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Die unfassbare Hauptstadt

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Vichy in Sigmaringen

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wird Sigmaringen zum Regierungssitz von Vichy-Frankreich.

Zeitzeugen und Experten erinnern sich in dieser multimedialen Reportage an die Zeit. Die Chronologie einer denkwürdigen Episode deutsch-französischer Geschichte.
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Der Anfang

Sigmaringen wird im Herbst 1944 zu einer Gegen-Hauptstadt Frankreichs. Der harte Kern der Franzosen, die nach der militärischen Niederlage mit Hitler-Deutschland zusammenarbeiteten, verbringen die Nazis in die hohenzollerische Kleinstadt. Zuvor hatte das Regime der Kollaborateure, das vier Jahre lange als legitime Regierung Frankreichs wirkte und sogar von den USA anerkannt wurde, im Kurbad Vichy in der Auvergne seinen Sitz.

Als die Alliierten Frankreich einnehmen und die Macht an den Widerständler de Gaulles übergeben, wird die Luft für die Vichy-Leute immer dünner. Staatspräsident Pétain, Ministerpräsident Laval und mit ihnen rund 2000 Gefolgsleute stranden in Sigmaringen.
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Während das Ränkespiel in der Endphase der deutsch-französischen Kollaboration gut aufgearbeitet wurde, schreibt der Heimathistoriker Otto Becker, klaffen im historischen Gedächtnis Sigmaringens erhebliche Lücken.

Laut Becker hängt dies mit einer gezielten Aktenvernichtung örtlicher Behörden vor dem Einmarsch französischer Truppen im April 1945 zusammen. Becker stützt sich in seinen Beiträgen auf private Tagebücher, Nachlässe und Dokumente des fürstlichen Archivs, die auch Grundlage unserer Veröffentlichung sind.
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Pétains großes Ansehen resultiert aus dem Ersten Weltkrieg und seinen Erfolgen gegen die Deutschen. Seine Rolle als Staatslenker festigte er im Zweiten Weltkrieg nach dem schnellen Vormarsch Nazi-Deutschlands: In einem demütigenden Waffenstillstand, den der Marschall unterzeichnete, sicherte er sich den südlichen Teil Frankreichs und errichtete dort einen autoritären Staat.

Als die Nazis 1942 ganz Frankreich einnahmen, verlor Pétain seinen Spielraum. Doch Hitler fürchtete mit dem Vorrücken der Alliierten, dass sich die graue Eminenz auf die andere Seite schlagen könnte. Deshalb sperrte er Pétain und seine Leute in Sigmaringen ein. Der einstige Machthaber stellte in Sigmaringen jedoch seine Regierungstätigkeit ein.
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Von wegen freiwillig: Viele Sigmaringer und mit ihnen die fürstliche Familie müssen ihre Wohnungen verlassen, die Nazis lassen sie beschlagnahmen. Fürst Friedrich entfernt die Gestapo aus dem Schloss und stellt ihn in Wilfingen (Landkreis Biberach) unter Schutzhaft.

Zwei Monate nach seiner Entlassung zieht der Fürst in sein Krauchenwieser Landhaus. „Pétain schläft in meinem Bett“, soll die ausquartierte Fürstin gesagt haben.
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Prinz Albrecht von Hohenzollern

Prinz Albrecht von Hohenzollern ist der Sohn von Fürst Friedrich. Sein Vater hat ihm oft von der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Vichy-Episode in Sigmaringen erzählt.

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"...denke Dir in Sigmaringen! Dort wird mehr französisch als deutsch gesprochen, der ganze Ort ist eine große Vichy-Kolonie..." – Mit diesen Worten beschreibt die Fürstin von Hohenzollern in einem Brief die neu eingetretene Situation in ihrer Heimat. Doch warum überhaupt Sigmaringen?  Als Sitz der Vichy-Regierung waren Baden-Baden, Freudenstadt und Sigmaringen im Gespräch.

Für die am Südrand der Schwäbischen Alb gelegene Kleinstadt sprach ihre Abgelegenheit, die der SS eine Überwachung mit überschaubarem Aufwand ermöglichte. Ferner verfügte Sigmaringen über etliche repräsentative Gebäude, kaum Industrie, weshalb keine Luftangriffe der Alliierten zu erwarten waren, und die Donaustadt war weit genug von der Front entfernt.


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Dem schlafenden Kabinett um Ministerpräsident Laval stand eine aktive Regierung um den Kommissionspräsidenten de Brinon gegenüber. Dem vermeintlich starken Mann gelang es trotz einer Generalvollmacht, die ihm Pétain ausstellte, nicht, die ihm zugedachte Rolle der Repräsentation des wahren Frankreichs auszufüllen.

