Hinweis

Für dieses multimediale Reportage-Format nutzen wir neben Texten und Fotos auch Audios und Videos. Daher sollten die Lautsprecher des Systems eingeschaltet sein.

Mit dem Mausrad oder den Pfeiltasten auf der Tastatur wird die jeweils nächste Kapitelseite aufgerufen.

Durch Wischen wird die jeweils nächste Kapitelseite aufgerufen.

Los geht's

Motorradlärm - Die Reportage

Logo https://stories.schwaebische.de/motorradlarm-pageflow

Einleitung

Vom Donautal bis ins Allgäu: Im Südwesten Deutschlands schlängeln sich vielerorts kleine kurvige Straßen durch die Landschaft. Gerade an sonnigen Wochenenden bieten die Serpentinen in der Region perfekte Routen für Motorradfahrer.

Was für die einen Spaß bedeutet, sorgt für Frust bei Anwohnern. Sie klagen seit Jahren über Motorradlärm. Aber ist Besserung in Sicht? Und was sagen die Motorradfahrer selbst dazu? Schwäbische.de schaut in dieser Reportage genau hin.
Zum Anfang
Nach oben scrollen
Nach links scrollen
Nach rechts scrollen
Nach unten scrollen

Motorradsound: schöner Klang oder nerviger Lärm?

So klingt diese Kawasaki Z1000 beim Vorbeifahren in unterschiedlichen Motordrehzahlen. Die Maschine ist mit einer Lautstärke von 91 db (A) zugelassen.

Zum Anfang
Zum Anfang
August 2020

Recherche, Texte und Umsetzung:

Simon Schwörer

Fotos:
Simon Schwörer,  Verkehrsministerium Baden-Württemberg, Thomas Marwein/ privat, Thomas Dörflinger/privat, Philip Leistner/privat, Swen Pförtner/dpa (Motorradfahrer in Kapitelübersicht), Oliver Berg/dpa (Motorradheck Kapitel 1, Polizeikontrolle Kapitel 3), Daniel Bockwoldt/dpa (Lärmmessung Kapitel 3), Armin Weigel/dpa (Lärmdisplay Kapitel 2), Felix Kästle/dpa (Motorradfahrer Kapitel 1), Lena Müssigmann (Polizeipräsidium RV Kapitel 3), Andy Heinrich (Bikerdemo Kapitel 5).

Video und Audio:
David Weinert, Katharina Höcker

Schnitt:
David Weinert

Verantwortlich:
Steffi Dobmeier, stv. Chefredakteurin und Leiterin digitale Inhalte
Schwäbische Zeitung
Karlstraße 16
88212 Ravensburg
www.schwaebische.de 








Zum Anfang

Fazit/ Ausblick

0:00
/
0:00
Audio jetzt starten
Zurück bei Thomas Wagner. Der Anwohner einer Motorradstrecke in Wangen im Allgäu wünscht sich endlich mehr Ruhe. Doch der 60-Jährige ist kein Freund von Fahrverboten. Schließlich fährt er auch selbst hin und wieder Motorrad.

Wagner hofft nun, dass zumindest die Motorradfahrer zur Vernunft kommen, die auf der Strecke an seinem Hof oft mehrmals hintereinander auf und ab fahren.

Denn: gewöhnt hat er sich in all den Jahren nicht an den Motorradlärm, wie er im Audio-Interview verrät. 

Audio öffnen

Zum Anfang
Und wie es aussieht, bleibt die Situation für Wagner und andere Anwohner von Motorradstrecken im Südwesten erst mal wie sie ist. Denn der Beschluss des Bundesrats gegen Motorradlärm ist kein Gesetz, sondern nur eine Empfehlung an die Bundesregierung. Diese entscheidet, wann und ob sie darauf reagiert. Feste Fristen gibt es dafür nicht.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kündigte 2020 als Reaktion auf die Biker-Proteste an, er wolle die Beschlüsse nicht umsetzen: „Wir haben ausreichende, geltende Regeln.“

Thomas Dörflinger (CDU) appelliert an die Motorradfahrer, rücksichtsvoller durch Ortschaften zu fahren. Das bringe eine schnelle Besserung. Längerfristig gehe es dann um Nachrüstungslösungen und die Genehmigung neuer Fahrzeuge. 

