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Krähen-Streit in Laupheim

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Ein schwieriges Verhältnis: Laupheim und die Saatkrähen

Wäsche an der Leine, mit Vogelkot bespritzt. Anwohner, Spaziergänger und Friedhofsbesucher, die über einen unzumutbaren Lärmpegel klagen: Immer wieder haben Saatkrähen in Laupheim die Emotionen hochkochen lassen.

Die Stadt arbeitet daran, die Vögel aus dem Zentrum in Randgebiete umzusiedeln. Ein Falknerteam spielt dabei die Schlüsselrolle. Doch mit dem Einsatz gehen hohe Kosten und Umweltauflagen einher – denn Saatkrähen stehen unter Naturschutz.
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Was bisher geschah

Abschüsse, Nervengift und schwarze Tücher

Aus dem Archiv: Schwäbische Zeitung, 16.05.1995: „Mehr als 50 Saatkrähen sterben qualvollen Tod“. 
Aus dem Archiv: Schwäbische Zeitung, 16.05.1995: „Mehr als 50 Saatkrähen sterben qualvollen Tod“. 
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Ärger mit Saatkrähen gibt es in Laupheim schon lange: Seit fast drei Jahrzehnten nisten sie in ungewöhnlich hoher Zahl im Stadtgebiet.

1991
Rund 150 Krähenpaare haben den Laupheimer Friedhof besiedelt. Im Gemeinderat wird der Abschuss der Vögel beantragt. Das Thema findet überregionale Beachtung in Rundfunk und Fernsehen. Unbekannte vergiften etwa 60 Vögel. 

1992
Ein akustisches Vogel-Vergrämungsgerät kommt zum Einsatz. Die Folge: Die Kolonie splittet sich auf und breitet sich weiter in der Stadt aus. Wieder werden Vögel vergiftet.

1993
Das Entfernen von Nestern und schwarze Tücher an Bäumen sollen die Saatkrähen vertreiben.

1994
Erneut sterben Krähen den Gifttod.

1998
Mit Jagdfalken wird versucht, den Krähen ihren Nistplatz madig zu machen. Der gewünschte Effekt bleibt aus.











Aus dem Archiv: Schwäbische Zeitung, 16.05.1995: „Mehr als 50 Saatkrähen sterben qualvollen Tod“. 
Aus dem Archiv: Schwäbische Zeitung, 16.05.1995: „Mehr als 50 Saatkrähen sterben qualvollen Tod“. 
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2006 hängen Mitarbeiter des städtischen Bauhofs und der Feuerwehr Uhu-Attrappen in Bäumen auf. Diese haben Laupheimer Schüler bemalt. Aber auch davon lassen sich die Saatkrähen nicht beeindrucken - der Vergrämungsversuch scheitert.
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Die Vergrämung

Wüstenbussard Lisa jagt ohne Beute

Lisa gehört neben sechs weiteren Greifvögeln zum Falknerteam.
Lisa gehört neben sechs weiteren Greifvögeln zum Falknerteam.
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Manchmal müssen auch Wüstenbussarde Fahrstuhl fahren: grelles Neonlicht in der Kabine, die Tür schließt, hinauf geht es in den obersten Stock. Der Greifvogel hockt auf der linken Hand von Leo Mandlsperger, scharfe Krallen bohren sich in den robusten Handschuh.