Daran änderte auch nichts, dass Sigmaringen zu exterritorialem Gebiet erklärt wurde und die Achsenmächte Deutschland, Japan und Italien in der Stadt Botschaften unterhielten. Die in sich zerstrittene Regierung beschäftigte sich, wie es Historiker Becker ausdrückt, mit Dinieren, Diskutieren und Intrigieren.
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Anette Hähnel

Anette Hähnel leitet die Fürstlich Hohenzollernsche Sammlungen
und die Hofbibliothek im Schloss Sigmaringen. Sie weiß, wie Pétain, Laval und die anderen Mitglieder der Vichy-Regierung dort gelebt haben.

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Petáins Schlafzimmer ist noch im Originalzustand vorhanden, allerdings kann der oberste Stock des Schlosses nicht im Rahmen der regulären Führungen besucht werden. Hin und wieder bietet das Schloss spezielle Vichy-Rundgänge an.

Diese führen auch in einen Seitengang, der eine Wand-Kritzelei zeigt, die während Sanierungsarbeiten bewusst erhalten wurde. Einer von Pétains Gefolgsleute brachte hier seine Verachtung de Gaulles gegenüber zum Ausdruck.
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In der Gaststätte Zoller-Hof war die ständige Vertretung Japans untergebracht, auf dem Hügel oberhalb des Gasthofs die Botschaft Italiens. Sogar Deutschland hatte eine eigene Botschaft, weil die Stadt zu exterritorialem Gebiet erklärt wurde und de facto zu Frankreich gehörte.

Im Prinzenbau waren Ministerien, Behörden, die Redaktion der Zeitung „La France“ und ein Radiosender untergebracht. Welche Gebäude heute sonst noch auf die Vichy-Regierung hinweisen?
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Der Alltag

"Im Herbst 1944 kam die Vichy-Regierung mit ihrem Troß nach Sigmaringen. Plötzlich war eine andere Atmosphäre in der Stadt zu spüren. Frauen mit knallroten Lippen und rotlackierten Fingernägeln sah ich zum ersten Mal." So erinnert sich sich Elfriede Reber, Leserin der "Schwäbischen Zeitung" und Zeitzeugin, zurück an die Vichy-Zeit.

In dieser Zeit kommen täglich mehr Exilfranzosen nach Sigmaringen und gehören bald schon selbstverständlich zum Stadtbild.
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In einem Schreiben berichtet das Landratsamt, dass bisher 446 französische Flüchtlinge einschließlich der Regierungsmitglieder in Sigmaringen eingetroffen sind. Davon leben 80 Personen im Schloss – der Rest muss in privaten Wohnhäusern untergebracht werden.

Und auch in den kommenden Wochen und Monaten nimmt der Zustrom an Flüchtlingen nicht ab. Bald schon hat sich der Bevölkerungszahl der Kernstadt verdoppelt – auf über 10.000 Einwohner.
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Um den massiven Bevölkerungszuwachs in den Griff zu bekommen, ergreift die Regierung harte Maßnahmen: Sämtliche Wohnungen werden darauf überprüft, ob sie als Unterkunft nutzbar sind. 

So auch bei den Dittrichs: Bei ihnen kommt die Familie Lamarque unter. Die heute 83-jährige Elisabeth Dittrich ist damals acht Jahre alt. Die Lamarques hat sie als "dankbare Leute" in Erinnerung.
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Elisabeth Dittrich

Bei  Elisabeth Dittrichs Familie kam eine französische Familie unter – und die war vor allem eines: bettelarm. Im Video-Interview vor ihrem damaligen Wohnhaus erinnert sich die 83-Jährige an die Zeit.

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Die Franzosen, die in Sigmaringen gestrandet sind, nehmen schon bald am gesellschaftlichen Leben teil. Es gibt Treffen und Darbietungen im Lichtspielhaus in der Fürst-Wilhelm-Straße und im Prinzenbau. Außerdem werden aufwändige Feiern und andere Veranstaltungen im Deutschen Haus am Leopoldplatz organisiert.

Das geistliche Zentrum der französischen ist die Stadtpfarrkirche St. Johann. Regelmäßig feiern die Franzosen dort die Messe. Und auch den greisen Kopf des Vichy-Regimes trifft man dort.
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Otto Becker, Historiker und Vichy-Experte

Otto Becker ist Historiker und ausgewiesener Vichy-Experte. Im Interview erklärt er, welche Rolle die Kirche für die französischen Flüchtlinge – und nicht zuletzt für Marschall Pétain – spielte und wie der neue Alltag in Sigmaringen aussah.

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Die Propaganda

Auch wenn es vielen der politischen Flüchtlinge aus Frankreich nicht besonders gut geht, wird nach außen hin ein intakter Staat inszeniert.

Zentral sind dabei die Medien, die die Vichy-Regierung für die Propaganda installiert. So kommt es, dass in der Gegen-Hauptstadt Sigmaringen ein französischsprachiger Radiosender und eine Tageszeitung ihre Arbeit aufnehmen.
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Der stramme Antisemit  Jacques Ménard verantwortet das offizielle Organ des Vichy-Regimes als Direktor. Für 4 Francs oder 20 Pfennige können die Menschen die Zeitung kaufen. Sie erscheint in einer Auflage von 45.000, wird in der Liehners Hofbuchdruckerei in der Karlstraße gesetzt und in Konstanz gedruckt.