Thomas Marwein (Grüne) fordert von den Herstellern, sofort leisere Motorräder zu bauen. Er sieht auch in der Elektromobilität eine Lösung für das Lärmproblem, ebenso in der Aufklärung der Fahrer
 
Für das baden-württembergische Verkehrsministerium ist klar: Der Trend der lauten Motorräder müsse umgekehrt werden. „Es werden Millionen für den Lärmschutz ausgegeben, um den Lärm, der von Straßenverkehrsquellen abgegeben wird, zu reduzieren.“ Das sei ein großer Widerspruch, heißt es vom Ministerium.   





Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Läuft es am Ende also erst mal auf eine versöhnliche Einigung in der emotionalen Diskussion zwischen Anwohnern und Motorradfahrern hinaus?  Im Videointerview machen Beteiligte ihren Standpunkte deutlich.

Video öffnen

Zum Anfang

Wie sich Motorradfahrer wehren

Umfrage: Soll die Lautstärke von Motorrädern stärker begrenzt werden?

Die Motorradfahrer  Andreas Netzer (von links), Michael Rude und Andreas Tschugg-Reich erklären ihre Sicht der Dinge.
Die Motorradfahrer Andreas Netzer (von links), Michael Rude und Andreas Tschugg-Reich erklären ihre Sicht der Dinge.
Vollbild
Andreas Tschugg-Reich (33): „Ich glaube nicht, dass es richtig ist zu sagen: Ihr dürft nur noch so viel Dezibel an Lärm produzieren. Das ist, als würde man in eine Diskothek oder einen Biergarten gehen und der Wirt sagt: Ihr müsst ab heute alle flüstern, weil sich die Vögel gestört fühlen, wenn ihr redet. Ich denke, dass das nicht der richtige Weg ist. Das Beste wird sein, wenn sowohl Anwohner solcher Straßen, als auch Motorradfahrer einander gegenüber mehr Toleranz zeigen.“ 

Andreas Netzer (28): „Manche fahren schon richtig laut rum. Wo ich auch selber denke: Der fährt einen Auspuff, den man schon über drei Kilometer hört und mich schauen Anwohner später böse an, weil ich auch Motorrad fahre.“ 

Michael Rude (27): „Die Motorräder, die jetzt auf dem Markt sind, haben ja ihre eingetragene Lautstärke. Und wenn die Regelung nur für Neufahrzeuge gilt, sollte man sie nicht nur auf Motorräder beziehen, sondern genauso auf Autos oder Traktoren.“
Die Motorradfahrer  Andreas Netzer (von links), Michael Rude und Andreas Tschugg-Reich erklären ihre Sicht der Dinge.
Die Motorradfahrer Andreas Netzer (von links), Michael Rude und Andreas Tschugg-Reich erklären ihre Sicht der Dinge.
Schließen
Zum Anfang
Viele andere Motorradfahrer in Deutschland wollen sich in ihrem Hobby nicht einschränken lassen. Sie reagieren mit Protesten auf den Bundesratsbeschluss gegen Motorradlärm.

Mitte 2020 demonstrierten Biker in ganz Deutschland. Auch in der Region wehrten sich Motorradfans gegen mögliche Fahrverbote. In Friedrichshafen, wo unser Foto entstand, waren es nach Polizeiangaben etwa 5000 Demonstranten. Auch in Stuttgart und München versammelten sich mehrere tausend Biker, um zu protestieren.


Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Die Motorrad-Demos haben gezeigt: Das Thema ist für viele emotional. Welche Erfahrungen sie mit Anwohnern und anderen Verkehrsteilnehmern machen, schildern drei Motorradfahrer aus der Region im Video.

Video öffnen

Zum Anfang

Faszination Motorrad - und wer ihr Einhalt gebietet

Einen Eindruck des Geschwindigkeitsgefühls  auf einem Motorrad vermittelt dieses Video. Für viele haben sich die Zweiräder inzwischen vom Transportfahrzeug zur Hobbymaschine gewandelt. 