Die rechte Hand des 68-Jährigen ist mit kleinen Wunden übersät. „Manchmal kann Lisa nicht so recht zwischen Fingern und Futter unterscheiden“, erzählt Mandlsperger und zuckt mit den Schultern. „Das gehört zum Job.“

Die Fahrstuhltür öffnet sich, ein paar Treppenstufen muss der Falkner aus Oberbayern noch hinaufsteigen. Dann steht er auf dem Dach der Sana Klinik. Der Morgen graut. Mandlsperger nimmt Lisa die dunkelrote Haube ab, die ihre Augen verbirgt; daraufhin breitet sie ihre Flügel aus und steigt in die Lüfte.
Lisa gehört neben sechs weiteren Greifvögeln zum Falknerteam.
Lisa gehört neben sechs weiteren Greifvögeln zum Falknerteam.
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Mandlsperger ist nicht gekommen, um die Aussicht zu genießen. Seine Mission: Er soll Saatkrähen aus dem Stadtgebiet vergrämen – unter anderem aus dem Schlosspark, der an das Krankenhaus grenzt. Bereits das dritte Jahr in Folge ist er mit seinem Team, das aus vier Falknern besteht, in Laupheim.

Dies lässt sich die Stadt einiges kosten: Für den aktuellen Einsatz hat der Gemeinderat 90 000 Euro bewilligt und das Landratsamt Biberach eine Sondergenehmigung erteilt, die noch längstens bis zum 15. April gültig ist. Denn Saatkrähen sind vom Gesetz streng geschützt: Sobald die Eiablage beginnt, müssen die Falkner sie in Ruhe lassen.
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Der Wüstenbussard steuert eine Baumkrone an, lässt sich kurz nieder und steigt dann wieder auf, um eine weitere Runde über dem Gelände zu drehen. So hat es Leo Mandlsperger dem Greifvogel beigebracht.

„Bei der Vergrämung nutzen wir die natürlichen Instinkte der Saatkrähen aus“, erklärt er. „Sie bauen ihr Nest nicht an Orten, an denen sie sich bedroht fühlen.“ Entscheidend ist, dass die Greifvögel zu verschiedenen Zeiten auftauchen. Denn Krähen sind schlaue Tiere; sie durchschauen wiederkehrende Abläufe. Damit die Bedrohung glaubwürdig bleibt, greifen die Falkner auf einen Habicht zurück, der manchmal wirklich Beute machen darf.


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Doch dies ist das letzte Mittel
. „Unser Auftrag ist nicht, Saatkrähen zu töten, es geht um Vergrämung“, betont Mandlsperger. Singvögel und Enten, die im Schlosspark leben, haben dabei nichts zu befürchten – die Greifvögel sind ausschließlich auf Saatkrähen trainiert.
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Leo Mandlsperger zückt sein Telefon, um sich mit seiner Kollegin abzustimmen.
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Lillian Hartmann
gehört ebenfalls zum Team und steht auf der anderen Seite des Schlossparks. Die 19-Jährige schwingt eine Attrappe, einen Stecken mit einer langen Schnur, an der zwei Flügel von toten Krähen befestigt sind. Parallel dazu zieht der Wüstenbussard am Himmel seine Kreise.

„Manchmal trainieren wir auch Wanderfalken mit der Attrappe, vor den Augen der Saatkrähen“, erklärt sie. „Das nennt man Federspiel.“ Der Effekt: Die Saatkrähen bringen die Attrappe mit Greifvögeln in Verbindung und flüchten.
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Aufgezeichnete Warnschreie von Artgenossen schallen aus Lautsprechern, die das Falknerteam im Schlosspark installiert hat – so verstärken sie den Effekt zusätzlich.

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Die Falkner kehren erst bei Sonnenuntergang in die Wohnung zurück, die ihnen die Stadt stellt, auch am Wochenende. „Wir müssen immer präsent sein“, betont Mandlsperger. „Denn die Krähen richten sich nicht nach irgendwelchen Arbeitszeiten.“

Abends legt der Falkner Lisa wieder die dunkelrote Haube an, die ihre Augen verdeckt. Mit dem Fahrstuhl geht es wieder vom Krankenhausdach hinunter.

