekt die Macht der globalen Medien im Angesicht von Terror und Katastrophen. Sie hat bei ihrer Recherche den Eindruck gewonnen, dass heutzutage nur noch die schlechten Geschehnisse als Schlagzeile bewusst werden. So entstand die Idee, die Auswirkungen dieser schlechten Nachrichten herauszuarbeiten.