Anders noch in den 1950er Jahren. Damals führten die Motorräder bei den Zulassungszahlen im Südwesten sogar vor dem Auto. Das änderte sich allerdings über die Jahre. 

Dennoch klettern die Zulassungszahlen von Motorrädern in Baden-Württemberg Jahr für Jahr weiter nach oben. 2019 lag die Zahl laut dem Statistischen Landesamt bei 687.913 Motorrädern. Zum Vergleich: Im Jahr 2009 waren es noch 546.877.




Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Was für sie den Reiz am Motorradfahren ausmacht, erklären drei Motorradfahrer aus der Region Allgäu im Videointerview.

Video öffnen

Zum Anfang
Das Motorrad auf dem Foto ist eine rund zehn Jahre alte Kawasaki Z1000. Das Motorrad besitzt einen Ein-Liter-Reihenvierzylindermotor. Aus ihm holt es 125 PS und 100 Newtonmeter Drehmoment. Die Maschine ist mit einer Lautstärke von 91 db (A) zugelassen und damit gesetzlich legal.

Wie das Motorrad bei einer Vorbeifahrt mit niedriger, mittlerer und hoher Drehzahl klingt, können Sie auf der folgenden Seite mit einem Klick auf eines der drei Symbole herausfinden.
Zum Anfang
Nach oben scrollen
Nach links scrollen
Nach rechts scrollen
Nach unten scrollen
Zum Anfang

Was tut die Polizei?

Nicht alle Biker geben sich mit dem ab Werk verbauten Auspuff oder einem legalen Tuningauspuff zufrieden. Manche schaffen sich nicht zugelassene Abgasanlagen an oder entfernen den sogenannten Dezibel-Killer im Schalldämpfer, der dessen Lautstärke normalerweise begrenzt.

Allein 1.500 Motorräder mit technischen Mängeln hat die Polizei in Baden-Württemberg in der Motorradsaison 2019 entdeckt. Dafür kontrollierte sie von Anfang März bis Ende Oktober rund 16.500 Zweiräder. 

Die Kontrollen sind Teil eines Fünf-Punkte-Plans, den das baden-württembergische Innenministerium verfolgt. Hauptziel: die Bekämpfung von Motorradunfällen. Aber: „Der erste Punkt lautet nicht zufällig: Überwachungsoffensive – Raser und Lärm stoppen“, sagt Sprecher Carsten Dehner.


Zum Anfang
In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl der von der Polizei in Baden-Württemberg festgestellten Verstöße bei Motorradkontrollen gestiegen. Waren es 2017 noch insgesamt 5.798 Verstöße, stieg die Zahl 2018 auf 6.917 und im Jahr 2019 auf 7.668. 

Häufigste Verstöße: zu hohe Geschwindigkeit oder technische Mängel. Wie viele technische Verstöße sich auf die Lautstärke des Motorrads auswirken, erfasst die Polizei allerdings nicht einzeln.    

Wer bewusst sein Motorrad lauter macht, muss in einer Kontrolle ein Bußgeld von mindestens 90 Euro zahlen. Zudem gibt es einen Punkt in Flensburg. Wenn die Veränderung zu stark ist, kann die Polizei das Motorrad auch aus dem Verkehr ziehen.
Zum Anfang
Den Vorwurf der Initiative, dass  Motorradlärm ein zunehmendes Problem ist, bestätigt  Innenministeriumssprecher Carsten Dehner zumindest für die Region nicht. Das Beschwerdeaufkommen beim Polizeipräsidium Ravensburg sei konstant. 

Dennoch kontrolliere auch das Ravensburger Polizeipräsidium gezielt  auf Motorradstrecken und  an Bikertreffpunkten.

Überprüft würden dabei jeweils die Geschwindigkeit sowie Fahrer und Motorrad. „Hierbei haben die Polizeibeamtinnen und -beamten auch insbesondere die Lärmproblematik im Blick“, meint Dehner.  
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Solche Motorradkontrollen setzt die Polizei auch an der Strecke in Wangen um, an der Thomas Wagners Hof liegt. 

Bis 2012 führte Wagner hier einen Landwirtschaftsbetrieb, fand bei seinen vier Söhnen aber keinen Nachfolger. 