Die Redaktionsräume von "La France" befinden sich ebenfalls in der Karlstraße – im Prinzenbau, wo sich heute das Staatsarchiv Sigmaringen befindet.
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Franz-Josef Ziwes, Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen

Franz-Josef Ziwes ist Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen – und arbeitet damit heute in Räumen, in denen ab dem Herbst 1944 die Propaganda-Redaktionen der Vichy-Regierung unterkamen. Im Interview erklärt er, welche Aufgabe der Zeitung "La France" zukam.

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Ebenfalls im Prinzenbau untergebracht ist das zweite Propaganda-Organ: der Radiosender "Ici la France". Er sendet täglich von 19.30 Uhr bis 21 Uhr. Neben Informationen, die hauptsächlich den Krieg betreffen, hat der Sender auch Unterhaltungssendungen und Musik im Angebot.

Wie Historiker Otto Becker schreibt, könnte sich die Sendeanlage von "Ici la France" auf dem Sigmaringer Sandbühl befunden haben – das jedenfalls lässt die nicht bestätigte Auskunft eines Zeitzeugen vermuten.
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Das Ende

Anfang des Jahres 1945 spitzt sich die Situation in Sigmaringen stetig zu. Vom Westen dringen die Alliierten vor, weshalb immer mehr Menschen in die Stadt strömen. Lange nicht alle finden einen Unterschlupf und müssen deshalb in der anhaltenden Kälte des Winters draußen ausharren. Um Feuer zu machen, stehlen sie massenhaft Holz aus den fürstlichen Wäldern, weshalb die Forstverwaltung Hilfspolizisten anstellt.

Immer mehr Flüchtlinge – darunter nicht nur Franzosen, sondern auch Italiener und Russen – kommen am Bahnhof an und harren im nahegelegenen Prinzengarten aus. Wie ein Zeitzeuge schreibt, ist die Allee im Park bald schon mit Kot bepflastert, weil die Menschen keinen Zugang zu sanitären Anlagen haben.
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Tagsüber sind mittlerweile ständig Tiefflieger am Himmel und schießen Menschenansammlungen, Autos und Züge. Mit zwei Bombenangriffen auf die Hohenzollerische Landesbahn soll der Zugverkehr zu einem Munitionslager in der Nähe verhindert werden.

Am Nachmittag werfen acht Flugzeuge ihre Bomben über dem Bahnhof in Jungnau ab. Dort steht gerade der Fünfuhrzug – 29 Menschen kommen durch den Angriff ums Leben. Heute erinnert vor Ort ein Gedenkstein an den Tag.
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Zeitzeugin Elfriede Reber hat Jahre später mit einer Französin gesprochen, die damals ebenfalls in Sigmaringen war: "Sie erzählte, dass die Vichy-treuen Franzosen vor den vorrückenden Truppen de Gaulles in Richtung Tirol geflohen sind und eingeholt wurden. Die Männer seien alle erschossen worden, auch ihr Vater", erzählt sie unserer Zeitung.

Auch Zeitzeugin Elisabeth Dittrich hat den Abschied von "ihrer" französischen Familie in trauriger Erinnerung.
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Elisabeth Dittrich

Die Zeitzeugin kann sich noch gut daran erinnern, wie sie die Familie Lamarque zum letzten Mal gesehen hat.

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Marschall Pétain wird um 4 Uhr in der Früh abgeholt und in die Schweiz verbracht. Alle Hoffnungen der Deutschen auf einen Zurückdrängen der Aliierten erweisen sich als krude Utopie. Auf dem Schloss weht nun nicht mehr die Tricolore.

Den Exodus von Sigmaringen als Vichy-Hauptstadt kommentiert ein Tagebuchschreiber so: „Somit ist Sigmaringen seine fremden Gäste wieder los.“ Ein unfassbares Kapitel in der Stadtgeschichte wird nach rund sieben Monaten wieder zugeschlagen.


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Idee und Konzeption: Michael Hescheler (verantwortlich)
Umsetzung: Florian Peking
Texte: Florian Peking und Michael Hescheler
Videos: Florian Peking
Fotos: Satz & More, Bundesarchiv, Kristina Schmidl, akg images, Sammlung Gauggel, Florian Peking, Staatsarchiv Sigmaringen, Elisabeth Dittrich, Theresa Gnann, Gabriele Loges, UPI/dpa, Sebastian Musolf
Karte: David Weinert, erinnerungsort-sigmaringen.de, Gabriele Loges
Besten Dank für die Unterstützung: dem Vichy-Kenner Dr. Otto H. Becker, der fürstlichen Familie für die großzügigen Einblicke, den Zeitzeugen, die vor und hinter der Kamera ihre Erinnerungen teilen.

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Karte: Orte, die in Sigmaringen an die Vichy-Zeit erinnern

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