Im Wagen wartet bereits Hündin Bella auf dem Rücksitz, neben ihr eine Stange. Dort setzt Mandlsperger das Wüstenbussardweibchen ab. Streit gibt es keinen zwischen Hund und Vogel, versichert der Falkner und schmunzelt. „Die Tiere sind von klein auf aneinander gewöhnt.“
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Im Video erklären Lillian Hartmann und Leo Mandlsperger, worauf es bei der Vergrämung ankommt.
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Die Diskussion

Wie umgehen mit den Saatkrähen?

Bei dieser Frage kochen bei vielen Laupheimern die Emotionen hoch. Auf der einen Seite Anwohner, die zum Teil sogar den Abschuss der Vögel befürworten. Auf der anderen Seite Tierschützer, die eine Umsiedlung unterstützen, sofern diese dem Status der Saatkrähe als geschütztem Vogel gerecht wird – oder vehement gegen jegliche Form der Umsiedlung protestieren.


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Neben Anwohnern, Tierschützern und Politikern müssen sich auch die Kreisjägervereinigung Biberach sowie das in Laupheim stationierte Hubschraubergeschwader 64 der Luftwaffe mit den Saatkrähen auseinandersetzen.

In der Vergangenheit ist die Debatte teils mit viel Polemik geführt worden. Deshalb möchte sich die Laupheimer Ortsgruppe des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) in der Sache nicht mehr öffentlich äußern.

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Der Vogelkundler Klaus-Wolfgang Bommer beschäftigt sich seit den Siebzigern mit dem Vorkommen der Saatkrähen in Laupheim. Er fordert, dass die Vögel während der gesamten Brutperiode den gesetzlichen Schutz genießen. Seine Sichtweise:

„Früher lebten die Saatkrähen in Feldgehölzen und wurden dort von Menschen verfolgt. Die Vögel flohen 1990 in die Stadt Laupheim und wurden seitdem in jedem Jahr zum Beispiel durch schwarze Abwehrfahnen, Feuerwerkskörper, Vergiftungen, Abschüsse oder Fällen der Brutbäume verfolgt. Zu Unrecht wurde den Saatkrähen unterstellt, Weißstörche mit Angriffen an der Brut zu hindern, kleine Singvögel zu dezimieren oder Unglück und Tod mit sich zu bringen.

Durch die zahlreichen Verfolgungen splitterten die Kolonien auf und verteilten sich über das gesamte Stadtgebiet. Die Liste der seit nunmehr fast 30 Jahren mit ,Ausnahmegenehmigungen‘ verharmlosend bezeichneten ,Vergrämungen‘ inmitten der Brutzeit ist lang und wurde in jüngster Zeit durch einen Falkner verstärkt, der nicht nur den Saatkrähen mit mehreren Greifvögeln nachstellt, sondern auch bis Mitte April alle erreichbaren Nester abräumt. Die Entscheidung des Landratsamtes Biberach, wonach die streng geschützten Saatkrähen bis zum 15. April ,vergrämt‘ werden dürfen, sofern sie nicht vorher mit der Eiablage begonnen haben, ist höchst verwerflich und dubios zugleich. Wer führt die Nestkontrollen überhaupt durch? Der Falkner, Mitarbeiter der Stadtverwaltung, das Landratsamt oder gar neutrale Vogelkundige?

Die Verfemungen und Verfolgungen von Saatkrähen sind im vermeintlich aufgeklärten 21. Jahrhundert als eine Kulturschande ohnegleichen anzusehen. Der Lärm durch Straßenverkehr und die Übungsflüge von Luftwaffe-Hubschraubern sind wesentlich größer als die Lautäußerungen der Saatkrähen.“
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Die Auswirkungen

Anwohner atmen auf

Die Bilanz in Zahlen: In den meisten Gebieten ist die Krähenpopulation zurückgegangen.
Die Bilanz in Zahlen: In den meisten Gebieten ist die Krähenpopulation zurückgegangen.
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„Wir leben jetzt in einer völlig neuen Lage“ – da sind sich Sabine Kölle, Werner Sobotzik und seine Frau Ruth einig. „Die Verkotung und die Lärmbelästigung haben sich wesentlich verbessert“, sagt Werner Sobotzik. Es sei wieder möglich, die Terrasse zu benutzen und die Wäsche draußen aufzuhängen. Dass hier und da mal eine Saatkrähe unterwegs ist, nehmen die Anwohner des Schlossparks hin.