Inzwischen fährt Wagner Milchsammelfahrzeuge. 
Auch dabei erlebt er an der Strecke immer wieder gefährliche Fahrmanöver, wie er  im Video-Interview schildert.

Video öffnen

Zum Anfang

Viele Betroffene in BW

Thomas Wagner wohnt etwas außerhalb von Wangen im Allgäu. Umringt von grünen Wiesen und Hügeln liegt sein Hof. Der 60-Jährige ist dort aufgewachsen. Schon lange mit dabei: Motorradlärm. 

Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Denn sein Haus grenzt direkt an eine beliebte Motorradstrecke. Vor Jahren bewarb sogar ein Motorradführer die Strecke bei Wangen, erinnert sich der ehemalige Landwirt.

Im Videointerview schildert Thomas Wagner, wie es für ihn ist, an einer Motorradstrecke zu wohnen.

Video öffnen

Zum Anfang

Lärmforscher: „Wir sind empfindlicher geworden“

Philip Leistner ist Direktor des Instituts für Akustik und Bauphysik an der Universität Stuttgart.
Philip Leistner ist Direktor des Instituts für Akustik und Bauphysik an der Universität Stuttgart.
Vollbild
So wie der Straßenlärm vor der eigenen Haustür nerven kann, so kann er auch krank machen. Das bestätigt Philip Leistner im Interview. Er ist Direktor des Instituts für Akustik und Bauphysik an der Universität Stuttgart. 

Herr Leistner, wie wirkt sich Lärm auf die Gesundheit aus?
Lärm kann zum einen das Gehör schädigen. Dazu muss der Lärm allerdings ziemlich laut sein und lange auf den Betroffenen einwirken. Wir reden dabei von vielen Stunden oder bei Berufskrankheiten vom ganzen Lebenszeitraum. Zum anderen kann Lärm die Ruhe oder den Schlaf stören. Wenn etwa der Nachbar Rabatz macht oder der Motorradclub vor der Haustür Gas gibt, dann geht das auch an die Substanz.

Welche Erkrankungen werden durch Lärm begünstigt?
Auf Dauer kann etwa Straßenlärm bei betroffenen Anwohnern zu einer erlebten Hilfslosigkeit führen, bis zur Depression. Denn man ist wiederholt einer Störung ausgesetzt, die man nicht beeinflussen kann. Das führt zu psychischen Belastungen. Zudem finden aber auch physiologische Reaktionen statt, die auf Dauer zu Krankheiten führen. Zum Beispiel zu Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch kann Lärm soziale und wirtschaftliche Effekte haben, das soziale Klima kann gestört und Grundstücke entwertet werden.

Empfindet jeder Lärm anders?
Die Wirkung von Schall hängt zum einen von physikalischen Größen ab: Wie laut ist das Geräusch, wie lange bin ich ihm ausgesetzt? Diese akustischen Reizgrößen nehmen wir wahr, sie sind aber nur ein Teil der Wirkung. Ein weiterer Teil ist immer damit verbunden, in welchem Verhältnis wir zur Lärmquelle stehen. Ein Motorradfan hört etwa den Klang eines Motorrads gern. Wer Motorrädern gegenüber aber kritisch ist, für den ist es Lärm, der ihn stört und stresst. Anderes Beispiel: Wenn das eigene Kind schreit, wissen die Eltern, dass sie sich darum kümmern müssen. Dem Nachbarn fehlt dieser Bezug und er macht vielleicht einfach das Fenster zu. Neben akustischen Reizgrößen und dem individuellen Bezug zur Schallquelle ist schließlich noch der Kontext wichtig, in dem das Geräusch mich erreicht. Bin ich entspannt oder muss ich mich konzentrieren, bin ich ausgeruht oder möchte ich einschlafen? Es ist also in der Regel nicht angeboren, dass einer ein robustes Gehör hat und ein anderer ein empfindliches Gehör. Wird aber die physische und psychische Belastung zu hoch, schafft man sich ein psychologisches Konstrukt, um mit Lärm umgehen zu können. Manche sprechen dann von einer Gewöhnung. Wenn aber Lärm dauerhaft eine bestimmte Lautstärke überschreitet, ist er schlicht gesundheitsschädlich. Daran kann man beziehungsweise das Gehör sich nicht gewöhnen.

Wie hat sich die Wahrnehmung von Straßenlärm entwickelt?
Deutschlandweit ist Straßenverkehrslärm mit lokalen Unterschieden die Hauptlärmquelle. Dabei haben sich die Zulassungszahlen in den letzten 30 Jahre kaum geändert, die Geschwindigkeiten auf den Straßen werden tendenziell durch Tempolimits sogar eher geringer. Und diese wirken sich auch sofort auf den Lärm aus. Aber das Lärmniveau ist hoch und bei der Diskussion über den Lärm scheint es relativ sicher zu sein, dass zwar die Welt um uns nicht viel lauter, aber wir empfindlicher geworden sind. Mitunter liegen die Nerven blank, wir sind nicht mehr so robust. Heute arbeiten viel mehr Menschen im Büro, als früher. Auch an vielen Industriearbeitsplätzen ist die Lärmbelastung zurückgegangen und es überwiegen konzentrierte Arbeiten. Im Büro stört auch der leise Lärm. Im Großraumbüro ist etwa die verständliche Sprache im Hintergrund der Hauptstörfaktor, ohne dass sie laut sein muss. Daher hören wir heute bei der Büroarbeit viel häufiger von psychischen Belastungen. Abends denkt man dann nur noch: „Ich brauche meine Ruhe“. Also wirkliche Ruhe: Die Abwesenheit von störenden Geräuschen. Wenn hingegen früher jemand von monotoner Arbeit an einer lautstarken Maschine nach Hause kam, hat er womöglich auf „ein bisschen Motorradlärm“ anders reagiert.

Was halten Sie davon Lärmgrenzwerte zu senken, etwa bei Motorrädern auf 80 Dezibel?
Wenn Motorräder auf 80 Dezibel bei jedem Fahrzustand beschränkt werden, kann das pro Motorrad und insgesamt den Lärm erheblich reduzieren. Das würde zu einer Entspannung führen, ist aber bei weitem noch nicht geräuschlos. Zum Vergleich: 80 Dezibel, genauer gesagt dB(A), sind ein Anhaltswert, bei dem ein Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, über Lärmschutz am Arbeitsplatz nachzudenken und zum Beispiel eine Maschine leiser zu machen. Mancher Rasenmäher oder Laubbläser erzeugt in geringer Entfernung ebenfalls etwa 80 dB(A) und die gut informierte Bedienperson trägt dazu Gehörschutz.

Welche Lösungsansätze gibt es denn gegen Straßenlärm?
Helfen können leisere Fahrzeuge, weniger Fahrzeuge, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Lärmschutzwände. Natürlich können auch die Betroffenen reagieren und sagen: „Ich gehe nicht mehr raus, wenn es mir zu laut ist.“ Sie schützen ihre vier Wände vor Lärm, etwa durch Lärmschutzfenster. Aber damit müssen sie eigentlich auf etwas reagieren, für das sie nicht selbst verantwortlich sind. Es gibt daher auch Kommunen, die nehmen das Thema und den Wunsch der Betroffenen sehr ernst und unterstützen sie finanziell bei solchen Lärmschutzmaßnahmen.