Doch nicht alle Laupheimer sind zufrieden.
Die Bilanz in Zahlen: In den meisten Gebieten ist die Krähenpopulation zurückgegangen.
Die Bilanz in Zahlen: In den meisten Gebieten ist die Krähenpopulation zurückgegangen.
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Inzwischen hält sich ein Großteil der Saatkrähen am Grundgraben auf, einem Landstrich am Stadtrand. Etwa 80 Anwohner unterstützten im April 2018 ein Schreiben an das Rathaus: Sie beklagten das Ausmaß der Saatkrähenpopulation und die damit verbundene Belästigung durch Lärm und Kot.

Die Saatkrähen werden die Stadt Laupheim wohl noch weiterhin beschäftigen.
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Impressum

Umsetzung, Videos, Grafik, Fotos
Christoph Dierking, Archiv, Imago

Texte
Christoph Dierking; Archiv: Beate Reuter-Manz, Thomas Freidank

Verantwortlich
Yannick Dillinger

Copyright
Schwäbische Zeitung 2019 - alle Rechte vorbehalten

Kontakt
www.schwaebische.de
Karlstraße 16
88212 Ravensburg
Telefon 0751 / 2955 5555
online@schwaebische.de

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Werner Sobotzik wohnt in unmittelbarer Nähe des Schlossparks in Laupheim. An die Situation in den Jahren 2013 und 2014 kann er sich noch gut erinnern – damals hat er die Belastung durch die Saatkrähen besonders schlimm empfunden. 
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Dieter Mielke ist stellvertretender Kreisjägermeister in Biberach. Zuletzt haben Jäger in Laupheimer Revieren auf die legale Bejagung der Rabenkrähen verzichtet. Rabenkrähen haben dieselben Futtergründe wie Saatkrähen, stehen aber nicht auf der roten Liste der bedrohten Arten. 

Grund für den Jagdverzicht: Die Saatkrähen erkennen nicht, dass die Schüsse nicht ihnen gelten – so lautet zumindest das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2015, die der Landkreis Biberach in Auftrag gegeben hat.

Die Jäger begegnen dieser These mit Skepsis. „Wenn wir auf die Bejagung der Rabenkrähe verzichten, geben wir einen Teil des Niederwilds auf.“ Denn Rabenkrähen sind Allesfresser, die Rebhühner und Kiebitze schlagen – ebenfalls bedrohte Tierarten. Ein Zielkonflikt. Trotzdem hat sich die Kreisjägervereinigung auf Jagdbeschränkungen eingelassen: „Damit es später nicht heißt, die Saatkrähenumsiedlung sei an uns gescheitert.“
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Lillian Hartmann, Falknerin

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Hubert Baur, Leiter des Kreisumweltamts Biberach, erklärt:

„Wenn Saatkrähen unter Stress stehen, setzt der Überlebensinstinkt ein und sie vermehren sich besonders stark.“

Deshalb komme es darauf an, ihnen in Außenbereichen attraktive Lebensräume zu bieten, in denen sie ausreichend Nahrung und Nistplätze finden und in Ruhe gelassen werden. „Dann können sich die Kolonien wieder festigen.“
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Rudolf Blaschke ist stellvertretender Kommodore des Hubschraubergeschwaders 64 in Laupheim.

Für Fragen des Artenschutzes hat sich das Landratsamt Biberach nicht zuständig erklärt. Das Luftfahrtsamt der Bundeswehr hat grünes Licht für den gezielten Abschuss einzelner Vögel gegeben, wenn andere Vergrämungsmaßnahmen nicht funktionieren.
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