Wie ist denn im Südwesten die Lärmschutzlage?
Beim Lärmaufkommen liegt Baden-Württemberg wahrscheinlich im Durchschnitt. Mein Eindruck ist aber, dass sich im Südwesten eine überdurchschnittliche Achtsamkeit der Verantwortlichen im Umgang mit Lärm entwickelt hat, zum Beispiel mit Motorradlärm. Ein Lärmschutzbeauftragter der Landesregierung ist ein echtes Zeichen, das auch in der Fachwelt anerkannt wird. Was wir aber alle merken, ist die Schwierigkeit, im Bereich Lärmschutz schnelle Erfolge zu erzielen. Die Zuständigkeiten sind stark verteilt: zum Beispiel für Autobahnen der Bund, für Landesstraßen das Land und so weiter. Beim Schienenverkehr oder Flughäfen ist es ähnlich schwierig. Auch hierzulande gilt zudem, dass noch nicht alle Menschen den Gedanken verinnerlicht haben, dass wir gerade beim Thema Lärm fast immer Täter und Opfer sind. Mancher Motorradfahrer legt zwar Wert auf ein kraftvoll tönendes Motorrad, fühlt sich aber vom Nachbarn gestört, der den Rasen mäht. Man darf nicht vergessen, dass Lärm keine Naturgewalt ist, sondern eine Technikfolge, die wir selbst zu verantworten haben. Die Aufgabe ist also, miteinander im Gespräch zu bleiben und eine gute Balance zu finden.
Philip Leistner ist Direktor des Instituts für Akustik und Bauphysik an der Universität Stuttgart.
Philip Leistner ist Direktor des Instituts für Akustik und Bauphysik an der Universität Stuttgart.
Schließen
Zum Anfang
Für immer mehr Menschen im Südwesten wird der Verkehrslärm zum Problem. Deshalb haben sich Mitte 2019 Gemeinden und Landkreise gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg zu einer Initiative gegen Motorradlärm zusammengeschlossen. Auch die Stadt Wangen im Allgäu, in der Thomas Wagner lebt, ist Mitglied der Initiative.

Seit ihrer Gründung wächst die Zahl der Beteiligten stetig von 29 auf derzeit mehr als 120. „Daraus wird deutlich, dass Motorradlärm an vielen Orten auftritt und sich viele Menschen dadurch belästigt fühlen“, heißt es aus dem Verkehrsministerium des Landes.


Zum Anfang
Darum stellt die Initiative Motorradlärm zehn Forderungen auf: 

  1. Strengere Genehmigungs- und Zulassungsregeln für Motorräder 
  2. Hersteller und Händler sollen leisere Motorräder anbieten
  3. Umstieg auf leisere Elektromotorräder 
  4. Motorradfahrer sollen rücksichtsvoll und leise fahren 
  5. Die Polizei soll den Verkehr stärker überwachen 
  6. Zeitlich begrenzte Fahrverbote für Motorräder in  besonderen Fällen 
  7. Höhere Bußgelder für lautes Fahren und Manipulation
  8. Helmpflicht und fehlendes Frontkennzeichen: Bund soll Lösung finden, um Raser zu identifizieren   
  9. Alternativ: Halter soll für Verstöße haften 
  10. Nach Verstößen soll Pflicht kommen, ein Fahrtenbuch zu führen 
Ein Erfolg für die Organisatoren: Im Mai 2020 nimmt der Bundesrat diese Forderungen in einen Beschluss auf. Dieser richtet sich an die Bundesregierung. Ob die diesen jemals umsetzt, ist allerdings fraglich.
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Audio jetzt starten
Thomas Marwein ist Landtagsabgeordneter für die Grünen in Baden-Württemberg und Lärmschutzbeauftragter der Landesregierung. Er hat die Initiative gegen Motorradlärm mitgegründet.

Bisher habe den Gemeinden im Südwesten eine gemeinsame Aktion gegen Motorradlärm gefehlt. Das soll die Initiative jetzt leisten; gemeinsam und mit konkreten Forderungen. Wie Marwein vorgehen will, berichtet er im Audio-Interview.


Audio öffnen

Zum Anfang
0:00
/
0:00
Audio jetzt starten
Thomas Dörflinger (CDU) sieht die Lärminitiative positiv. Der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Baden-Württemberg sieht für das Mitgliederwachstum der Initiative allerdings dort die Grenzen, wo die Betroffenheit fehle. Unterstützung komme vor allem aus ländlichen Gebieten, wo viele Motorradstrecken verlaufen. 

Im Gegensatz zu Marwein hält Dörflinger nichts von Fahrverboten - auch nicht als letztes Mittel. Auf was er setzen will, sagt er im Audio-Interview.

Audio öffnen

Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Michael Lenzen, Vorsitzender des Bundesverbands der Motorradfahrer (BVDM), findet im Videointerview klare Worte darüber, was er von den Forderungen der Initiative und insbesondere von einem Fahrverbot für Motorräder hält. 

Video öffnen

Zum Anfang

Was tut die Politik?

Motorradlärm ist in der Region keine neue Erscheinung. Das beweisen beispielhaft Zeitungsausschnitte aus dem Archiv der „Schwäbischen Zeitung“. Egal ob in den Jahren 1953, 1975, 1990, 2009 oder 2016: Immer wieder ist störender Motorradlärm ein Thema. 

Auch ein Sprecher des baden-württembergischen Verkehrsministeriums räumt ein, Motorradlärm sei seit Langem ein Problem: „Leider sind Motorräder immer wieder unerträglich laut – und das häufig völlig legal.“

Denn wie laut ein Fahrzeug sein darf, legt die Europäische Union fest. Abhängig ist das vom Verhältnis zwischen Motorleistung und Gewicht.

Bei neu zugelassenen Autos liegt der Grenzwert aktuell je nach Auto zwischen 72 und 74 Dezibel. Für neue Motorräder liegt er derzeit bei 77 Dezibel, also unter dem Wert von 80 Dezibel, den die Initiative Motorradlärm fordert.








Zum Anfang
Die bisherigen Tests für die Typengenehmigung decken nur einen Teil der realen Fahrten ab. So hält das Motorrad im Test die geforderten Geräuschgrenzwerte ein, kann aber etwa auf der Straße bei Vollgas deutlich lauter sein als eingetragen - ganz legal.

Zwar sind laut dem baden-württembergischen Verkehrsministerium die Anforderungen an die Geräuschemissionen von Motorrädern in den vergangenen Jahren  strenger geworden. Doch trotzdem bilde der Test das reale Fahrverhalten von Motorrädern nur sehr unzureichend ab. „Insbesondere hochtouriges Beschleunigen und Geschwindigkeiten über 80 km/h werden nicht erfasst“, sagt ein Sprecher.  


Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Der Initiative Motorradlärm sind diese Tests nicht streng genug. Sie fordert, dass neue Motorräder maximal 80 db(A) laut sein dürfen, und zwar in allen Fahrzuständen. 

Im Videointerview sagen Thomas Marwein (Grüne), Thomas Dörflinger (CDU) und Michael Lenzen (BVDM), wie sie zu dieser Forderung stehen.

Video öffnen

Zum Anfang
Von solchen Motorradlärm-Displays sind Mitte 2020 in Baden-Württemberg 31 in Betrieb, elf weitere geplant. Sie zeigen dem vorbeifahrenden Motorradfahrer an, ob seine Maschine zu laut ist. Bei Tests sanken dadurch die Lärmwerte von Motorrädern im Mittel um 1,1 bis 2,2 dB(A). Das ist spürbar. Zum Vergleich: Erhöht sich der Schallpegel um zehn Dezibel, nehmen Menschen das als Verdopplung der Lautstärke wahr. 

Zum Anfang
Während in Deutschland über mögliche Fahrverbote nachgedacht wird, hat das österreichische Bundesland Tirol sie schon umgesetzt. Damit will es Anwohner schützen. Die Fahrverbote gelten erstmals von Mitte Juni bis Ende Oktober 2020 auf sechs Strecken für besonders laute Motorräder mit mehr als 95 dB(A) Standgeräusch. Wer dagegen verstößt, dem droht eine Geldstrafe in Höhe von rund 220 Euro. 

Damit setzt Österreich EU-weit auf einen drastischen Vorstoß. Das bestätigt auch ein Sprecher des Verkehrsclubs ADAC: „Aktuell sind uns im europäischen Ausland außer in Tirol keine derartigen Fahrverbote bekannt.“    
Der ADAC-Experte verweist jedoch auf eine Aktion in der Schweiz. Im Kanton Genf laufe ein Pilotprojekt mit einem sogenannten Lärmblitzer. Geblitzt wird, wer zu laut ist. „Das Gerät zeigt an, wenn ein Fahrzeug einen bestimmten Lärmgrenzwert übersteigt“, meint der Sprecher. In der Testphase drohe aber noch kein Bußgeld.

Zum Anfang
Scrollen, um weiterzulesen Wischen, um weiterzulesen
Wischen, um Text einzublenden